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„Reden ist Arznei für die Demokratie“

Interview mit Professor Ismael Sory Maiga, Directeur du Centre d'Etudes des Langues et Civilisations Africaines, Université Paris VIII, über Wege aus der Krise in Mali. Sory Maiga stammt aus dem Norden Malis.

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Sie sind erst vor wenigen Wochen aus Mali zurückgekehrt. Dort wurde durch das Projekt eines nationalen Dialogs versucht, das politische System des Landes wieder auf die Füße zu stellen und Wahlen vorzubereiten. Gibt es dabei Fortschritte?

Ich gehe davon aus, dass Malis Regierung die Wahlen erst später als geplant abhalten kann, da es heute nicht einmal ein Wählerregister gibt. In fünf Monaten lässt sich Mali nicht befrieden, lassen sich 500 000 Flüchtlinge nicht wieder in die Gesellschaft integrieren. Für uns bedeutet es eine Chance, zur Einigkeit zu finden und anzuerkennen, dass niemand die Wahrheit gepachtet hat. Wir brauchen eine Phase der Besinnung und des Dialogs, wie es in unserer Gesellschaft weitergehen soll. Andernfalls wird ein Teil der Gesellschaft, der mit dem Ergebnis der Wahlen nicht einverstanden ist, die Stabilität gefährden. 

Kennen Sie Beispiele, in denen so ein nationaler Dialog erfolgreich war? Ich muss an den Runden Tisch der DDR nach der Wende 1989 denken, dessen Ergebnisse aber nach der Wiedervereinigung rasch vergessen wurden.

Madagaskar könnte ein Vorbild sein. Dort wurde nach langen Debatten der Konflikt zwischen den politischen Lagern beigelegt. Man muss sich hinsetzen und debattieren. Reden ist wie eine Arznei für die Demokratie. 

Gibt es nützliche Vorschläge aus der Zivilgesellschaft?

Man muss fragen: Gibt es eine Zivilgesellschaft in Mali? Es gibt sie in Ansätzen, aber ihre Führer sind alle fest in politischen Lagern verankert. Die Zivilgesellschaft wird also von den politischen Parteien gesteuert. Oft ist es so, dass jemand, der in einer politischen Partei keinen Erfolg hatte, eben eine zivilgesellschaftliche Organisation gründete. Aber das Hauptproblem ist, dass die Menschen viel zu sehr damit beschäftigt sind, ihren Lebensunterhalt zu sichern. Eine offene politische Debatte scheitert also an vielerlei Hindernissen.

Was muss geschehen, damit politischer Fortschritt in Mali möglich wird?

Man muss die Realität anerkennen. Wir müssen Bildung und Kompetenz fördern und schätzen lernen. Derzeit muss sich niemand in Mali für sein Tun rechtfertigen. Ein Arzt muss nicht befürchten, für Behandlungsfehler einstehen zu müssen. Es steht sogar so im Gesetz. Und gesellschaftliche Anerkennung darf nicht allein von politischer Loyalität abhängen. Es muss auf die Kompetenz ankommen.

Malis Beziehungen zu Frankreich unterscheiden sich von denen zur übrigen Welt, zur EU, zu den UN. Frankreich hat als einziges Land für Afrika immer schon eigene Experten. Afrikaner zählen nicht. Unter dieser kolonialen Tradition leidet Mali. Es muss deshalb seine Beziehungen diversifizieren. 


Das Interview führte Stefan Schaaf.