Das Thema Außenpolitik spielt bei den diesjährigen US-Präsidentschaftswahlen lediglich eine untergeordnete Rolle. Trotz der Fülle globaler Herausforderungen – zu nennen wären der Atomkonflikt mit dem Iran, die unabsehbaren Folgen des ökonomischen und nicht zuletzt militärischen Aufstiegs Chinas, der Bürgerkrieg in Syrien oder die immer noch angeschlagene Weltwirtschaft - beschäftigte sich der Wahlkampf beider Kandidaten bislang vor allem mit der wirtschaftlichen Lage des Landes. "It's the economy, stupid!" könnte also wie schon 1992, als Bill Clinton aufgrund ökonomischer Zusicherungen die Präsidentschaftswahl gegen George H. W. Bush gewann, der Slogan des Wahlkampfes sein. Schließlich hat Amerika noch immer mit den Folgen seiner Finanz- und Wirtschaftskrise zu kämpfen.
Auch wenn sich die US-Wirtschaft langsam erholt und die zwischenzeitlich fast auf Rekordniveau gestiegene Arbeitslosenrate sich seit Ende 2010 etwas verringert hat, erwarten die US-Wähler von Barack Obama und Mitt Romney vor allem ein Rezept für die Lösung der innenpolitischen Probleme Amerikas. Bezeichnenderweise leitete Paul Ryan, Romneys Kandidat für die Vizepräsidentschaft, seine erste und bislang einzige außenpolitische Rede bei der Alexander Hamilton Society mit den Worten ein, die amerikanische Außen- und Finanzpolitik seien auf Kollisionskurs, um dann anschließend Obamas Haushaltsausgaben als nicht nachhaltig zu geißeln.
Republikaner halten sich außenpolitisch zurück
Ryans Versuch, Obamas Außenpolitik auf Budgetfragen zu reduzieren, ist symptomatisch für den bisherigen republikanischen Wahlkampf. Die Zurückhaltung in außenpolitischen Fragen könnte mehrere Gründe haben: zum einen haben die Republikaner Obamas Haushaltsausgaben und die gestiegene Staatsverschuldung als Angriffsziel Nummer eins im Wahlkampf auserkoren. Mit der Berufung Paul Ryans zum Vizepräsidentschaftskandidaten hat Romney bewusst einen Politiker ernannt, dessen Pläne für eine radikale Ausgabenkürzung im Sozial- und Gesundheitsbereich für Aufsehen in der amerikanischen Hauptstadt gesorgt haben.
Wenn sich Obama in seiner bisherigen Amtszeit angreifbar gemacht hat, so das Kalkül Romneys, dann mit einer Staatsverschuldung, die mittlerweile fast so hoch ist wie das gesamte amerikanische Bruttoinlandsprodukt. Zum anderen liegt die bisherige Zurückhaltung Romneys in außenpolitischen Fragen an dem Zuspruch, den Obama von der Bevölkerung für seine bisherige Außenpolitik erhalten hat. Obwohl der amtierende Präsident in Europa für die Art und Weise der Tötung Osama Bin Ladens oder der dramatischen Ausweitung des Drohnenkriegs im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet kritisiert wurde, ist ausgerechnet seine Terrorbekämpfung in den Augen vieler Amerikanerinnen und Amerikaner ein nennenswerter außenpolitischer Erfolg.
Das weiß auch Mitt Romney. Dort, wo die öffentliche Meinung Obama unterstützt, kann Romney wenig ausrichten und dort, wo Obama außenpolitische Schwächen offenbart hat, wie beispielsweise in den erfolglosen Vermittlungsversuchen im Nahostkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern oder bei der Beendigung des syrischen Bürgerkriegs, kann Romney keine Alternative aufweisen. Dies liegt nicht zuletzt an Mitt Romneys und Paul Ryans außenpolitischer Unerfahrenheit. Ähnlich wie im Falle Barack Obamas vor vier Jahren hat das Duo keine erwähnenswerte Tätigkeit in den für die Außen- oder Sicherheitspolitik des Landes zuständigen Ausschüssen des US-Kongresses vorzuweisen.
Romney setzt auf Erfahrung
Vor diesem Hintergrund darf man mit gutem Recht fragen, wie sich Amerikas Außenpolitik ändern würde, sollte Mitt Romney der 45. Präsident der Vereinigten Staaten werden. Ein Blick auf die von Romney rekrutierten Außenpolitikberater offenbart, dass der Republikaner auf geballte Regierungserfahrung setzt. Die Mehrheit seiner 24 offiziell auf seiner Wahlkampfseite genannten Berater war bereits in der Regierung George W. Bush beschäftigt und steht für eine aggressivere Außenpolitik. Romney selbst hat bereits angedeutet, dass er von Obamas Kürzungen im Militärbudget wenig hält und dass er eine Außenpolitik vertreten würde, die auf militärische Stärke setzt. Eric S. Edelman, ein Kandidat Romneys für den Posten des Nationalen Sicherheitsberaters und ehemaliger Unterstaatssekretär im Verteidigungsministerium unter Bush, bedauerte Obamas Entscheidung, die im Irak stationierten US-Truppen Ende 2011 abzuziehen und brandmarkt Obamas Außenpolitik im Nahen Osten als zu zaghaft und unentschlossen.
Ein anderer Berater Romneys, Eliot A. Cohen, von 2007 bis 2009 Berater der ehemaligen US-Außenministerin Condoleezza Rice, stellt dem amtierenden Präsidenten ein in der Schärfe überraschend schlechtes Zeugnis aus und behauptet, die generelle Sicherheitslage Amerikas habe sich unter Obama im Vergleich zum Ende der Amtszeit Bushs vor fast vier Jahren durchweg verschlechtert. Im Nahen Osten, im Jemen, in den Staaten Nordafrikas und im Norden Malis haben sich militante Islamisten, so Cohen, neu formieren können, während der Iran trotz Sanktionen ungestört Zeit habe, Uran anzureichern und weitere Zentrifugen zu bauen. Zudem habe Obama in Syrien keinen Einfluss auf den Verlauf und möglichen Ausgang des Bürgerkriegs.
Keine fundamentale Neuausrichtung zu erwarten
Diese Äußerungen lassen darauf schließen, dass Romney eine Außenpolitik verspricht, die sowohl personell als auch inhaltlich an den Vorgänger Obamas anschließen könnte. Trotz der vehementen Kritik seiner Berater fällt bei einem genaueren Blick auf die außenpolitischen Vorschläge Romneys allerdings auf, dass es fernab aller Rhetorik beträchtliche Überschneidungen mit der bisherigen Politik Obamas gibt. Im Hinblick auf den Atomkonflikt mit dem Iran hat Romney im Wahlkampf betont, Obamas Credo zu teilen, dass der Iran keine Atomwaffen erlangen dürfe. Zwar verspricht Romney, sich eine glaubwürdigere militärische Option im Atomkonflikt offenzulassen, doch auch Obama hat immer wieder betont, dass ein Waffengang stets Ultima Ratio seiner Politik gegenüber dem Iran gewesen ist. Rhetorisch würde Romney die inneriranische Opposition unterstützen, doch inwieweit dies den Ausgang des Atomkonfliktes beeinflussen würde, bleibt unklar.
Interessanterweise gesteht Romney ein, dass Obamas Wirtschaftssanktionen gegenüber der Islamischen Republik der richtige Weg seien. Auch mit Blick auf Syrien fällt auf, dass Romney zwar auf rhetorischer Ebene Obama eine zu zurückhaltende Haltung vorwirft, in seinen praktischen Vorschlägen aber trotz aller Kritik eine ähnliche Politik zu verfolgen verspricht: diplomatische Isolierung Assads, nicht-militärische Unterstützung der Opposition. Verglichen mit Ron Paul oder anderen ausgeschiedenen republikanischen Bewerbern auf das Präsidentenamt ist Mitt Romney außenpolitisch doch eher moderat.
Während Romney in den letzten Wochen daran gearbeitet hat, sich unter Rückgriff auf bekannte Debatten über den amerikanischen Exzeptionalismus ein erkennbares Profil zu geben und seine Wählerschaft zu mobilisieren, hört man vom amtierenden Präsidenten wenig über seine außenpolitische Programmatik. Es scheint fast so, als glaube Obamas Wahlkampfteam, ein Verweis auf die bisherigen Erfolge genüge für eine erfolgreiche Wiederwahl. Unermüdlich betont Obama, dass er Amerika in seiner vierjährigen Amtszeit sicherer gemacht habe. Misserfolge wie die festgefahrenen Beziehungen zu Russland oder dem weiterhin brüchigen Verhältnis zur arabischen Welt werden dabei beflissentlich übergangen. Es ist davon auszugehen, vielleicht sogar zu hoffen, dass die drei im Oktober vorgesehenen Fernsehduelle zwischen Barack Obama und Mitt Romney noch einmal Schärfe in den Wahlkampf bringen werden. Bis dahin bleibt der bisherige Verlauf der Auseinandersetzung besonders im Hinblick auf außenpolitische Themen relativ ereignisarm. Daran haben letztendlich auch die antiamerikanischen Proteste im Nahen Osten und die Tötung des amerikanischen Botschafters in Libyen nicht viel geändert.
Payam Ghalehdar ist ehemaliger Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung und promoviert zur Zeit am European University Institute (San Domenico di Fiesole, Italien) zum Thema "Regime-Change in der amerikanischen Außenpolitik". Er ist Gastwissenschaftler an der Elliott School der George Washington University in Washington, DC.