Zeitenwende

Was vergeht und neu entsteht.

17. April 2009
Ralf Fücks
Von Ralf Fücks

Es gibt solche Krisen und solche. Manche gehen vorüber, ohne bleibende Spuren zu hinterlassen, andere markieren eine historische Zäsur. Man braucht nicht viel prophetisches Vermögen, um vorauszusagen, dass die gegenwärtige Erschütterung der Weltwirtschaft als Zeitenwende in die Geschichtsbücher eingehen wird. Ein beinahe 25-jähriger Wachstumszyklus geht zu Ende, der die fast eine Milliarde Menschen in den emerging countries aus der gröbsten Armut gezogen hat, während zugleich an der Spitze der sozialen Pyramide eine sagenhafte Akkumulation von Reichtum stattfand – nicht nur in der Alten Welt, sondern gerade auch bei den Neureichen in China, Russland, Indien oder Brasilien.

Getrieben wurde dieser Zyklus durch eine globale Liberalisierung der Märkte, eine sprunghafte Zunahme des Welthandels, vor allem aber durch eine fieberhafte Expansion des Finanzsektors. Dort wurde das große Geld verdient und das große Rad gedreht, das jetzt die Weltwirtschaft an den Rand des Abgrunds geführt hat. Gestern waren Wall Street und Londoner City noch das Doppelherz des globalen Kapitalismus, heute sind sie das Epizentrum der Krise.

Ausgelöst wurde der globale Crash durch das Platzen der Immobilienblase in den USA, mit der Scheinwerte geschaffen wurden, auf die weitere Kredite gezogen werden konnten. Mit ihr ist auch ein Wachstumsmodell kollabiert, das von der Ausweitung der öffentlichen und privaten Verschuldung getrieben wurde.

Der Turbokapitalismus hat den Bogen überspannt. Die Zeiten wundersamer Kapitalvermehrung durch immer neue Finanzprodukte sind vorüber. Zukünftig wird es wieder mehr darum gehen, sinnvolle Dinge herzustellen und Dienstleistungen anzubieten, die einen Mehrwert für den Kunden schaffen, als mit spekulativen Geschäften schnell reich zu werden. Die ökonomische Leitfigur der Zukunft wird nicht der Investmentbanker sein, sondern der Unternehmer (oder die Unternehmerin), der einen Beitrag zum gesellschaftlichen Fortschritt leistet. Statt der Fixierung auf kurzfristige Profitmaximierung wird es um nachhaltigen Wertzuwachs gehen.

Der Kapitalismus der Zukunft wird moralischer sein – weil auf Dauer nur verantwortliches Handeln Wohlstand schafft.

Globale Regeln für globale Märkte

Marktwirtschaften sind höchst voraussetzungsvolle Systeme. Sie erfordern Transparenz, Machtbegrenzung durch Wettbewerb, effektive Preisbildung, Eigentümerhaftung und eine Balance von Gewinn und Risiko. Werden diese checks & balances außer Kraft gesetzt, läuft das System aus dem Ruder. Genau das ist passiert.

Wenn von Marktversagen gesprochen wird, muss man im gleichen Atemzug vom Staatsversagen reden. Denn es obliegt den Staaten, die Ordnung der Märkte zu gewährleisten, und es waren die Regierungen, die im Zuge der Standortkonkurrenz ganze Bereiche der Finanzindustrie aus ihrer Regelungskompetenz entlassen haben.
Es ist abwegig, dass jedes Medikament aufwändige Zulassungsverfahren durchlaufen und jedes Auto vom TÜV zugelassen werden muss, während Finanzprodukte, welche ganze Volkswirtschaften aushebeln können, ohne jede Risikovorsorge in Umlauf gebracht werden konnten.

Die Krise offenbart die Gebrechen der Globalisierung: den Mangel an globaler Regulierung, die extremen Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft, die ungleiche Verteilung von Vorteilen und Risiken. Ganze Gesellschaften, die sich in den letzten Jahren zu bescheidenem Wohlstand emporgearbeitet hatten, drohen in den Überlebensmodus zurückgeworfen zu werden. Ein Rückfall in ökonomischen Nationalismus (vulgo Protektionismus) würde die Probleme nur verschärfen. De-Globalisierung ist keine Utopie, sondern ein Schreckgespenst. Nicht nur wegen der damit verbundenen weltweiten Wohlstandsverluste, sondern weil eine ökonomische Fragmentierung auch den politischen Nationalismus anfachen würde – die 30er-Jahre lassen grüßen.

Gefordert ist jetzt mehr Kooperation und Koordination. Aktuell müssen der Internationale Währungsfonds und die Weltbank gestärkt werden, um ihre Rolle als globale Feuerwehr spielen zu können. Auch das ist nicht ohne politische Reformen zu haben. Es führt kein Weg daran vorbei, den aufsteigenden Wirtschaftsmächten und den Entwicklungsländern eine faire Mitsprache in diesen Institutionen zu geben. Die Zeit der westlichen Hegemonie über die Weltwirtschaft geht zu Ende. Wir müssen lernen, Macht und Wohlstand zu teilen, um einen Kampf aller gegen alle zu vermeiden.

Auch die Defizite der EU werden von der Krise gnadenlos aufgedeckt. Wir haben einen Binnenmarkt und eine weitgehend gemeinsame Währung, aber keine europäische Koordination der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Dabei sind die europäischen Volkswirtschaften längst auf Gedeih und Verderb miteinander verflochten. Solidarität mit den Ländern, denen jetzt das Wasser bis zum Hals steht, ist kein Altruismus, sondern ein Akt der Vernunft.

Dazu gehören aber auch verbindliche Regeln, die fiskalische Disziplin erzwingen und einen Steuerwettlauf zu Lasten der Gemeinschaft verhindern. Wenn die EU ihre Chance nutzt, wird sie gestärkt aus der Krise hervorgehen. Versagen die europäischen Regierungen, droht eine Erosion der Gemeinschaft und ein Auseinanderbrechen der Eurozone.

Doppelkrise von Ökonomie und Ökologie

Was die gegenwärtige Situation von allen vorausgegangenen Erschütterungen der Weltwirtschaft unterscheidet, ist das Zusammentreffen der ökonomischen mit der ökologischen Krise. Nicht nur die Geld- und Warenkreisläufe sind gestört, auch das Ökosystem ist aus den Fugen, von dem das menschliche Leben auf diesem Planeten abhängt. Der Klimawandel ist der schlagende Beweis dieser Krise. Schwindende Ölvorräte, Überfischung der Meere, Wasserknappheit und Verlust fruchtbaren Ackerlands sind weitere Alarmsignale. Deshalb gibt es auch keinen Rückweg zum Wirtschaftswachstum alten Typs.

Die Parallelen, die zu dieser Doppelkrise von Umwelt und Wirtschaft geführt haben, sind frappierend. Beide beruhen auf massiven Anleihen auf die Zukunft: einmal in Form von pekuniären Schulden, mit denen der Konsum finanziert wurde, zum anderen in Form von ökologischen Schulden. In beiden Fällen handelt es sich um die Externalisierung von Folgekosten zu Lasten künftiger Generationen: genieße heute, zahle später. Diese Form einer ruinösen Schuldenökonomie muss endlich aufhören. Das heißt auch: Die Preise müssen die ökologischen Kosten wiedergeben, damit der Markt die richtigen Signale an Investoren und Konsumenten geben kann. Die Instrumente dafür sind bekannt: Sie heißen Öko-Steuern und Verknappung der CO2-Emissionen, die als Kosten für Unternehmen und Verbraucher zu Buche schlagen müssen.

Angesichts des drohenden Kollapses der Biosphäre geht es um nichts weniger als eine grüne industrielle Revolution: eine sprunghafte Steigerung der Ressourceneffizienz, den Übergang zu erneuerbaren Energien im großen Stil, die Entwicklung einer neuen Generation umweltfreundlicher Produkte und Technologien, die Umstellung auf biologische Rohstoffe und Verfahren und der Bau von Häusern, die zu Netto-Energieerzeugern werden. Mit anderen Worten: es geht um ein grünes Wirtschaftswunder, das massenhaft sinnvolle Beschäftigung schafft.

Green New Deal

Die Unsummen, die jetzt von den Regierungen weltweit für die Ankurbelung der Konjunktur ausgeworfen werden, müssen genutzt werden, um die Fundamente für ein nachhaltiges Wachstum zu legen. Wenn wir diese Gelegenheit verpassen, geraten wir in eine doppelte Falle: wir sitzen dann auf riesigen Schuldenbergen, die den staatlichen Handlungsspielraum gerade dann begrenzen, wenn die ökologische Krise sich zuspitzen wird.

Investitionen in grüne Technologien sind Pflichtprogramm Nummer eins. Pflichtprogramm Nummer zwei sind Investitionen in Menschen, vorrangig in Erziehung, Bildung und berufliche Qualifizierung. Wir können damit gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: Bildung ist der Schlüssel für Chancengerechtigkeit und sozialen Aufstieg, also für eine gerechtere Gesellschaft. Und zugleich sorgen wir dafür, dass Europa trotz des demographischen Wandels eine kreative, dynamische Gesellschaft bleibt, die ihren Wohlstand auch in Zukunft bewahren kann.

Wenn wir es klug anstellen, dann nutzen wir die Krise für einen großen gesellschaftlichen Aufbruch Richtung Ökologie und Fairness.

Ob wir das einen « Green New Deal » nennen oder einen Pakt für die Zukunft: Wichtig bleibt, dass wir jetzt alle Kräfte mobilisieren, um als Gesellschaft besser aus der Krise herauszukommen, als wir hineingegangen sind.

Ralf Fücks ist Mitglied des Vorstands der Heinrich-Böll-Stiftung.

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.

Böll.Thema Ausgabe 1/2009 - Green New Deal

Wir befinden uns inmitten einer Transformationskrise des Kapitalismus. Im Zentrum steht die Idee eines «Green New Deal», die weltweit als Antwort auf die Doppelkrise von Wirtschaft und Umwelt diskutiert wird. Diese Ausgabe von Böll.Thema leuchtet aus, wie die Weichen in Richtung Zukunft gestellt werden können. mehr»

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