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Progressive Verfassung – konservative Bevölkerung

"Looking back, over his shoulder". Foto von André- Piere. Dieses Foto steht unter einer Creative Commons Lizenz.

28. Januar 2010
Renate Wilke-Launer
Von Renate Wilke-Launer

Die südafrikanische Verfassung von 1996 wird in aller Welt gerühmt, weil sie verbietet, jemand aufgrund seiner sexuellen Orientierung zu diskriminieren. 2006 wurde – gegen viel Widerstand – zusätzlich ein Gesetz verabschiedet, das die Eheschließung zwischen zwei Männern oder zwei Frauen ermöglicht. Doch die ganz überwiegende Mehrheit der Südafrikaner ist nach einer im November 2008 veröffentlichten Untersuchung des « Human Science Research Council » der Meinung, dass Sex zwischen Frauen oder zwischen Männern nicht akzeptabel und «unafrikanisch» sei. Das führt zu regelrechten Hassattacken auf weibliche und männliche Homosexuelle bis hin zum Mord. Die Frauen der Coalition of African Lesbians (CAL), einer Partnerorganisation der Heinrich-Böll-Stiftung, berichten auch von Fällen von angeblich «kurierender Vergewaltigung» – der Vorstellung, eine Frau durch Sex mit einem Mann von ihrer «Krankheit» zu heilen. OUT LBGT Well-being, eine Organisation von und für LBGT -Gemeinschaften, beschreibt die südafrikanische Gesellschaft als konservativ, patriarchalisch, hetero-normativ und gegenüber Homosexuellen voreingenommen. OUT leistet deshalb in
Tshwane (Pretoria) medizinische und psychologische Hilfe und unterhält dafür eine eigene kleine Klinik und eine Telefon-Hotline. Über diese Einzelfallbetreuung hinaus kümmert sich OUT um Treffpunkte und Gemeinschaftsbildung. Die Organisationhat auch gezielt mit dem Department of Social Services in der Provinz gearbeitet, um die speziellen LGBT-Interessen als Querschnittsthema in soziale Dienstleistungen zu integrieren, insbesondere im Bereich der psychosozialen Notdienste. Weil auch in der Forschung nicht genügend auf LBGT -Belange eingegangen wird, betreibt OUT eigene Forschungsprojekte, manche davon gemeinsam mit führenden nationalen und internationalen Organisationen.

Wenig Koordinierung unter feministischen und LBGT-Gruppen

Die Heinrich-Böll-Stiftung unterstützt das «Advocacy & Mainstreaming Programme» von OUT, das Lobbyarbeit für weitere Veränderungen in der Gesellschaft betreibt und durch Aufklärung und Training Vorurteile abbauen will. Dazu versucht es nicht nur, die LBGT -Gemeinschaften zu organisieren und sie zur Wahrnehmung ihrer Rechte zu befähigen, sie sucht auch die Zusammenarbeit mit anderen sozialen Bewegungen und Menschenrechtsorganisationen. Die feministischen Organisationen und die LBGT -Gruppen arbeiten noch ziemlich nebeneinander her, sagt Antonie Nord, Leiterin des Stiftungsbüros in Kapstadt. Während OUT weitgehend auf Südafrika beschränkt ist, arbeiten in der 2003 gegründeten CAL 19 Organisationen aus 11 afrikanischen Ländern zusammen. CAL bekennt sich zu einem radikalen feministischen Grundverständnis und hat sich zum Ziel gesetzt, Afrika so zu verändern, dass lesbische Frauen sich öffentlich zu ihrer Lebensform bekennen können und in allen Rechten gleichgestellt sind. FikileVilakazi, die Direktorin, wünscht allen Frauen die dazu nötige «Kühnheit und Stärke sowie den Mut, Vorurteile gegen sexuelle Minderheiten nicht nur in Frage zu stellen, sondern auch Antworten zu verlangen.»Die Heinrich-Böll-Stiftung unterstützt CAL auch darin, bei der African Commission on Human and People’s Rights (ACHPR) offiziellen Beobachterstatus zu bekommen.

Rückzugsmöglichkeiten für homosexuelle Männer und Frauen

Angesichts der Wohnverhältnisse in vielen südafrikanischen Townships, in denen Häuschen neben Häuschen und «shack» (Wellblechhütte) neben shack steht, gibt es für homosexuelle Frauen und Männer nur begrenzt Rückzugsmöglichkeiten. Die Heinrich-Böll-Stiftung fördert deshalb in Kapstadt das Triangle Project, dass solche Räume schafft. Im Stadtteil Mowbray unterhält die Organisation ein Drop-in-Zentrum. Wie notwendig das ist, zeigen nicht nur die «kurativen» bzw. «korrektiven» Vergewaltigungen, sondern auch Morde an lesbischen Frauen. In Guguletu (Kapstadt) wurde 2006 die 19-jährige Zoliswa Nkonana gesteinigt und dann mit einem Golfschläger getötet. In Meadowlands bei Johannesburg wurden im Juli 2007 Sizakele Sigasa und Salome Masooa exekutionsartig hingerichtet, zehn Monate später wurde die lesbische Fußballerin Eudy Simelane in Kwathema von mehreren Männern vergewaltigt und anschließend  ermordet. Marlow Valentine vom Triangle Projekt weist darauf hin, dass alle ermordeten Frauen schwarz waren. "LBGT-Personen, die in städtischen und besser ausgestatteten Vierteln leben, verschließen die Augen vor dem, was uns passiert. Viele beruhigen sich damit, dass wir ja eine schöne Verfassung und Gesetze haben. Klassenzugehörigkeit, Privilegien, Status, Hautfarbe und Geschlecht– alle diese Faktoren spielen eine große Rolle dabei, was einen betrifft und bewegt."

 

Links:

Der Text ist der Broschüre der Heinrich-Böll-Stiftung "Geschlechterpolitik macht einen Unterschied" entnommen.