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Das Promi-Problem

Panzi ist einer der ärmsten Stadtteile von Bukavu. Die Hauptstadt der kongolesischen Provinz Süd-Kivu liegt trügerisch schön am Ufer des Kivu-Sees, sie wächst schnell, immer neue Lehmhütten kleben an den Hügeln des Seeufers, manche schwemmt es in der Regenzeit wieder weg. Rostige Wellblechdächer, wohin man schaut, mittendrin wie eine Festung das Panzi-Hospital. Ein bewachtes Eisentor, Mauern, dahinter solide, steinerne Flachbauten mit Krankensälen, OP-Räumen, Labors. Die Patientinnen schlurfen, so sie denn gehen können, in Flip-Flops und Wickelröcken über das Gelände. Immer öfter tauchen auch weiße Besucher auf – Politikerdelegationen, Filmstars, Reporter aus Europa und den USA. Das Panzi-Hospital ist über die Grenzen des Kongo bekannt, es ist ein internationaler Fixpunkt im "Krieg gegen die Frauen". Die Ärzte sind auf die Behandlung von Vergewaltigungsopfern spezialisiert.

"Welthauptstadt der sexuellen Kriegsgewalt", "Schauplatz eines Femizids", "Ort der Zerstörung der weiblichen Spezies". So beschreiben UN-Vertreter und westliche Aktivistinnen wieder die Situation im Ostkongo. Spendenkampagnen werden initiiert, Aktionspläne und Koordinationsstrategien gegen "gender based violence" (GBV) entwickelt. Das Problem ist nur: Die These vom "Femizid" stimmt ebenso wenig wie die Schlagzeile vom "Krieg gegen die Frauen". Allen guten Absichten jener zum Trotz, die selbiges weiterhin behaupten: Solche Zuspitzungen verkennen das Problem. Und sie behindern seine Bekämpfung.

Der Kongo hat zwischen 1996 und 2002 zwei verheerende Kriege erlebt, am zweiten beteiligten sich fast sämtliche Länder der Region. Manche Hilfsorganisationen gehen von bis zu fünf Millionen Toten aus – viele sind durch Massaker, Bombardierungen und in Schlachten gestorben, die meisten an kriegsbedingten Seuchen und Hunger.

Ursachen und Akteure dieser Kriege sind eng verwoben mit anderen Konflikten in der Region: in Ruanda und Burundi, im Sudan, Uganda, Angola. Es ging und geht dabei um Teilhabe an politischer Macht und Zugang zu Rohstoffen, um ethnische Zugehörigkeit, maskuline Identität und verdrängte Verbrechen der Vergangenheit. Ursachen also, die Europäern gut bekannt sind, die aber in den westlichen Medien weiterhin gern unter der Rubrik "Herz der Finsternis" oder "afrikanische Stammeskriege" zusammengefasst werden.

Pilgerstätten der Presse

In die internationalen Schlagzeilen rückte der Kongo erst vor einigen Jahren, als wir Journalisten für einen komplizierten Konflikt, dessen schlimmste Phase vorbei war, ein einfaches Narrativ gefunden hatten: das Narrativ des Krieges der Rebellen und Soldaten gegen die Frauen, ausgeführt mit der Waffe der Vergewaltigung. Immer mehr ausländische Reporter (auch die Autorin dieses Beitrags) tauchten im Panzi-Hospital in Bukavu und im Heal Africa-Krankenhaus in Goma auf, den beiden einzigen Behandlungszentren für Opfer sexualisierter Kriegsgewalt im Kongo. Die Berichterstattung hat den kongolesischen Ärzt/innen und Pfleger/innen Anerkennung und dringend benötigtes Geld für ihre Arbeit verschafft. Aber sie bringt auch höchst ambivalente Folgen mit sich. Beide Hospitäler sind in den vergangenen Jahren zu Pilgerstätten weißer Prominenz und Presse geworden: Hollywood-Stars wie Ben Affleck, Charlize Theron oder George Clooney machen Stippvisiten bei den Opfern, europäische Politiker lugen in die Krankensäle, Filmteams lassen sich von Patientinnen immer wieder die Details ihrer Vergewaltigung schildern. Böse Zungen nennen das inzwischen "rape tourism", Vergewaltigungstourismus.

Der immanente Voyeurismus ist ein Problem, die paternalistische Wahrnehmung ein anderes: Engagierte Weiße haben wieder einmal ein besonders böses Kapitel des afrikanischen Elends aufgedeckt und die Welt aufgerüttelt. Die Kongoles/innen tauchen in dieser Dramaturgie entweder als wehrlose Opfer in Gestalt der Frauen oder als barbarische Täter in Gestalt der Rebellen und Soldaten auf. Dass es in Bukavu seit über zehn Jahren lokale Protestmärsche gegen Kriegsgewalt gibt, kommt in dieser "Dramaturgie" ebenso wenig vor wie der Umstand, dass nicht weiße Promis, sondern kongolesische Aktivist/innen all diese Menschenrechtsverletzungen recherchieren. Die riskieren dabei oft ihr Leben.

Sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten gilt inzwischen als Kriegsverbrechen und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das ist eine der juristischen Lehren aus dem Völkermord in Ruanda sowie den Kriegen in Bosnien, Sierra Leone und Liberia. Es ist auch ein bitter erkämpfter Erfolg von Frauenrechtlerinnen gegen das alte Dogma, wonach Vergewaltigungen eine "normale Begleiterscheinung" von Kriegen seien.

Motive der Gewalttäter

Einige der Rebellengruppen im Ostkongo setzen sexualisierte Gewalt als Kriegsstrategie ein. Das gilt vor allem für die FDLR, die "Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas", hervorgegangen aus jenen Hutu-Truppen, die 1994 den Völkermord in Ruanda verübten und sich seit ihrer Flucht über die Grenze in den Kongo in Teilen der Kivu-Provinzen als Okkupationsmacht etabliert haben. Das gilt nicht für Angehörige der kongolesischen Armee, die für einen großen Teil der Vergewaltigungen verantwortlich gemacht werden.

Die schwedischen Konfliktforscherinnen Maria Eriksson Baaz und Maria Stern haben drei Jahre lang über 200 kongolesische Soldaten und Offiziere zu sexualisierter Kriegsgewalt befragt – ein politisch inkorrektes, aber sehr erhellendes Unterfangen. Heraus kam nicht das Bild einer machtstrotzenden Truppe, die auf Befehl vergewaltigt, um eine andere Ethnie zu vernichten (wie in Ruanda oder Bosnien) oder einen Kriegsgegner zu bestrafen (wie die Rote Armee im Zweiten Weltkrieg). Heraus kam ein Bild ebenso zerstörender wie zerstörter Männlichkeit. Die Motive und Begründungen der Soldaten reichen von "Triebbefriedigung", die sie für "naturgegeben und unkontrollierbar" halten, über massiven Drogenkonsum oder Bestrafung für "fehlenden Respekt der Zivilisten" bis zu eigenen Kriegserfahrungen, die einen "in totale Zerstörungswut" trieben. Viele der Befragten sind sich der verheerenden Wirkung ihrer Taten bewusst und rechnen mit Strafe. Nicht durch die Justiz, die immer noch weitgehend funktionsunfähig ist, sondern durch Gott oder Geister.

Für Prävention spendet keiner

Armee und Justiz zu reformieren, ist eine der zentralen Strategien im Kampf gegen sexualisierte Gewalt – und sie ist im Kongo eine Aufgabe für die nächsten dreißig Jahre. Die Gespräche mit den Soldaten und konkrete Erfahrungen in einigen wenigen Projekten zeigen, dass kurzfristig auch andere Ansätze wirken können: zum Beispiel die Konfrontation von Soldaten mit betroffenen Frauen oder mit männlichen zivilen Autoritäten wie traditionellen Chefs, Geistlichen und Politikern, die auf einer Ächtung der Gewalt gegen Frauen pochen. Doch entsprechende Projekte erhalten von internationaler Seite kaum Unterstützung. Spendengelder für die Präventionsarbeit mit potenziellen Tätern passen nicht ins Schema des "Krieges gegen die Frauen".

Eriksson und Stern verweisen auf ein zweites Problem: "Gender based violence" wird mit sexueller Gewalt gegen Frauen gleichgesetzt. Sie trifft aber nicht nur Frauen. Auch Männer und Jungen werden vergewaltigt – weitaus seltener als Frauen und Mädchen, aber offenbar häufiger als angenommen. Männer werden darüber hinaus häufig Opfer gezielter tödlicher Gewalt. Der Genozid von Srebrenica, wo Männer und Jungen aussortiert und erschossen wurden, war ein "gender crime". Ähnlich organisierte Massaker, wenn auch mit weit weniger Toten, sind im Kongo passiert.

"Gender based violence" ist ein analytischer Begriff, um den Zusammenhang zwischen Gewalt und Geschlechtszugehörigkeit genauer zu verstehen. So, wie er im Kongo eingesetzt wird, führt er jedoch zu einer Hierarchisierung der Opfer. Rebellen wie Armeesoldaten verüben Vergewaltigungen meist zusammen mit Plünderung, Verschleppung und Zwangsrekrutierung. Es ist kein "Krieg gegen Frauen", der hier stattfindet, sondern ein alltäglicher Terror gegen die Zivilbevölkerung mit oft geschlechtsspezifischen Verbrechen. Bei der Bevölkerung aber entsteht der Eindruck, die internationalen Helfer interessieren sich für bestimmte Gräueltaten mehr als für andere.

Es gibt andere Wege zum Frieden

In Bukavu treten sich inzwischen unzählige Hilfsorganisationen auf die Füße, die sich den "Kampf gegen GBV" auf die Fahnen geschrieben hatten. Manche leisten hervorragende Arbeit, bei anderen scheint der Fuhrpark an Geländewagen größer als ihr Aktionsradius. Auf der anderen Seite fehlt es an Geld für die Betreuung ehemaliger Kindersoldaten, für eine rudimentäre Gesundheitsversorgung und andere Infrastruktur. Ein kongolesischer Anwalt, dessen NGO in Bukavu unter anderem Vergewaltigungsopfer vor Gericht vertritt, wurde unlängst gefragt, was er mit einer – rein hypothetischen – Spende von zehn Millionen Dollar anfangen würde. "Straßen bauen", antwortete er zur Verblüffung seiner ausländischen Zuhörer. Eine Straße holt ein kriegszerrüttetes Dorf zurück in die Welt. Es wird schneller erreichbar für UN-Blauhelme (die durchaus einiges zum Schutz der Bevölkerung unternehmen). Die Transportkosten und damit die Preise für Waren sinken dramatisch. Frauen haben einen sichereren Weg zum Markt. Kranke und Verwundete, auch Opfer sexueller Gewalt, erreichen schneller das nächste Hospital. "Eine Straße", bemerkte der Anwalt mit dem Sarkasmus derer, die Katastrophen nicht nur beschreiben, sondern in ihnen leben müssen, "hilft allen. Denen, die vergewaltigt worden sind. Und denen, die noch nicht vergewaltigt worden sind."


Andrea Böhm, Jahrgang 1961, ist Redakteurin bei der Wochenzeitung DIE ZEIT. Sie befasst sich unter anderem mit internationaler Strafjustiz, der Debatte über humanitäre Interventionen, Staatsaufbau und Konfliktprävention. Sie berichtet regelmäßig aus ehemaligen und akuten Konfliktgebieten wie dem Kongo, Bosnien, dem Kosovo, Kenia oder dem Sudan. Ihr Buch "Gott und die Krokodile – eine Reise durch den Kongo" erscheint im Februar 2011 im Pantheon Verlag.