Da die Verunsicherung innerhalb der Eurozone weiter zunimmt und Griechenland für die Gemeinschaft zur Bewährungsprobe wird ist es notwendig, sich mit den Ursachen der Krise sowie mit möglichen Lösungen zu beschäftigen. Die üblichen Erklärungsmuster sehen die Ursache der Krise darin, dass die Währungsunion falsch geplant wurde und sie halten mehr Wachstum für die beste Lösung. Obwohl Wirtschaftswachstum wünschenswert ist, beantwortet dies nicht die Frage, welche Art von Wachstum Europa benötigt, damit es zu nachhaltigem sozio-ökonomischen Wachstum und entsprechender Entwicklung kommt. Da diese Frage sehr vielschichtig ist, will ich hier nur versuchen zwei alternative Wachstumsmodelle zu skizzieren.
Griechenlands Wachstumsmodell vor der Krise
Nach Einführung des Euro lag das Wachstum in Griechenland über dem EU-Durchschnitt, und zwischen 2001 und 2007 stieg der Lebensstandard erheblich an. Die Olympiade 2004, der Gewinn der Fußball-EM sowie der Eurovision Song Contest im selben Jahr sorgten allesamt dafür, dass Griechenlands Ansehen in der Welt stieg. Als dann aber im Jahr 2008 die Blase platzte und mit dem Bankrott von Lehman Brothers die weltweite Finanzkrise begann, zeigte sich rasch, dass Griechenland unter ernsten strukturellen Schwächen litt und es der sozialistischen Regierung nicht gelang, diese zu beheben.
Zu diesen strukturellen Schwächen der griechischen Wirtschaft, die sich durch das Muster des Wachstums, dem Griechenland ab Beginn der 1980er Jahre folgte, herausbildeten, gehören:
1) ein aufgeblähter öffentlicher Sektor, der leistungsschwach ist, in hohem Grade gewerkschaftlich organisiert, auf dem Prinzip des Klientelismus fußt und hohe Defizite produziert – wozu viele subventionierte staatliche Unternehmen gehören, die hohe Verluste erwirtschaften
2) überhöhte Ausgaben, die zu einem beständigen Defizit und zunehmender Staatsverschuldung führen
3) eine überregulierte Wirtschaft mit einem wenig flexiblen Arbeitsmarkt und stark abgeschotteten Märkten für Produktion und Dienstleistungen
4) die ungünstige Struktur der Wirtschaft – wozu gehört, dass die industrielle Produktion nachlässt, man zu sehr von Einkünften aus bestimmten Dienstleistungen abhängt (vor allem Schifffahrt und Tourismus), steigende Importe, eine immer schlechter werdende Handelsbilanz sowie ein Wachstum, das sich vor allem auf einen Individualkonsum stützt, der vor allem durch die Aufnahme von Krediten angetrieben wird.
Die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands schwand somit aus mehreren Gründen. Einerseits stiegen die Arbeitskosten, während die Produktivität sank. Andererseits hielt man in Griechenland - während anderswo in Europa die Wirtschaft liberalisiert wurde - am alten System des Klientelismus fest, da es politisch zu brisant gewesen wäre, Reformen durchzuführen, die sich am Markt orientieren. Zudem gab es in Griechenland eine Schieflage zwischen Staat und Privatwirtschaft, die sich dadurch auszeichnete, dass die Privatwirtschaft einen zerrütteten, ständig weiter wachsenden Staatsapparat am Leben erhalten musste. Von diesem wurde sie jedoch gleichzeitig in die Mangel genommen, da private Unternehmen durch übertriebene staatliche Vorschriften und Eingriffe aus dem Markt gedrängt wurden.
Dieses spezielle Wachstumsmodell, das in einigen Aspekten einer Kommandowirtschaft ähnelte, war nicht nachhaltig – was sich in der gegenwärtigen Krise dann auch zeigte. Das Schicksal der beiden langfristigen Kredite, die Griechenlands internationale Partner 2010 und 2012 großzügig bewilligten, ist nach wie vor ungewiss, da Griechenlands Wirtschaft immer noch im Banne des verderblichen alten Wirtschaftssystems (und politischen Systems) steht. Anlass zur Sorge bereitet dabei vor allem die Tatsache, dass in der Debatte über die griechische Krise die wahren strukturellen Ursachen von der völlig überzogenen Diskussion über griechische Steuersünder an den Rande gedrängt werden – wodurch die Debatte darüber, wie sich Griechenlands Wirtschaft um- und ein alternatives Wirtschaftsmodell aufbauen lässt, viel zu wenig stattfindet.
Alternatives Wachstumsmodell
Eine Lektion der griechischen Krise ist, dass wir eine andere Art des Wirtschaftswachstums brauchen, ein Wachstum bestehend aus zwei miteinander verbundenen Säulen, die die sozio-ökonomische Entwicklung voranbringen. Einerseits braucht es Haushaltsdisziplin, d.h. die staatlichen Finanzen müssen von politischem Kalkül und Vetternwirtschaft getrennt werden, und andererseits muss sich der Staat von seiner Rolle als Übermutter von Wirtschaft und Gesellschaft verabschieden und sich damit begnügen, die Verhältnisse geschickt zu regeln und Anreize für private Initiativen zu geben. Zweifellos müssen derartige Maßnahmen an die jeweiligen gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Verhältnisse in einem Land angepasst werden, und darüber hinaus wird es notwendig sein, dass die EU solche alternativen Wachstumsmodelle durch geeignete Strukturen, Maßnahmen und Strategien unterstützt.
Haushaltsdisziplin auf fester rechtlicher Basis ist ein wichtiger Ansatz, um zu verhindern, dass die Finanzen eines Staates für parteipolitische Interessen genutzt, d.h. in eine Vetternwirtschaft umgeleitet werden. Gelingt dies, kann wirtschaftliche Stabilität geschaffen werden, die, in Verbindung mit einem transparenten Steuersystem, niedrigen Steuersätzen (am besten in Form einer Flatrate-Steuer) und Haushaltsdisziplin mit einiger Sicherheit dazu führen wird, dass ein sicheres Geschäftsklima entsteht und das Land Investitionen anlockt.
Hinzu kommt noch, dass, reduziert man die Rolle des Staates auf die eines geschickten Reglers und Gebers von Anreizen, er sich von öffentlichen oder privaten Interessen weniger leicht missbrauchen lässt. Beschneidet man die Größe des staatlichen Bereichs und vergibt einige der herkömmlichen staatlichen Aufgaben an die Privatwirtschaft, dann lassen sich Ausgaben erheblich verringern und die Qualität und Wirksamkeit von Dienstleistungen verbessern – was insgesamt dazu führt, dass das Geld der Steuerzahler verantwortlich und zum Wohle der Allgemeinheit ausgegeben wird. Bereiche in denen es besonders wichtig ist, dass der Staat durch geschickte Regulierung eingreift sind:
1) eine Wirtschaftspolitik, die vorgelagerte und nachgelagerte Innovationen [1] sowie intelligente Spezialisierungen [2] fördert
2) eine Wettbewerbspolitik, die sicherstellt dass es einen freien Markt für Waren und Dienstleistungen und einen freien Arbeitsmarkt gibt
3) Familienpolitik
4) Bildungspolitik
5) Umweltpolitik
All diese Bereiche sind ursächlich dafür, dass es zu nachhaltigem sozio-ökonomischem Wachstum und einer entsprechenden Entwicklung kommt.
Entscheidend wird sein, dass die Wachstumsstrategie der EU nicht Wachstum an sich fördert, sondern auf die grundlegenden Bestandteile für anhaltendes, nachhaltiges sozio-ökonomisches Wachstum ausgerichtet ist. Gleichermaßen wichtig ist auch, dass die für jedes Land spezifischen Faktoren genau untersucht und Maßnahmen ergriffen werden, die den Problemen und Bedürfnissen des jeweiligen Landes gerecht werden. Wie wir gesehen haben, führen Schnellschüsse von wichtigen Stellen innerhalb der EU, Schnellschüsse, die auf wenig ausgegorenen Strategien beruhen, leicht dazu, dass negative Vorurteile über einzelne Mitgliedsstaaten, die der Hilfe bedürfen, Auftrieb erhalten.
Fußnoten:
[1] Hervorragend ausgeführt wird diese These von: Aghiou, P., Boulanger, J., Cohen, E. (2011) „Rethinking Industrial Policy“, Bruegel Policy Brief, Issue 2011/4, June 2011.
[2] Siehe: Foray, D., David, P.A., Hall, B. (2009) „Smart Specialisation – The Concept“, Knowledge Economists Policy Brief No. 9, European Commission, DG Research, June 2009.
Übersetzt aus dem Englischen von Bernd Herrmann
Dr. Anna Visvizi ist Expertin für politische und wirtschaftliche Fragen und außerordentliche Professorin am DEREE, dem American College of Greece in Athen.