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Gabun: Heldengedenken

Jean Divassa Nyama ist Autor mehrerer Romane. Foto: Michel Cadence/Éditions Ndze.

Von Jean Divassa Nyama
Von Jean Divassa Nyama

Der Jahrestag des 17. August 1960 ist für mich keineswegs ein Festtag wie andere. Ich lebe in Libreville, der Hauptstadt Gabuns. Doch meine Heimat, die Provinz Nyanga im Süden des Landes, hat traumatische Erfahrungen mit dem Widerstand – eigentlich einem richtigen Krieg – gegen den kolonialen Vormarsch in den Jahren 1905 bis 1909 gemacht.

Daher ist dieser Tag ein Augenblick der Freude, den man mit Fröhlichkeit begeht. Es ist fast schon ein Ritual: Die Feier beginnt seit jeher am Abend des 16. August mit einem Fackelzug. Die Veteranen des Zweiten Weltkriegs, die Sicherheitskräfte und die Pfadfinder ziehen durch die Stadt und singen bis Mitternacht die Lieder der Befreiungsbewegung. Der Vormittag des 17. August beginnt mit der Niederlegung von Blumen am Mahnmal des Unbekannten Soldaten des Zweiten Weltkriegs. Die Fahnen werden aufgezogen, danach gibt es die üblichen Reden. Dann gibt es einen militärischen Aufmarsch, auch mit Zivilisten, auf dem großen Platz der Unabhängigkeit.

In den Stadtteilen laden sich die Verwandten, Nachbarn und Freunde gegenseitig zu richtigen Feiern ein. Schon am Nachmittag strömen die Leute auf dem großen Platz zusammen, schauen bei traditionellen Tänzen zu, die unser kulturelles Erbe verdeutlichen. Die jungen Leute sind mit verschiedenen Aktivitäten mit von der Partie: Springen, Klettern, Laufen – und die Sieger bekommen Geschenke. Üblicherweise ist für diesen Tag auch ein wichtiges Fußballspiel angesetzt. Das Fest des 17. August endet schließlich mit einer Art buntem Abend.

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Begeisterung über dieses Jubiläum freilich geschmälert. Das Ein-Parteien-Regime von Präsident Bongo, das am 12. März 1968 eingeführt wurde, hat dem Fest der Partei mehr Bedeutung gegeben. Die Folge: den meisten Menschen war die Bedeutung des Unabhängigkeitstags kaum mehr bewusst. Der Jahrestag hat seinen eigentlichen Inhalt verloren, und die wirklichen Helden der Unabhängigkeit wurden kaum mehr geehrt.

Der fünfzigste Jahrestag unserer Unabhängigkeit sollte dennoch als ein großes Fest begangen werden. Vor allem aber sollten wir derer gedenken, die dafür gekämpft haben, dass unser Land endlich Herr seines eigenen Geschicks wird und seinen Platz finden konnte im Konzert der Nationen. Zu diesen Helden gehören Menschen wie Wongo, Mbombé, Nyonde Makite, Ibobo, Mani Mitchindu, Emanetole und viele andere. Sie waren die ersten, die gegen den Kolonialismus Widerstand leisteten, weil er uns auf grausame Weise unterdrückte und unsere Freiheiten beschnitt.

Fünfzig Jahre sind für einen Menschen ein stattliches Alter. Es ist auch ein Alter, in dem man darüber nachdenkt, was von den großen Absichten denn nun Wirklichkeit geworden ist.

Ich glaube fest daran, dass die Menschen Gabuns heute wissen, wie sich die Zukunft des Landes denken lässt. Das ist umso wichtiger, weil es ja gleich nach der Unabhängigkeit des Landes unbestreitbare Fehlentwicklungen gab. So sicherte im Jahr 1964 ein Staatsstreich mit französischer Militärhilfe dem Präsidenten der Unabhängigkeit, Léon Mba, die Macht bis zu seinem Tode im November 1967. Sein Nachfolger, der Präsident Omar Bongo, rief dann schon im März 1968 die Einheitspartei PDG (Parti Démocratique Gabonais) ins Leben, die durch die Abschaffung des Mehrparteien-Systems die individuellen Freiheiten zur Gänze eingeschränkt hat.

1990 kann man dann als das Jahr des Erwachens des Gewissens und der Verantwortung ansehen. Die Conférence Nationale (Nationalkonferenz), die in diesem Jahr einberufen wurde, begann damit, das ungerechte System zu beenden, das zu einem Krebsgeschwür geworden war. Dennoch ist es auch heute noch nicht gelungen, das Übel an den Wurzeln zu packen: den Regionalismus, die Kleptomanie der Bürokraten und der Herrschenden, das Herabsetzen der Anderen und den politischen Klientelismus.

Alle diese Faktoren haben das Land daran gehindert, sich zu entfalten und zu entwickeln. Ich hoffe immer noch, dass unsere neue Regierung irgendwann einmal einsieht, dass es darauf ankommt, nicht immer wieder die alten Fehler zu begehen.

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Jean Divassa Nyama (* 1962 in Moabi/Gabun) ist Autor mehrerer Romane. Für seine Trilogie La Calebasse mit den Romanen La Vocation de Dignité (1997), Le Bruit de l'Héritage (2001) und Le Voyage d'oncle Mâ (2008) erhielt er den angesehenen Grand Prix Littéraire de l’Afrique Noire 2008. Diese Trilogie, publiziert u.a. im Verlag Ndze in Gabon, wurde 2010 auch in arabischer Übersetzung in Kairo veröffentlicht. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit arbeitete er auch als Englischlehrer und für das Fernsehen als Moderator literarischer Sendungen.

Dossier

50 Jahre Unabhängigkeit in Afrika

Das Jahr 1960 war für viele Afrikaner/innen ein Jahr der Hoffnungen. 17 Länder erlangten die Unabhängigkeit von den kolonialen Mächten. Das Dossier soll „Blitzlichter“ auf die Länder werfen, die 1960 unabhängig wurden: mit ganz persönlichen Beiträgen. Daneben gibt es Hintergrundartikel von renommierten Autoren aus Deutschland und verschiedenen Ländern Afrikas sowie Auszüge aus den Reden, Schriften und Kurzporträts, die die Aufbruchstimmung von 1960 deutlich machen.

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