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Scheitert der Euro, dann scheitert Europa

Die These "Scheitert der Euro, dann scheitert Europa" ist richtig und weist weit über die ökonomische Betrachtung hinaus. Ökonomisch hätte ein Zusammenbrechen der Währungsunion oder das unkontrollierte Austreten einzelner Mitgliedstaaten gravierende Folgen: Unmittelbare Reaktion wäre eine gewaltige Kapitalflucht, die zu einem Über- bzw. Unterschießen der neuen Wechselkurse führen würde. Hierauf müsste mit Kapitalverkehrskontrollen und Wechselkursbeschränkungen reagiert werden. Damit wären wichtige Basiselemente des gemeinsamen Binnenmarkts bedroht. Dies hätte auch Auswirkungen auf den Warenverkehr.

In einem Europa ohne Währungsunion könnten dann nationale Zins- und Wechselkursentscheidungen zu Verzerrungen im Waren- und Kapitalverkehr führen und im Extremfall Handelskonflikte auslösen. Ganz offensichtlich würde der Weg zurück, aus der Währungsunion heraus, mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zu der kooperativen Situation führen, die wir vor dem Start der Währungsunion hatten.

Eindeutig ist aber auch: Alle bisherigen Versuche, mit fiskalpolitischen Instrumenten Zeit zu kaufen, führen eher tiefer in die Misere. Um herauszukommen, müssen nachhaltigere Wege gefunden werden, mit denen es zu einer Annäherung der Wettbewerbsfähigkeit der Staaten kommt.

Ein Sprengsatz für den Zusammenhalt Europas

Ausbleibende Reformen hätten zur Folge, dass die Staatsverschuldung weitere ansteigt, das Wachstumspotenzial sinkt und die Arbeitslosigkeit dauerhaft hoch wäre. Die Verteilungskonflikte innerhalb der Währungsunion würden erheblich an Schärfe gewinnen. Letztlich wäre auch dies ein Sprengsatz für den Zusammenhalt Europas.

Diese Szenarien zeigen, dass der Fortbestand des Euros – und damit im Umkehrschluss sein Zusammenbruch – umfassende Bedeutung für die gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung Europas hat. Die Gefahr ist groß, bei einem Scheitern des Euro das Momentum für die weitere friedliche Fortentwicklung Europas zu verlieren.  Diejenigen Politiker, die vor der Einführung des Euro seinen Erfolg als Schlüssel für das Nachziehen anderer Politikbereiche in Europa gesehen haben, sind damit – wenn auch auf unbeabsichtigte Weise – bestätigt worden.

Unter diesen Rahmenbedingungen gilt es, die Zukunft Europas zu gestalten und die europäischen Verträge entsprechend weiter zu entwickeln. Mit dem bald einsatzfähigen ESM und den angekündigten Maßnahmen der EZB stehen inzwischen wirksame Instrumente zur Absicherung der Währungsunion zur Verfügung. Das wichtigste Kriterium für eine gemeinsame Zukunft ist, die Strukturreformen in den Euro-Staaten entschlossen weiterzuführen. Ohne diese Reformen hat der Euro, hat Europa keine tragfähige Zukunft. Dafür sind Haushaltskonsolidierung sowie glaubwürdige Vorkehrungen, die dafür sorgen, dass in Zukunft eine solide Finanzpolitik betrieben wird, notwendig. Der Fiskalpakt stellt hier einen Schritt in die richtige Richtung dar.

Verständnis, Empathie und Solidarität als europäische Werte

Ebenso notwendig ist es, die wirtschaftlichen und sozialen Strukturreformen, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit und das Wachstumspotenzial erhöhen, voranzutreiben. Hierzu gehört auch eine effiziente Staatsverwaltung (inkl. Steuersystem), die Liberalisierung von Güter und Faktormärkten (insb. Arbeitsmarkt), wettbewerbsfähige Lohnstückkosten durch Lohnmoderation und Produktivitätssteigerungen, Bereinigung von Übertreibungen im Immobiliensektor und in der Bauwirtschaft sowie beim staatlichen und privaten Konsum.

Die entscheidende Erfolgsvoraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung der Reformen ist jedoch nicht ökonomischer Natur, sondern besteht in einer ehrlichen und intensiven Kommunikation gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Die Regierungen müssen klar machen, dass Reformen unvermeidlich sind und im Eigeninteresse der Euro-Staaten liegen. Bisweilen vermitteln einige Regierungen den Eindruck, dass Reformen nur durchgeführt werden, weil andere Euro-Staaten Druck ausüben. Umgekehrt gilt: Auch Verständnis, Empathie und Solidarität gehören zum europäischen Wertekanon.

Mehr Disziplin statt neuer Konzepte

Mit Blick auf die Reformen des institutionellen Rahmens muss sichergestellt werden, dass die Regeln der Währungsunion (d. h. solide Finanzpolitik sowie makroökonomische Überwachung) auch eingehalten werden. Zur Bewältigung der gegenwärtigen Krise sind noch nicht einmal so sehr neue Konzepte gefragt, sondern zuallererst mehr Disziplin!

Für die Kontrolle und Regeleinhaltung sind letztlich Sanktionen und Durchgriffsrechte der übrigen Euro-Staaten notwendig – wie z.B. bei Regelverstößen die zeitweise Abgabe von nationalen Souveränitätsrechten. Abzulehnen ist allerdings eine Haftungsgemeinschaft ohne Kontrolle und Abgabe von Souveränitätsrechten. Das gilt insbesondere für Euro-Bonds. Wenn sich alle an die festgelegten Regeln halten, bringen Euro-Bonds nur geringe Vorteile durch Mengeneffekt, wären aber mit der Gefahr von gravierenden Fehlanreizen verbunden. Daher muss bei institutionellen Reformen stets das Subsidiaritätsprinzip beachtet werden. Ein europäischer Zentralstaat ist weder wünschenswert noch auch nur ansatzweise realistisch.

Um für die oben skizzierten Reformen die notwendige Zeit zu gewinnen, können Hilfen der übrigen Euro-Staaten, im Notfall auch der EZB, sinnvoll sein. 

Kosten der Eurorettung für einzelne Gesellschaftsgruppen

Bislang besteht der größte Teil der Kosten der „Eurorettung“ aus Bürgschaften bzw. Garantien und Krediten. Über die extrem niedrigen Kapitalmarktzinsen als sicherem Hafen profitieren die öffentlichen Haushalte in Deutschland gegenwärtig sogar von der Krise. Unmittelbare Kosten sind bislang vor allem im Rahmen des Schuldenschnitts für griechische Staatsanleihen im Privatsektor angefallen.

Durch die sogenannte finanzielle Repression entstehen für Geldvermögensbesitzer sowie Netto-Gläubiger Kosten, die nicht konkret beziffert werden können. Infolge der sehr expansiven Geldpolitik der EZB sowie deren unkonventionellen Maßnahmen sind die Marktzinsen in den Kernländern der Währungsunion für sichere Anlagen niedriger als die Inflationsrate.

Eine Zuordnung der Kosten auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen dürfte sehr schwierig sein. Hierzu müssten neben der Steuerbelastung der einzelnen Gruppen auch die Vermögensstrukturen einschließlich der Versicherungsvermögen und insbesondere für Alterssicherung berücksichtigt werden.

Die Rolle der Banken

Die Geschäftsbanken in Europa waren bislang traditionell ein wichtiger Investor für europäische Staatsanleihen. Aufsichtsrechtliche Vergünstigungen (z. B. keine Unterlegung mit Eigenkapital) sind bewusst festgelegt worden, um die Zinsen für Staatsanleihen günstig zu halten. Im Gegenzug galten Anleihen europäischer Staaten als risikofreie Anlage, als „Witwen- und Waisenpapiere“. Diese Fiktion ist zum ersten Mal im Fall Griechenland dramatisch erschüttert worden, da internationale Investoren das Vertrauen in die Rückzahlungsfähigkeit des Staates verloren haben. In der Folge haben private Banken auf weit über 50 Prozent ihrer Forderungen verzichtet. Daraufhin wurde es für andere überschuldete Staaten noch schwieriger, Kreditgeber zu finden.

Kursverluste der Staatspapiere und Rating-Abstufungen führen in den Bankbilanzen zu hohen Belastungen. Auch der Schuldenschnitt für Griechenland hat einen nennenswerten Abschreibungsbedarf im europäischen Bankensektor verursacht. Im Zuge der Verhandlungen über das erste Hilfspaket für Griechenland hat in Deutschland das Finanzministerium übrigens von den Banken ein Stillhalten verlangt. Auch die beiden EZB-Dreijahrestender waren zumindest implizit dafür vorgesehen, dass Geschäftsbanken Staatsanleihen von europäischen Krisenstaaten erwerben.

Die EZB sieht in der Krise das Ziel der Preisniveaustabilität eher an der Unterseite gefährdet (Deflation) und bemüht sich u. a. auch um Finanzmarktstabilität, insbesondere durch die Vermeidung von Störungen auf dem Interbankenmarkt. Die EZB ist gegenwärtig die einzige europäische Institution, die kurzfristig krisenlindernd agieren kann. Aber es besteht die große Gefahr, dass die EZB das Preisniveauziel verwässert, zu stark in die Finanzpolitik hineinwirkt und sich faktisch in eine politische Abhängigkeit begibt. Deswegen muss allen Beteiligten klar sein: Die EZB kann die Staatsschuldenkrise nicht lösen, sondern allenfalls Zeit kaufen durch die vorübergehende Unterstützung für die oben beschriebenen Wirtschaftsreformen.


Andreas Krautscheid ist Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bankenverbands.