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Hilflos in Gaza: Warten auf die Waffenruhe

Seit dem 14. November eskaliert die Gewalt zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen. Ebenfalls tobt ein medialer Krieg, um die jeweils eigene Wahrnehmung der Geschehnisse zu verbreiten: Israel verweist auf den massiven Raketenbeschuss, die Hamas auf die gezielte Tötung ihrer Führer und die Bombardierung auch ihrer zivilen Einrichtungen.

Jenseits der politischen Konflikte leiden die Zivilisten auf beiden Seiten, über 100 Menschen starben bereits, Hunderte wurden verletzt. Die Heinrich-Böll-Stiftung ist über ihr Büro in Ramallah auch im Gazastreifen aktiv. Sie fördert dort unter anderem Projekte im Bereich Frauenrechte und versucht Analysen zur schwierigen Situation im Gazastreifen insbesondere unter der Land- und Seeblockade seit 2007 zu liefern. Eines der größten Probleme, unter denen die Menschen im Gazastreifen leiden ist die Isolation, besonders seit dem Bruch zwischen Fatah und Hamas im Sommer 2007. Die Blockade hat weitreichende Konsequenzen für die Wirtschaft, Umwelt, medizinische Versorgung und humanitäre Lage im Gazastreifen.

Die vereinten Nationen haben kürzlich in einem ausführlichen Bericht eindrücklich gezeigt, wie wenig Zeit bleibt, um den Kurs zu ändern. Die Heinrich-Böll-Stiftung hat in den letzten Jahren immer wieder versucht, Denkanstöße zu geben, um eine aktive Politik gegenüber dem Gazastreifen zu geben. Dies wird nach dem Ende der aktuellen Gewalt vordringlich sein. Leider steht anstelle notwendiger diplomatischer Initiativen jetzt wieder eine Welle der Gewalt. Erstes Ziel muss es sein, diese rasch zu beenden und jeglichen Schaden von der Zivilbevölkerung auf beiden Seiten abzuwenden.
 
Das ist auch die einzige Sorge der Menschen im Gazastreifen, darunter der Projekt- und Gesprächspartner der Heinrich-Böll-Stiftung vor Ort. Im Folgenden einige Stimmen aus den letzten Tagen.

Abed Schokry, ehemaliger Promotionsstipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung

„Um ehrlich zu sein weiß ich nicht, womit ich anfangen soll. Uns geht es nicht gut unter den derzeitigen Umständen in Gaza-Stadt. Flugzeuge bedecken den Himmel über dem Gazastreifen. Raketen kommen aus der Luft, vom Meer sowie aus den Panzern, die den Gazastreifen umstellen. Aus Gaza werden auch Raketen abgefeuert. Es gibt viele Tote und Verletzte auf beiden Seiten (mehrheitlich Zivilisten). Ich will nicht in diese Spirale hineingeraten: wer hat wann begonnen? Bzw. wie viele Menschen wurden auf der jeweils anderen Seite getötet. Das Aufrechnen bei Kriegen geht niemals auf.

Während ich diese Zeilen schreibe, dauern die Angriffe noch an und das Haus bebt. Gestern Nacht habe ich nicht geschlafen und nicht schlafen können. Das lag an den Angriffen und an den Schreien unserer Kinder. Ihnen kann ich nicht erklären, was hier vor sich geht. Wir fühlen uns so hilflos. Wir haben keine Bunker, keinen Keller in unserem Gebäude.
Ich weiß nicht, ob Sie und Ihr etwas für uns tun könnt. Aber Nein zu einer Fortsetzung des Kriegs gegen den Gazastreifen, ist das Mindeste, was ich erwarte. Denn das tun Sie nicht nur für uns, sondern auch für die Bevölkerung nebenan. Seien Sie mutig und teilen Sie ihren Regierungen deutlich mit, dass genug Menschen gestorben sind und dass dieser Krieg sofort gestoppt werden muss.“

Omar Shaban, Direktor Palthink

„Gestern Nacht wurde mein Nachbarhaus bombardiert. Es war die Hölle, eine halbe Stunde nach Mitternacht hörten wir einen ohrenbetäubenden Knall. Eine Rakete, von einem Kampfjet abgefeuert, hat das Nachbarhaus zerstört. Es ist einfach in sich zusammengefallen, und zurück blieb ein riesiger Krater. Danach herrschte Stille und man hörte weinende Kinder in der Nachbarschaft. Mein Nachbar wurde getötet. Er gehörte dem „Islamischen Jihad“ an, war aber keine Führungsperson. Solche Tötungsaktionen sind natürlich nicht geeignet, einen Waffenstillstand zu befördern. Sie sind komplett kontraproduktiv, langfristig werden die militanten Fraktionen hier so gestärkt werden. Es ist absehbar, dass auch Hamas gestärkt aus dieser Auseinandersetzung hervorgehen wird. Ich hoffe, dass jetzt schnell ein Waffenstillstand ausgehandelt werden kann.“

Zeinab Ghuneimi, CWLRC

„Uns geht es gut, bisher ist dem ganzen Team Gott sei Dank nichts passiert. Aber wir haben natürlich große Angst. Wir höre alle möglichen schrecklichen Geschichten und um uns herum hören wir die Bombardements. Wir hören Radio um zu erfahren, wo die Bomben landen. Jetzt hören wir von den ägyptischen Delegationen, die nach Gaza kommen. Willkommen! Aber war es notwendig, dass erst so viele Menschen sterben und verletzt werden, ihre Häuser und Einrichtungen zerstört werden, bevor es überhaupt Bewegung im Gazastreifen gibt? Am schlimmsten ist das Gefühl hier vergessen zu werden, völlig hilflos zu sein. Wir hoffen einfach nur, dass das schnell vorübergeht und wir uns hier im Gazastreifen unbeschadet wiedersehen.“


Dr. René Wildangel ist der Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah.