Sony Labou Tansi war ein intuitiver Romancier. "Der Körper", lässt er den Erzähler in Verschlungenes Leben sagen, "ist ein Verräter: Er verkauft dich an die Außenwelt, macht dich verfügbar für andere." Dieser Satz fällt in einer Passage, in der ein Mediziner zu Tode gefoltert wird, kurz nach der folgenden Schilderung: "Man hatte ihn nackt vor den Führer der Vorsehung geführt. Ohne viel Aufhebens zerschnippelte ihm dieser den 'kleinen Mann' und erhob ihn damit – wie man hierzulande zu sagen beliebte – in den Anklagezustand. Die meisten Zehen hatte er in der Folterkammer gelassen, gewagte Hautlappen ersetzten die Lippen (...)".
Derart wird Dr. Tschi, ein ehemaliger Minister, "bestraft", weil er Chaidana, die Tochter des unerbittlichen Gegners Martial entführt und versteckt hat. Martial wurde zwar zerstückelt und in Brei verwandelt, doch er hört nicht auf, dem Führer zuzusetzen. Der Körper, befindet also der Erzähler, "macht dich verfügbar für andere". Bekannt ist jenes Schwarz-Weiß-Foto, das den gefangenen Patrice Lumumba zerzaust und ohne Brille mit auf dem Rücken gefesselten Armen zeigt. In der Nacht, einige Stunden zuvor, hatte er versucht, seinen Körper vor seinen Feinden in Sicherheit zu bringen. Der Körper des Menschen ist sehr bescheiden; viele andere Säugetiere überragen ihn an Größe und Gewicht. Aber dieser Körper ist zweifellos am schwersten zu schützen. Er ist einzigartig. Die anderen Menschen, die seine einzigen Feinde sind, erkennen ihn unter Tausenden anderen. Lumumba – ich meine den Körper von Lumumba – wird also gefangen genommen, gefoltert, getötet. Jahrzehnte später erzählte einer der Männer, die das getan hatten – ein Greis in Erwartung des letzten Krebsstadiums oder des nächsten Alzheimerschubs –, wie sie diesen Körper in Stücke geschnitten und dann in Säure aufgelöst hätten. Sony Labou Tansi ist also ein realistischer Schriftsteller.
Der Körper Lumumbas wurde einem Ideal geopfert – die Unabhängigkeit für sein Volk ist eine Forderung des Geistes. Der Körper Mobutus hatte sich selbst zum Zweck oder vielmehr, er hatte überhaupt keinen Zweck. Und dennoch wurde sogar er, Mobutu, der seinen Körper so sehr pflegte, der ihn so sehr umsorgte und mit Luxus, Frauen, Palästen, Leopardenmützen und Stöcken ausstattete, sogar er wurde letztlich von diesem Körper verraten. Am Ende musste er überstürzt aus einem seiner Paläste fliehen, um seinen von Krankheit angenagten Körper in Sicherheit zu bringen. An dieser Stelle erinnern wir uns an das letzte Treffen zwischen ihm und Laurent-Desiré Kabila auf einem südafrikanischen Kriegsschiff; auf dem Wasser begegnen sich der abgezehrte Körper des einen und der große und fette Körper des anderen. Und zwischen den beiden Bestien der schmale und vom Ideal geadelte Körper Mandelas.
Der Körper ist ein Verräter, sagt uns der Erzähler von Sony Labou Tansi. Bokassa traktierte den Körper eines seiner Minister auf dem Tisch des Ministerrats mit einem Rasiermesser. Als Kind habe ich einige derer gesehen, denen er ein Ohr abgeschnitten hatte; vor allem ein junger Kerl, der Maurice hieß und in Berbérati in der Nachbarschaft wohnte. Als Bokassa selbst den eigenen Köper über Jahre vor seinen vielen Feinden in Sicherheit bringen musste, wusste er nicht, wohin mit ihm. Er irrte von einem Land zum andern, von einen Schloss in Frankreich zu einer Residenz an der Elfenbeinküste. Und als er sich nach langem Sträuben dazu entschloss, im Flugzeug nach Zentralafrika zurückzukehren, wurde dieser arme Körper, der nun seinem Bewohner zur Last geworden war, sofort erkannt, man benachrichtigte seine zahlreichen Opfer von damals und sie nahmen ihn in Besitz, entkleideten ihn und warfen ihn ins Gefängnis. In der Zeit, die seinem Tod vorausging, wurde dieser Körper nicht einmal mehr regelmäßig ernährt.
Das unabhängige Afrika ist reich an Körpern. Der Polygamist häuft sie an; jeder "Präsident" hat mehrere Millionen; fast die ganze Welt stellt sich nichts Besseres vor als den Körper ... In Die tödliche Tugend des Genossen Direktor, wiederum von Sony Labou Tansi, äußert sich die politische Aktivistin Yealdara folgendermaßen über den Ersten Parteisekretär, dessen Avancen sie für die Erfordernisse ihres Kampfes nachgibt. "Er hatte sicherlich Verrat begangen und getötet, um seinen Posten zu bekommen. Und wozu benutzte er ihn als Erstes? Um Mädchen aufs Kreuz zu legen." Sony Labou Tansi ist ein Moralist. Der Staat, das organisierte gesellschaftliche Leben entstehen aus der Anstrengung und aus der Fähigkeit der Menschen, Instinktives, Lust und Begehren aufzuschieben oder darauf zu verzichten. Der Erste Parteisekretär hat jahrelang Energie darauf verwandt, eine Machtstellung zu erlangen, ohne daran zu denken, sich Sicherheitsbedingungen für seinen Körper zu schaffen. Er hat nicht verstanden, dass, wie in der Wildnis, kein Körper in Sicherheit ist, wo für alle der Körper oberste Priorität besitzt. Wesen, die als Wahres nur den Körper und seine Freuden kennen, wissen daher nicht, wie man diesen Körper schützt. In dieser Ratlosigkeit lässt uns das halbe Jahrhundert afrikanischer Unabhängigkeit zurück.
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Der Autor Théo Ananissoh wurde 1962 in der Zentralafrikanischen Republik als Sohn togolesischer Eltern geboren. Er besitzt die togolesische Staatsanghörigkeit. Er studierte moderne Literatur und vergleichende Literaturwissenschaften an der Université de Paris 3, Sorbonne Nouvelle und lehrte in Frankreich und Deutschland. Seit 1994 lebt er in Deutschland. Ananissoh hat drei Romane bei Gallimard in der Buchreihe „Continents noirs“ veröffentlicht sowie einen Bericht über die Jugend in Tunis.