"Obama muss klare Prioritäten setzen"

"Der Nobelpreis war ein Vorschuss, den er bisher noch nicht eingelöst hat." - Obama nach der Wiederwahl.
Foto: Kevin Gebhardt/WCHI News, Quelle: Flickr, Lizenz: CC BY-SA-NC 2.0

7. November 2012

Herr Fücks, wo sehen Sie die Bedeutung dieser Wahl?

Diese Wahl war für die innere Entwicklung der USA als multikulturelle Republik enorm wichtig. Dass ein afro-amerikanischer Präsident in der Wahl bestätigt wurde, ist eine Ermutigung für die Minoritäten in den USA, die Obama mit großer Mehrheit gewählt haben. Dagegen hatte er Mühe, unter den weißen Wählern Zustimmung zu finden. Die große Herausforderung besteht jetzt darin, die Gesellschaft wieder zusammenzuführen. Das ist auch nötig, weil der Kongress politisch gespalten ist. Es gibt den Zwang zur Entgiftung der amerikanischen Politik, sonst wird sich nichts bewegen. Die Probleme der USA sind so riesig, dass sie sich vier weitere Jahre politische Blockade nicht leisten können.

Was erwarten Sie von dem neuen, alten Präsidenten? Kann er das leisten in der zweiten Amtszeit?

Er muss für sich noch einmal klare politische Prioritäten setzen. Die erste wird mit Sicherheit sein, die Wirtschaft und die Finanzen in den USA in Ordnung zu bringen. Er muss mit den Republikanern einen neuen Kompromiss aushandeln, sonst treten zum Jahresende automatische, drastische Ausgabenkürzungen in Kraft, die die USA und die ganze Weltwirtschaft in die Rezession stürzen können. Dieses Thema wird ihn in den nächsten Monaten ganz und gar in Anspruch nehmen. Aber auch in der Außenpolitik wird sich Obama zwei oder drei große Aufgaben vornehmen müssen, damit er wirklich als großer Präsident in die Geschichte Amerikas eingeht.

An was denken Sie?

Einerseits an den Nahen Osten. Obama wird den Druck auf Israel erhöhen, den Palästinensern entgegenzukommen, um doch noch eine Zwei-Staaten-Lösung zu ermöglichen. Vor allem aber sollten die USA in seiner zweiten Amtszeit eine offensive Rüstungskontrollpolitik betreiben, vor allem in Hinblick die Aufrüstung im asiatischen Raum. Im Pazifik entwickelt sich ein neues Wettrüsten zu Wasser, zu Land und in der Luft, das ist hochbrisant. Wir brauchen dringend eine Stärkung der internationalen Abrüstungspolitik. Da müssen die USA in die Initiative gehen.

Da könnte Obama sich noch im Nachhinein seinen Nobelpreis verdienen.

Das kann man so sehen. Der Nobelpreis war ein Vorschuss, den er bisher noch nicht eingelöst hat.

Was bedeutet diese zweite Amtszeit für Europa?

Wir können uns weniger selbstverständlich darauf verlassen, dass die Amerikaner für uns Feuerwehr spielen, wenn es kritisch wird. Die neuen Prioritäten der USA liegen nicht in Europa. Sie erwarten von der EU, dass sie stärkere Verantwortung für ihre Nachbarschaft übernimmt. Das fängt auf dem Westbalkan an, wo die Folgen des Krieges noch immer nicht überwunden sind, und geht weiter über die Ukraine bis in den Kaukasus und den Nahen Osten. Da gibt es jede Menge Demokratisierungs- und Konfliktlösungsaufgaben.

Muss Europa dafür mehr Geld in die Hand nehmen?

Davon gehe ich aus, auch wenn das angesichts der Schuldenkrise und des Bedarfs an mehr Bildung und sozialer Sicherheit sehr schwierig wird. Trotzdem werden wir mehr in unsere Außenpolitik investieren müssen. Für Deutschland mit seinem Primat der Innenpolitik ist das ungewohnt. Aber es ist nötig. Bisher profitiert Europa vom transatlantischen Sicherheitsschirm, ohne viel zu investieren. Obama wird auf eine stärkere Lastenteilung drängen.

Sie sprachen schon von der deutschen Innenpolitik… Welche Lehren können unsere Politiker aus Obamas Wahlsieg ziehen?

Eine Lehre ist, dass Minderheiten eine immer größere Rolle für Wahlergebnisse spielen. Das gilt auch für uns, und das wird für die CDU genauso ein Problem werden wie für die Republikaner in den USA. Eine andere Lehre ist, dass das Internet immer wichtiger für die Mobilisierung der eigenen Anhängerschaft und den täglichen Meinungskampf wird. Das wird die Wahlkämpfe bei uns auch immer stärker prägen.

Das Gespräch führte Bettina Vestring.

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Das Interview ist am 7. November auf der Onlinseite der Frankfurter Rundschau erschienen.

 

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.

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