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"Auf dem Kontinent herrscht Aufbruchstimmung"

Firoze Manji ist Leiter des Council for the Development of Social Science Research (CODESRIA), einer afrikaweiten sozialwissenschaftlichen Forschungsorganisation mit Sitz in Dakar. Er ist zudem Gründer und ehemaliger Chefredakteur von Pambazuka News, einem wöchentlichen pan-afrikanischen Newsletter mit eigener Internetplattform, der Themen wie soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte und Geschlechterfragen kommentiert und analysiert. Im Interview spricht er über den großen Erfolg der Plattform, die Rolle das Internet für soziale Bewegungen in Afrika und den "Arabischen Frühling" als "Afrikanischen Frühling".

Lesedauer: 7 Minuten

Worin liegt das Erfolgsgeheimnis von Pambazuka News?

Pambazuka News hat es in kürzester Zeit geschafft über 28.000 Abonnenten und mehrere Millionen Leser zu gewinnen. Der Erfolg liegt jedoch nicht in dem, was wir getan haben. Er besteht vielmehr darin, dass wir eine Plattform geschaffen haben, die von denjenigen, die für Freiheit und Gerechtigkeit kämpfen, genutzt werden kann. Das hat wiederum dazu geführt, dass sie es in zunehmendem Maße als ihre Plattform ansehen – anders als eine Zeitung mit einer Redaktion, die darüber entscheidet, was berichtenswert erscheint und was nicht. Pambazuka News ist zu einem Ort geworden, an dem afrikanische Sichtweisen von Freiheit und Gerechtigkeit debattiert und erörtert werden – von Afrikanern für Afrikaner.

Hatten Sie eine so große Resonanz auf Ihre Plattform erwartet?

Wir hatten keinerlei Vorstellung. Die ganze Idee entsprang einer Umfrage, die wir unter etwa 120 Menschenrechtsorganisationen in Afrika durchgeführt hatten. Die Botschaft, die wir immer wieder zu hören bekamen, war, dass der Zugang zum Internet sehr spärlich, sehr teuer und sehr langsam ist – die Organisationen das Internet aber brauchen, um an vernünftige Informationen zu gelangen. Organisationen und Einzelpersonen schickten uns ihre Materialien, mit der Bitte „Das hier haben wir gerade herausgegeben. Könnten Sie es an Ihre Kollegen weitergeben?“ Anfangs reagierten wir noch auf jeden Einzelfall, doch das Interesse an unserer Arbeit stieg so rasant an, dass wir mit der Arbeit nicht mehr hinterher kamen. Also schufen wir die Internetplattform. Auch sie ist viel schneller gewachsen, als ich es mir jemals hätte vorstellen können. All das war nur möglich, weil wir ein höchst engagiertes Team und viele freiwillige Helfer hatten, die am Wochenende und nachts arbeiteten um Pambazuka News am Laufen zu halten. Es war und bleibt ein außergewöhnliches Experiment.

Aber es hat auch seine Schwächen. Der Erfolg und Effekt unserer Arbeit hängt im Wesentlichen vom Zugang zum Internet ab. Weniger als 11 Prozent der  afrikanischen Bevölkerung hat jedoch Zugang zu ihm. Wenn man dann noch Marokko, Algerien, Ägypten, Tunesien und Südafrika ausschließt, bleiben gerade mal 3 Prozent übrig. Demzufolge erreichen wir lediglich eine kleine Minderheit. Momentan experimentierten wir mit dem Einsatz von Radio und anderen Kommunikationsmittel, um eine breitere Masse zu erreichen. Das ist und bleibt die größte Herausforderung für unsere Arbeit.

Wie Sie bereits erwähnt haben, hat nur ein Bruchteil der Bevölkerungen Subsahara-Afrikas Zugang zum Internet. Wenn man dies in Betracht zieht, welche Rolle können soziale Medien überhaupt für sozialen Bewegungen spielen?

Eines der Probleme ist es, dass westliche Medienkonzernen aus Bequemlichkeit dazu tendieren, sich auf Informationen aus sozialen Medien wie Twitter oder Facebook zu verlassen, wenn sie keine Korrespondenten vor Ort haben. Das bedeutet zugleich, dass sie zunehmend auch deren Perspektive übernehmen und die Welt durch deren Augen betrachten. Deshalb wurde sowohl die tunesische als auch die ägyptische Revolution als „Twitter und Facebook-Revolutionen“  bezeichnet. Doch in Wirklichkeit ist die größte Mobilisierung in Ägypten erst erfolgt, nachdem Mubarak den Internet-Zugang sperren und die Mobilfunkverbindungen trennen ließ. Also, wie erklären Sie sich das? Inzwischen gibt es viele Studien, die belegen, dass die Bedeutung der sozialen Medien – zumindest in diesen Fällen – maßlos überschätzt wurden. Damit meine ich nicht, dass sie nicht wichtig sind! Im Gegenteil, für die Vernetzung und das Organisieren sind sie enorm wichtig – aber man sollte immer im Hinterkopf  behalten, dass nur eine kleine Minderheit von ihnen erreicht wird. Vielleicht werden sich die Dinge sich in Zukunft ändern, aber bis dahin ist es noch ein langer Weg.

Auch spricht man von Afrika von dem am schnellsten wachsenden Mobilfunk-Markt der Welt und will man den Zahlen Glauben schenken, besitzt angeblich die Hälfte der gesamten afrikanischen Bevölkerung ein Handy. Wenn man sich diese Zahlen jedoch genauer ansieht, erkennt man schnell, dass es z.B. in der Mittelschicht Menschen gibt, die mindestens drei Handys besitzen, in der Unterschicht besitzt kaum jemand eines. Außerdem liegen die durchschnittlichen Gebühren für das Versenden einer SMS in Afrika bei etwa 20 bis 30 Cent. Das ist eine ganze Menge, wenn man weniger als einen Dollar am Tag verdient. Die meisten haben also nur sehr begrenzt Zugang zum Internet und der Telekommunikation. Für diejenigen, die ihn haben, ist es ein großer Vorteil. Für die Anderen kann dies zu einem Nachteil werden. Doch die Menschen arbeiten mit dem, was sie haben. Haben Sie ein Handy, nutzen sie dieses. Haben sie nur Papier, dann ist das ihr Medium.

Letztes Jahr haben Sie African Awakening, Ihr neues Buch, herausgebracht. Was ist die entscheidende Botschaft dieses Buches?

Zunächst einmal ging es darum, der Bezeichnung „Arabischer Frühling“ etwas entgegen zu setzen. Die Leute vergessen, dass Tunesien und Ägypten geographisch gesehen in Afrika liegen und zudem politisch und auch historisch schon immer eine entscheidende Rolle in Afrika gespielt haben. Es waren afrikanische Revolutionen, aber darüber spricht in Afrika niemand. Was meiner Meinung nach nicht verstanden wurde, war, dass dies eine Manifestation der immensen Frustration und des Zorns gegen die höheren Mächte war und dass, das was die Revolutionen in Tunesien und in Ägypten ausgelöst hatte, die gleichen Probleme waren, mit denen der Rest des Kontinents seit 30 Jahren kämpft – einer Zeitspanne, in der es zu einer enormen Verelendung, zu immenser Verarmung gekommen ist, und eine Minderheit dabei reich, steinreich, unanständig reich wurde.

Aber die Bevölkerungen sind dieser Situation nicht hilflos ausgeliefert. Es gibt diesen Hang, insbesondere von Entwicklungshilfeorganisationen, Afrikaner als arme, wehrlose Objekte zu betrachten. Aber Fakt ist, dass überall auf dem Kontinent tagtäglich Auseinandersetzungen stattfinden. Mit „African Awakening“ wollten wir ein Gefühl für die riesige Anzahl der Länder vermitteln, in denen es ein Aufbegehren gegen den Staat gibt, wo Aufstände stattfinden, von denen einige niedergeschlagen werden, andere erfolgreich sind. Aber wir wollten auch daran erinnern, dass die Dinge nicht immer sogleich und über Nacht geschehen. Es dauert eine ganze Weile bis eine Revolution ihren Höhepunkt erreicht. Was wir in Ägypten und Tunesien heute erleben, würde ich als 1. Akt, 1. Szene bezeichnen. Was andernorts passiert, sind nur die Anfänge eines Prozesses, der viele Jahre dauern wird.

Wir wollen den Menschen vermitteln: Seht her, auf dem Kontinent herrscht tatsächlich Aufbruchsstimmung! Und dies sind die Anfänge dessen, auf was wir vielleicht in zehn bis zwanzig Jahren zurückblicken und sagen werden: das sind die Anfänge der Revolution. Revolutionen verlaufen nie linear; sie bewegen sich hoch und runter; es wird Gewinne und Verluste geben. Wenn man erst einmal einen historischen Blick darauf geworfen hat, beginnt man zu erkennen, dass die Dinge bereits ins Rollen gekommen sind.

Es gibt da diese alte Geschichte von Nixon, der zum ersten Mal China besucht und sich mit Zhou Enlai trifft, und zuvor von Henry Kissinger unterrichtet worden war, dass Zhou Enlai Geschichte studiert hat, vor allem die Französische Revolution. Während sie durch den Garten spazieren, versucht Nixon das Eis zu brechen, indem er sich an Zhou Enlai wendet und sagt: „So weit ich weiß, interessieren Sie sich für die Französische Revolution?“ Und Zhou Enlai entgegnet: „Ja?“ „Worin sehen Sie die Auswirkungen der Französischen Revolution auf die Situation in Europa heute?“ Und Zhou Enlai setzt eine Weile schweigend seinen Weg fort und denkt darüber nach. Dann bleibt er stehen und antwortet Nixon: „Ich denke, es ist noch zu früh, um etwas darüber auszusagen.“ Und genauso sollten wir es auch betrachten - epochal.


Das Gespräch führte Maria Kind.

Firoze Manji war Gast in der diesjährigen öffentlichen Ringvorlesung „Afrika: Radikal neu denken?“ am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin (www.osi-club.de/afrika).