Regiert Geld die Welt?

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Global Issue Paper Nr. 34

21. April 2008
Peter Wahl

Von Peter Wahl
April 2008


Zusammenfassung

Die Liberalisierung und Deregulierung der Finanzmärkte nach 1973 war der ökonomische Auslöser für die gegenwärtige Globalisierungswelle. Insbesondere die Freigabe der Wechselkurse und die darauf folgende Liberalisierung und Deregulierung der Märkte spielten eine entscheidende Rolle für die Herausbildung der heutigen Finanzmärkte.

Bestand die ursprüngliche Rolle der Finanzmärkte früher darin, Serviceleistungen für die Realwirtschaft bereitzustellen - so hat sich diese nachgeordnete Funktion inzwischen zur Dominanz des Finanzsektors über die übrige Wirtschaft verkehrt.

Es kam zu einer dramatischen Ausweitung der Finanztransfers – 2007 auf 3 Billionen USD pro Börsentag -, die sich zunehmend von der Realwirtschaft ablösten. Allerdings ist die Ablösung relativ. Kommt es zur Krise, schlägt dies auf die Realwirtschaft, und damit auch auf Arbeit und Soziales durch.
Weltweite Spekulationsgeschäfte und Arbitrage mit Devisen, Zinsen und Wertpapierkursen wurden zur eigenständigen Renditequelle. Dabei dominiert eine extreme Kurzfristorientierung aller Portfolioinvestitionen.

Ein grundlegend neuer Prozess ist auch die Verbriefung (Securitization) von Krediten. Kredite werden in Wertpapiere verwandelt und dann am Markt gehandelt. In die traditionelle Beziehung zwischen Bank und Kreditnehmer tritt der Markt dazwischen. Große Unternehmen finanzieren sich nicht mehr über ihre Bank, sondern auf den Finanzmärkten.

Zugleich entstehen neue Finanzprodukte, die Derivate. Während sie auf Mikroebene dazu dienen, Risiken, die sich aus der wachsenden Instabilität des Finanzsektors ergeben, aufzufangen, verstärken sie auf Makroebene die systemische Instabilität.

Eine Innovation, die im vergangenen Jahrzehnt besondere Bedeutung erlangte, ist der institutionelle Investor. Es handelt sich dabei um die Institutionalisierung und Professionalisierung der Eigentümerfunktion. Ausschließliches Interesse der institutionellen Investoren ist die maximale Rendite für den Eigentümer, den Shareholder. Diese Shareholder-Orientierung wird zunehmend auf die Realwirtschaft übertragen. Andere Unternehmensziele treten in den Hintergrund.
Die Herausbildung transnationaler Finanzmärkte hat neue und überdurchschnittlich hohe Profitquellen erschlossen. 25% Eigenkapitalrendite sind heute Norm für führende Finanzmarktakteure. Dies führt dazu, dass Kapitalbesitzer ihr Geld bevorzugt in die neuen Finanzmarktgeschäfte stecken. Resultat ist eine strukturelle Investitionsschwäche in der Realwirtschaft mit negativen Konsequenzen auf Wachstum und Beschäftigung.

Gleichzeitig hat die Instabilität und Krisenanfälligkeit des Finanzsektors deutlich zugenommen. Die Finanzkrisenhäufen sich. Die Krise 2007/08, die als Hypothekenkrise in den USA begann und sich zu einer internationalen Banken- und Kreditkrise mit beträchtlichen Auswirkungen auf die Realwirtschaft auswuchs, ist der jüngste Beleg dafür. Sie ist die schwerste Finanzkrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Wesentliche Momente der Instabilität sind Wechselkursvolatilität, Kurzfristorientierung, Hochrisikofonds, Offshore Zentren, Derivate, das prozyklische Verhalten („Herdenverhalten“) und die Ansteckungsgefahr bei Krisen. Besonders betroffen sind die verwundbaren Volkswirtschaften der Entwicklungs- und Schwellenländer.

Zusammengenommen haben sich all diese neuen Entwicklungen inzwischen zu einem neuartigen Akkumulationsregime verfestigt, das extrem eigentums- und vermögenszentriert ist. Es wirkt strukturierend auf die nationalen Volkswirtschaften und die Weltwirtschaft ein.

Die multilateralen Finanz- und Wirtschaftsinstitutionen, IWF, Weltbank, WTO, die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich etc. beteiligen sich an führender Stelle an der Durchsetzung des neuen Regimes.

Wir haben es mit einem Umbruch von historischer Tragweite zu tun, ein Systemwechsel vergleichbar der fordistisch-tayloristischen Revolution. Es ist nicht nur ein ökonomischer Prozess, sondern dringt bis in die alltägliche Lebenswelt vor. Es kommt zu einem Gestalt- und Funktionswandel des Nationalstaates hin zum Wettbewerbsstaat. Der klassische Sozialstaat wird abgebaut. Soziale Polarisierung und Prekarisierung nehmen zu. Der Kuchen wächst, aber das Stück, das sich die Finanzmärkte herausschneiden, wird immer größer, das der anderen kleiner.

Handlungsspielräume demokratischer Politik im Rahmen des Nationalstaates werden eingeschränkt. Die Transnationalisierung der Ökonomie führt zur Erosion der Demokratie.

Die öffentlichen Finanzen geraten von zwei Seiten unter Druck: Zum einen werden Staatsquote und Staatsausgaben reduziert, zum anderen geraten über eine Erosion der Steuerbasis die Einnahmen der öffentlichen Hand unter Druck. Resultat ist eine Einschränkung der politischen Spielräume der Politik. Die Folge sind soziale Desintegration und ein wachsendes Risiko politischer Destabilisierung.

Die Zivilgesellschaft muss die Rolle der Finanzmärkte in der Globalisierung systematischer bearbeiten. Ohne tiefgreifende Reformen auf den Finanzmärkten, wird eine demokratische, sozial gerechte und ökologisch tragfähige Gestaltung der Globalisierung nicht möglich sein.

Im Text werden zahlreiche Vorschläge dazu vorgestellt. Zur Abfederung der Wechselkursprobleme werden eine Besteuerung von Devisentransaktionen, Kapitalverkehrskontrollen und - mittelfristig – die Schaffung von regionalen Währungsverbünden vorgestellt.

Die Kurzfristorientierung auf den Finanzmärkten muss zurückgedrängt werden. Instrumente dafür sind u.a. Kapitalverkehrskontrollen und eine Besteuerung mit entsprechender Lenkungswirkung.

Institutionelle Investoren, insbesondere Hedge-, Private Equity Fonds und REITS müssen politischer Regulierung unterworfen werden. Insbesondere ist eine Beschränkung der Fremdkapitalaufnahme notwendig um die Risiken hebelverstärkter Kreditaufnahme zu entschärfen. Darüber hinaus sollten langfristige Anleger erweiterte Stimmrechte bekommen und die Mitbestimmung der Beschäftigten ausgebaut werden. Bereiche der Daseinsfürsorge, wie die sozialen Sicherungssysteme und wichtige Bereiche der Infrastruktur wie Verkehr und Energie sollten der Shareholderdynamik entzogen und öffentlich organisiert sein. Institutionellen Investoren, die von Offshore Zentren und Steuerparadiesen aus operieren, sollte die Geschäftstätigkeit untersagt werden.

Offshore Zentren und Steuerparadiese sind durch internationalen politischen Druck und Instrumente wie Steuern auf das Bankgeheimnis etc. in ihrer ökonomischen Funktion zu neutralisieren.
Für die Gruppe der hochverschuldeten Entwicklungsländer ist ein neues Schuldenregime zu etablieren. Dazu ist ein unkondtionierter und vollständiger Schuldenerlass notwendig, sowie ein internationales Insolvenzrecht.

Das Rating System muss öffentlich, im Rahmen der Finanzaufsicht organisiert werden. Die Finanzaufsicht ist generell zu stärken und zu internationalisieren. Die Zentralbanken müssen demokratischer Kontrolle unterworfen werden.

Flankierend zu alledem werden Reformen der multilateralen Finanzinstitutionen vorgeschlagen. An erster Stelle eine Demokratisierung von IWF und Weltbank, die Beschränkung des IWF auf sein ursprüngliches Mandat als lender of last resort, und die Aufgabe der neoliberalen Strukturanpassungspolitik. Die Regionalisierung der Entwicklungsfinanzierung ist zu fördern, darunter auch von Ansätzen, die unabhängig von den Bretton Woods Institutionen sind. Die Rolle der UNCTAD ist zu stärken und langfristig sollte der ECOSOC zur zentralen Institution ökonomischer Regulierung aufgewertet werden.

Um die Finanzierung globaler öffentlicher Güter wie Entwicklung und Umwelt zu ermöglichen sind innovative Instrumente zu entwickeln. Dabei wird internationalen Steuern eine bedeutende Rolle zugewiesen.

Die Voraussetzungen für Reformen sind derzeit gut. Die zunehmende Akzeptanzkrise des neoliberalen Modells erhöht die Chancen emanzipatorischer Alternativen.