Barbara Unmüßig, Vorstandsmitglied Heinrich-Böll-Stiftung
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,
verehrte Gäste!
Herzlich willkommen zur Konferenz „Religion Revisited“. Wir in der Heinrich-Böll-Stiftung haben lange auf diese zwei Tage hingearbeitet, jetzt sind sie endlich da. Wir freuen uns sehr, dass Sie so zahlreich erschienen sind und ganz besonders freuen wir uns, dass so viele ausländische Gäste den Weg nach Berlin auf sich genommen haben, um hier heute und morgen mit uns über Frauenrechte und die politische Instrumentalisierung von Religion zu diskutieren.
Das Thema ist so aktuell wie nie. International sowieso. Die Verflechtungen von Politik, Religion und Gleichberechtigung sind kompliziert, überall auf der Welt und egal, um welche Religion es sich handelt. Wenn Kultur, Religion und Gleichberechtigung aufeinanderstoßen, ist dies häufig konfliktreiche und gewaltförmige Realität, besonders für Frauen.
Religion hat erheblichen Einfluss auf Wertvorstellungen, das Selbstverständnis und Empfinden vieler Menschen. Sie legitimiert und prägt kulturelle Normen und Praktiken. Und Religion ist nicht auf dem Rückzug – wie bis vor Kurzem noch angenommen – sondern sie ist zurück. Bedeutet diese Rückkehr der Religion, die eigentlich nie verschwunden war, einen Backlash für die Frauenrechte und Gleichberechtigung? Fest steht, Frauen werden täglich im Namen der Religion und Tradition Opfer von Gewalt.
In unserer politischen Auslandsarbeit sind wir immer wieder mit der Bedeutung von Religion in politischen und sozialen Prozessen konfrontiert. Sei dies nun die „Moral Majority“ in den USA, der große politische Einfluss der katholischen Kirche in Mittel- und Lateinamerika oder Polen. Oder mit den Islamisierungsprozessen im Nahen Osten, Teilen Afrikas oder in Pakistan, um nur einige Beispiele zu nennen.
Das Verhältnis von Politik und Religion ist spannungsreich. In der Türkei löste die Präsidentschaftskandidatur von Abdullah Gül, seines Zeichens frommer Muslim und Mitglied der islamisch-konservativen Partei AKP, eine innenpolitische Krise aus. Im Zusammenhang mit den Wahlen kam es in der Türkei zu Massenprotesten für eine säkulare Türkei und der Generalstab ließ verlauten, dass die Streitkräfte entschlossen seien, die Demokratie und die Trennung von Staat und Religion zu verteidigen. Wie Sie wissen ist Abdullah Gül seit August 2007 Staatspräsident der Türkei; und die türkische Armee, die „Hüterin“ des Säkularismus in der Türkei, ist nicht eingeschritten.
Aber auch vor unserer eigenen Haustür spielt sich derzeit eine neue Qualität der Auseinandersetzungen zwischen Politik und Religion sowie Gleichberechtigungs- und Selbstbestimmungsfragen ab. Sie erlangen durchaus neue Brisanz.
- Kanzlerin Merkel mischt sich öffentlich ein in den Streit um das Dekret des Papstes, in welchem er die Exkommunikation von vier traditionalistischen Bischöfen aufhebt. Darunter auch Richard Williamson (Piusbruderschaft), der in einem Interview den Holocaust leugnete. Die Kanzlerin verlangte daraufhin vom Papst eine „sehr eindeutige“ Distanzierung und „dass es keine Leugnung des Holocaust geben dürfe“ (sueddeutsche.de, 03.02.2009). Schon war sie voll entbrannt, die Debatte darum, was Politik darf oder nicht darf. Auch Unionspolitiker und einige Bischöfe sprachen danach von einer nicht akzeptablen Einmischung in Kirchenangelegenheiten.
- Ende Februar sorgten umstrittene Äußerungen des Augsburger Bischofs Walter Mixa wieder einmal für Aufregung – er verglich den Holocaust mit Schwangerschaftsabbrüchen. „Der Holocaust sei ein schreckliches Verbrechen, erklärte er, aber auch heutzutage würden Verbrechen gegen das Leben begangen: So sei die Zahl der sechs Millionen getöteten Juden inzwischen durch die Zahl der Abtreibungen überschritten worden. Neun Millionen Embryonen seien nach Expertenschätzungen in den vergangenen Jahren abgetrieben worden.“ (sueddeutsche.de, 28.05.2009).
- „Der Heidelberger Verein „die Birke“, der Schwangerschaftskonfliktberatung anbietet, finanziert sich ausschließlich über Spenden und wird ausdrücklich vom Papst, damals noch in seiner Funktion als Kardinal, gelobt. Dieser Verein vertritt unter anderem die Auffassung, „eine Vergewaltigung würde von einer Frau besser verkraftet als die Abtreibung eines Kindes, das während der Vergewaltigung gezeugt wurde“ (taz.de, 30.01.2008).
Diese Fälle gingen durch die Presse; ein kategorischer Aufschrei von Seiten der breiten Zivilgesellschaft blieb aus. Beides – die oben genannten Äußerungen wie auch der fehlende konsequente Aufschrei – muss uns alarmieren.
Christlich-konservative Kräfte haben in Deutschland eine starke Stimme, wenn es um die gesetzliche Regelung von Abtreibungen und Spätabtreibungen geht. Dem müssen wir argumentativ etwas entgegensetzen.
Mit dieser Tagung wollen wir beitragen zur öffentlichen Auseinandersetzung, wir wollen uns aber auch einmischen – national wie international. Deshalb muss und wird es auf dieser Tagung auch darum gehen, welche Strategien, welche Antworten wir gegen die Instrumentalisierung von Religion durch die Politik haben, mehr noch wie wir die Dominanz von Religion in der (Gesellschafts-)Politik, das Erstarken fundamentalistischer religiöser Bewegungen zurück drängen können. Welche Antworten finden (Frauen-)Bewegungen in aller Welt darauf?
Wir meinen, dass Religion, Politik und Gleichberechtigung der Geschlechter im Kontext der Menschenrechte diskutiert werden müssen. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, deren 60-jähriges Bestehen wir letztes Jahr im Dezember feierten, garantiert beides: Gleichberechtigung implizit durch Artikel 2 und Religionsfreiheit durch Artikel 18.
Wir wissen, dass die Umsetzung nicht immer auf dem Fuße folgt – auch 60 Jahre später nicht. Gefragt ist die hier Politik. Aber: Sind Religionsfreiheit – und damit das Recht zur Ausübung von Religion in einer entsprechenden Religionsgemeinschaft – und Gleichberechtigung gleichzeitig zu haben? Die Vereinbarkeit von Gleichberechtigung und Religionsfreiheit ist eine Herkulesaufgabe, die sich nicht von alleine herstellt. Gewiss ist: Der Staat muss sich dieser Aufgabe annehmen, wenn er die Menschenrechte ernst nehmen will.
Religionen, insbesondere die monotheistischen Religionen, sind im Allgemeinen nicht dafür bekannt, dass sie die Gleichberechtigung befördern. Im Gegenteil: Das durch die Religionen tradierte Patriarchat befördert die Benachteiligung der Frauen auf unterschiedliche Weise und schreibt diese fest. Benachteiligungen äußern sich – je nach religiösem, politischem und regionalem Kontext – in mannigfaltiger Form: Frauen werden der häuslichen Sphäre zugeschrieben, Fertilität durch Männer kontrolliert, ihre Möglichkeiten zur politischen Partizipation eingeschränkt, finanzielle Abhängigkeit an Stelle von eigenständiger Existenzsicherung befördert und Gewalt gegen Frauen – bis hin zum Tode – legitimiert.
Jedoch müssen wir unterscheiden. Religion an sich ist nichts Schlechtes oder per se Rückständiges. Im Gegenteil, religiös begründete Ansprüche auf mitmenschliche Verantwortung und Solidarität haben viele emanzipatorische Bewegungen inspiriert. Die Demokratie- und Menschenrechtsbewegungen in vielen ehemals kommunistischen Staaten sowie in vielen Staaten Lateinamerikas haben dies eindrücklich belegt. Religionen sind auch nicht grundsätzlich frauenfeindlich, wie dies die zahlreichen religiösen Feministinnen verdeutlichen, die sich aktiv dafür einsetzen, religiöse Gemeinschaften und religiös geprägte Gesellschaften von innen heraus zu demokratisieren und frauenfreundlicher zu gestalten.
Die Politik, der Staat, kann Religion begrenzen und einhegen. Muss dies sogar tun, wenn Religion Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen legitimiert und die Gleichberechtigung unterminiert. Denn Religionsfreiheit kann und darf nicht auf Kosten der Gleichberechtigung gewährleistet werden. Artikel 18 Abschnitt 3 des UN-Zivilpaktes hält daher auch fest, dass „die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekunden, […] nur den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden [darf], die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit, Sittlichkeit oder der Grundrechte und -freiheiten anderer erforderlich sind.“
Ausnahmen bestätigen die Regel: Die Grundrechte und -freiheiten dürfen in einigen Fällen durch religiöse Normen beschnitten werden – sofern die Zustimmung der Person vorliegt. Dennoch: Die Benachteiligung und Diskriminierung von Frauen durch religiöse Normen und Praktiken ist auch dann als problematisch einzustufen, wenn die Zustimmung der jeweiligen Frau vorliegt. Denn Zustimmung zu geben, muss bedeuten, eine Wahl zu haben und eine Wahl basiert immer auf der Möglichkeit aus unterschiedlichen Alternativen, die bekannt sind, wählen zu können. Eine Rechnung mit vielen Unbekannten. Es ist schließlich die Pflicht des Staates, dafür zu sorgen, dass Alternativen vorhanden und bekannt sind und wahrgenommen werden können.
Und damit sind wir natürlich inmitten der Debatte, ob ein säkulares Staats- und Rechtssystem die einzige und ausschließliche Antwort darauf ist, die Rechte aller Menschen zu fördern, Religionsfreiheit und Gleichberechtigung gleichermaßen zu garantieren. Teilen wir die Überzeugung der israelischen Wissenschaftlerin und Feministin Frances Raday, dass es ohne eine Beendigung des religiösen Patriarchats und ohne Verfassungsstaat auch keine Gleichberechtigung der Geschlechter geben kann? Diese Debatte wird unsere Tagung sicherlich prägen und ich bin mir sicher, dass diese Diskussionen auch sehr emotional geführt werden. Hier hoffe ich sehr auf gegenseitigen Respekt, denn verletzte Gefühle und daraus entstehende Blockaden helfen uns nicht weiter, die komplexe Verquickung von Religion, Politik und Frauenrechten zu verstehen, geschweige sie in emanzipatorischer Aussicht zu gestalten.
Es geht es uns als Heinrich-Böll-Stiftung nicht darum zu bestimmen, ob Religion grundsätzlich gut oder schlecht für die Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern ist – eine Frage, die ohnehin unmöglich zu beantworten wäre. Wir wollen die vielfältigen Verflechtungen zwischen Religion, Politik und Geschlechtergerechtigkeit noch besser verstehen und die Grundlagen zur politischen Einmischung verbessern.
Deshalb hat die Heinrich-Böll-Stiftung 2007, zusammen mit dem United Nations Research Institute for Social Development – kurz UNRISD – ein großes Forschungsprojekt in die Wege geleitet. Im Rahmen dieses Projekts werden in elf Staaten in Nord- und Südamerika, in Europa und Afrika sowie in Asien die Implikationen der Verflechtung von Religion und Politik für die Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern untersucht. Im Vorfeld dieser Konferenz hatten wir gerade einen Workshop mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Projekts zu ihren Forschungsergebnissen. Ich freue mich sehr, dass auch sie an unserer Konferenz heute und morgen teilnehmen werden und möchte die Gelegenheit hier noch einmal dazu nutzen, mich bei ihnen für die bisherige Zusammenarbeit zu bedanken.
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Ich wünsche uns allen eine inspirierende Konferenz mit lebhaften Diskussionen. Herzlichen Dank.