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Senegal: Generationenwechsel

Nafissatou Dia Diouf ist eine der bekannstesten Autorinnen ihres Landes. Ihre Gedichte und Erzählungen wurden in Frankreich, Kanada und im Senegal ausgezeichnet. Foto: privat.

Von Nafissatou Dia Diouf
Unsere Führer mögen zwei Dinge: die Folklore und die eigene Stimme.

Folklore hat Tag und Nacht der Unabhängigkeit meines Landes durchdrungen: die Euphorie meiner Eltern und ihrer Generation, als sie sangen und tanzten, herausgeputzt in ihren Hosen mit weitem Schlag, in ihren Mini-Röcken und mit der Zigarette im Mundwinkel. Der Einfluss der Kolonialherren war nicht weit.

Die Sprache dagegen war die Waffe der neuen Elite, der Menschen mit dem Scheitel an der Seite (soweit es jedenfalls ihre krausen Haare erlaubten). Die Beherrschung des Französischen erhob sie zu Menschen mit Schlips und Kragen, mit sorgfältig gebügelten Anzügen unter der bleiernen Sonne, also zu “Intellektuellen“. Sie blickten verächtlich auf die ungebildeten (aber keineswegs dummen) Bauern herab, die die Mehrheit der Bevölkerung ausmachten, aber weiter zum Schweigen verurteilt waren. Man erinnerte sich nur an sie, wenn gerade Wahlen anstanden – falls es denn überhaupt Wahlen gab. Die Politiker dagegen haben mit ihrer gepflegten Sprache die urbane Welt besetzt, also die Salons (nach Pariser Stil ausgestattet), die Versammlungen, die öffentlichen Orte.

Außer dem Fest der Unabhängigkeit haben meine Landsleute wenig Gelegenheit zum Singen und Tanzen gehabt. Sie merkten sehr schnell, dass es keine Unabhängigkeit geben kann ohne ökonomische Macht, dass es keine Selbstbestimmung gibt, wenn eine ganze Armee von Entwicklungshelfern (coopérants) und die internationalen Institutionen die Wirtschaftspolitik des Landes bestimmen, als wären wir unter Vormundschaft. Kurz gesagt: es gibt keine Freiheit, wenn man die Möglichkeit und Mittel nicht hat, ganz einfach Nein zu sagen.

Fünfzig Jahre … und jetzt? Die Menschen mögen ja immer noch die Jubiläen, die runden Zahlen, die Symbole. Aber jetzt und hier, machen wir uns nichts vor, gibt es nichts zu feiern!
 
1960 – 2010: Man gibt sich immer noch der langen Klage über die Desillusionierung hin. Die Lieder und Tänze erfreuen meine Generation nicht mehr, die inzwischen selbst erwachsen geworden ist. Die gewählten Worte der Politiker können uns nicht mehr einlullen: Ein leerer Bauch hat keine Ohren.

Das Land stirbt uns unter den Händen weg. Die Aufgabe, die sich uns stellt, ist sowohl salzig als auch bitter: wir müssen einen Strich ziehen unter die Vergangenheit, wir müssen uns vom Misserfolg lösen, den Afro-Pessimismus beerdigen… und mit aufgekrempelten Ärmeln die Zukunft anpacken.




Der Senegal feiert seine Unabhängigkeit gleich zwei Mal: zum einen am 4. April, da an diesem Tag im Jahre 1960 in Paris das Dokument unterzeichnet wurde, mit dem die Fédération du Mali (zu welcher auch der Senegal gehörte) für unabhängig erklärt wurde; zum anderen am 20. August, dem Tag des Jahres 1960, als sich der Senegal aus der Föderation löste und für unabhängig erklärte.

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Nafissatou Dia Diouf (* 1973 in Dakar) ist eine der bekanntesten Autorinnen ihres Landes. Sie hat in Frankreich studiert und ist für ihre Gedichte und Erzählungen mit mehreren literarischen Auszeichnungen in Frankreich, Kanada und im Senegal bedacht worden. Derzeit arbeitet sie in einem Telekommunikationsunternehmen in Dakar. Zu ihren Publikationen gehören auch mehrere Bände für Jugendliche und die Erzählungen Retour d’un si long exil (‚Rückkehr aus einem langen Exil’, Les Nouvelles Éditions Africaines 2001), Cirque de Missira, (‚Zirkus Missira’, Présence Africaine 2010) und der Essayband SocioBiz, Chroniques impertinentes sur l’économie et l’entreprise,  (‚SocioBiz, Freche Chroniken zu Wirtschaft und Unternehmertum’, Editions Tamalys, 2010).


Dossier

50 Jahre Unabhängigkeit in Afrika

Das Jahr 1960 war für viele Afrikaner/innen ein Jahr der Hoffnungen. 17 Länder erlangten die Unabhängigkeit von den kolonialen Mächten. Das Dossier soll „Blitzlichter“ auf die Länder werfen, die 1960 unabhängig wurden: mit ganz persönlichen Beiträgen. Daneben gibt es Hintergrundartikel von renommierten Autoren aus Deutschland und verschiedenen Ländern Afrikas sowie Auszüge aus den Reden, Schriften und Kurzporträts, die die Aufbruchstimmung von 1960 deutlich machen.