Afrika und der Nahe Osten in der „neuen Weltordnung“

Verlierer oder Strategische Partner zur Bewältigung multipler Krisen?

17. Juni 2009
Von Kirsten Maas-Albert

Von Kirsten Maas-Albert

„Eine neue Weltordnung entsteht, und damit treten wir in eine neue Ära internationaler Zusammenarbeit ein“, so versprach Gordon Brown, britischer Premier und Gastgeber beim G20 Gipfel in London. Unzweifelhaft wurde dieser Gipfel als eines der bedeutendsten Foren in Zeiten global bedrohlicher Krisen angesehen. Doch solche Töne aus der Metropole des einstigen Empires wirken in anderen Teilen der Welt wenig vertrauenerweckend. In London berieten 24 Vertreter über eine Welt von 190 Staaten. Das gibt zu denken: vor allem in Afrika und dem Nahen Osten, die nur durch je einen Staatsführer (Südafrika und Saudi Arabien) repräsentiert waren, und sich bislang bei den globalen Neuordnungsbemühungen als Verlierer fühlen dürften.

Die Wirtschaftskrise trifft Schwellen- und Entwicklungsländer härter als erwartet

Nach dem Crash an der Wall Street sind neben den so genannten Schwellenländern auch die Entwicklungsländer viel stärker betroffen als man zunächst vermutet hatte. Schon in diesem Jahr droht die Wirtschaftskrise  in mehr als der Hälfte der Entwicklungsländer (und in zwei Drittel bis drei Viertel der afrikanischen Staaten) insgesamt bis zu 90 Millionen Menschen unter die Armutsgrenze zu treiben. 

Die Krise überträgt sich anders als in den Industrienationen weniger im Bankensystem als durch den Einbruch des Handels, durch Preisverfall, sinkende Nachfrage, fallende Heimatüberweisungen und rückläufige ausländische Investitionen sowie einem schlechteren Zugang zu den Kapitalmärkten.

Afrikas erfreulichen Wachstumsraten der letzten Jahre haben damit ein abruptes Ende gefunden – laut Afrikanischer Entwicklungsbank von 6.2 Prozent in 2007 auf erwartete 4.6 Prozent im Jahr 2009. Im Nahen Osten sank die Wachstumsrate von 5.5 Prozent 2008 auf erwartete 3.3 Prozent in diesem Jahr. Für den Chefökonomen der Weltbank, Justin Yifi Lin, ein „fürchterlicher Verlust an Wohlstand“ und eine Krise vor allem auch der menschlichen Entwicklung. Die UN Millenniums Entwicklungsziele für 2015 werden damit zum unerreichbaren Traum.

„Für uns in Nigeria hätte die Krise nicht zu einem schlechteren Zeitpunkt kommen können,“ schreibt der ehemalige Vizedirektor der nigerianischen Zentralbank und Direktor des Center for Policy and Economic Research in Abuja, Obadiah Mailafia. „Erst kürzlich konnten wir durch die Zahlung einer stattlichen Summe von 13 Milliarden US-Dollar an den Pariser Club unsere Schulden tilgen... Bis März letzten Jahres war der nigerianische Kapitalmarkt in Bezug auf Rendite der weltbeste.“ Für Nigeria, dessen Auslandseinnahmen zu 90 Prozent von Rohölexporten abhängen, bedeutet der Verfall des Weltpreises für Erdöl einen drastischen Einbruch der Einnahmen. Das eben noch boomende Angola trifft es noch härter: Hier ist die Wachstumsrate von 20.9 Prozent in 2007 auf erwartete 7.6 Prozent abgesunken.

Äthiopien hatte als eines der ärmsten Länder der Welt nicht ernsthaft angenommen von den Schockwellen des Finanz-Tsunamis erreicht zu werden. Erst als im Oktober 2008 die großen Börsen beinahe zusammenbrachen, begriff man, dass etwa 1.5 Millionen Äthiopier die in den USA leben von der dortigen Rezession betroffen sein würden und ihren Familien in der Heimat nicht mehr die bislang üblichen Beträge überweisen könnten. Die zu erwartenden steigenden Arbeitslosenzahlen in Europa werden unmittelbare Auswirkungen auf die Rücküberweisungen der Arbeiter Marokkos, Algeriens und Tunesiens haben (in Nordafrika bzw. dem Maghreb, der geographischen Schnittstelle beider Regionen).  Eine Vielzahl der von Entwicklungshilfe lebenden Länder erleben, wie sensibel die bi- und multilaterale Hilfe auf wirtschaftliche Krisenerscheinungen reagieren.

Ein Land wie Kenia, das sich gerade auch wirtschaftlich erst von den schweren Unruhen infolge der Wahlen vom Dezember 2007 erholte, befürchtet vor allem Einbrüche im Tourismus. In Südafrika sind die verarbeitende Industrie und der Groß- und Einzelhandel von einer sinkenden Binnennachfrage getroffen. Die anstehenden Entlassungen in Branchen wie der Automobilindustrie werden keinen guten Start für den gerade gewählten Präsidenten  Jacob Zuma zulassen. Angesichts der Folgen der Wirtschaftskrise nahm der ANC schon im Wahlkampf das Versprechen „a better life for all“ zurück und formulierte eine Zukunft für die verarmte schwarze Bevölkerung, in der es gilt selbst mit anzupacken: „working together we can do more“.

Der Afrikanische Kontinent leidet besonders stark unter der Nahrungsmittel- und Klimakrise

In den meisten anderen afrikanischen Ländern war die im Vorjahr herrschende Preissteigerung von Nahrungsmitteln zunächst das größere Problem. Strukturelle Probleme bei der Nahrungsmittelproduktion hatten in vielen Ländern seit Jahren erhebliche Importe notwendig gemacht. In der zweiten Jahreshälfte 2008 zeichnete sich eine schwere Hungerskrise am Horn von Afrika ab. Ein Problem, das den Nahen Osten ähnlich stark traf: Auch aus Kairo kamen Meldungen über Massenproteste angesichts steigender Preise für die Grundnahrungsmittel. Die globale Klimakrise wird sogar auf dem afrikanischen Kontinent die weltweit schlimmsten Auswirkungen zeigen, obwohl die Staaten Afrikas kaum zum weltweiten CO²-Ausstoß beitragen.

Die Bevölkerungen Afrikas und des Nahen Ostens leiden gleichsam unter zumeist schlechter Regierungsführung und korrupten Machenschaften der eigenen Eliten. Für sie besteht die Herausforderung darin, ein gesundes Gleichgewicht zu finden zwischen der für die eigene Entwicklung so wichtige Leistungsfähigkeit ihrer nationalen Märkte und einem sozial (und ökologisch nachhaltig) regulierenden Staat.

Reformen des IWF und der Weltbank

Doch die global anstehenden Reformen dürften genauso entscheidend für die Zukunft beider Regionen sein. Ein Beispiel ist die dringend notwendig gewordene Reform des IWF und der Weltbank: Die auf dem G20 in London für Entwicklungsländer bereitgestellten 240 Milliarden US-Dollar dürfen nicht wieder gekoppelt werden an unverträgliche und konjunkturhemmende Bedingungen.
  
So wie die Kreuzritter des „freien Spiels der Märkte“ plötzlich Schutz beim bislang so verpönten Staat suchen und dabei Grundwerte des Kasinokapitalismus aufgeben, so suchen die am stärksten betroffenen reichen Staaten, die ärmeren in die Pflicht zu nehmen. Zwar wurde in London dem vielfach anvisierten Protektionismus eine vorläufige Absage erteilt, doch wurde dabei kaum differenziert: Entwicklungsländer aber brauchen einen gewissen Protektionismus, um ihre Industrien überhaupt entwickeln und Kleinbauern schützen zu können.

Auf dem afrikanischen Kontinent wie im Nahen Osten  ist man sich bei der Schuldfrage für die jetzige Krise geradezu einig: Auf die USA wird gedeutet, und insbesondere auf die Abkehr vom Multilateralismus unter der Bush-Regierung. Diese, gekoppelt mit den „militärischen Abenteuern“ in Afghanistan und im Irak, hätten das amerikanische Volk „verarmen“ lassen und zum „Chaos“ auf internationalen Märkten beigetragen. Der jetzigen Administration unter Obama hingegen stehen teils vielleicht überzogene Hoffnungen gegenüber.

Chancen für Afrika und den Nahen Osten?

Wo aber lägen reale Chancen für Afrika und den Nahen Osten, in einer neuen Weltordnung doch nicht abgehängt zu werden? Afrika produziert gerade einmal drei Prozent des globalen Bruttosozialprodukts. Doch aufgrund seiner Bedeutung als Fundort strategisch wichtiger Rohstoffe könnte es zu mehr Mitsprache drängen. Zunehmende Verarmung und weiterhin ungelöste Konflikte und Kriege hingegen sind ein nicht unerhebliches Gefahrenpotential und suchen in einer auch sicherheitspolitisch neu zu fassenden Ordnung nach Antworten. Wichtig für die globale Sicherheitslage wird auch sein, wie sich die Konflikte des Nahen Ostens weiter entwickeln, die von strategischem Interesse für die USA und Europa sind. Gleichsam sind die Ergebnisse der Verhandlungen über einen Nachfolge Atomwaffen-Sperrvertrag 2010 bedeutend für die globale Sicherheitslage.

Die Verknüpfungen der globalen Krisen ist nirgends deutlicher zu spüren als in Afrika: Klimawandel, Nahrungsmittelkrise und Wirtschaftskrise drängen den Kontinent weitgehend unverschuldet in unerreichbare Ferne von den Milleniumsentwicklungszielen. Ein Zusammendenken der Krisen und Bewältigungsaufgaben sollten also gerade hier ansetzen und Anstöße für die globalen Regulierungsmechanismen  entwickeln.

Die afrikanischen und arabischen Staaten, die in den Club der Reichen drängen, erheben ihre Stimme bislang zumeist mit Forderungen. Sie unterbreiten aber stärker als bisher auch Vorschläge, wie die Welt neu zu ordnen sei. Weder die Arabische Liga noch die Afrikanische Union erscheinen bislang jedoch geeignete Zusammenschlüsse, um unüberhörbares Sprachrohr für diese Forderungen und Vorschläge zu sein. Südafrika hat der eigenen Stimme bereits durch den Zusammenschluss mit Indien und Brasilien (in IBSA) mehr Gewicht gegeben. Subregionale Zusammenschlüsse und Strategiebildungen sind hingegen in beiden Regionen noch zu wenig wahrgenommen.

Die dringend notwendige strukturelle Reform der Konditionalitäten vor allem des IWF wirklich durchzusetzen, bedarf weitaus mehr strategischen Handelns als es die beiden Regionen bisher gezeigt haben. So bleibt man wieder vom „good will“ der Industrienationen abhängig.

Der Text erschien in: Neue Gesellschaft Frankfurter Hefte 6/2009.

Kirsten Maas-Albert ist Leiterin der Afrika-Abteilung der Heinrich-Böll-Stiftung.