Sie glaubten ganz fest daran, an diesem 28. November 1960. Ein noch junger Mann, angezogen wie zu einem Gala-Abendessen, mit einem soliden Backenbart und in feierlicher Haltung, proklamierte in einem klaren Französisch und mit bestimmter Stimme die Geburt eines neuen Staates. Eines Staates ?
Die große Mehrheit der Einwohner zählte zu den Nomaden in einer riesigen Wüste, in der es keine Straße gab, in der es keinen Hafen gab, in der es keinen Flughafen gab, nicht einmal eine richtige Stadt, einfach nichts. Die Zahl der Hochschulabsolventen ließ sich an den Fingern einer Hand abzählen, die Hauptstadt Nouakchott sollte erst noch aus den Dünen auferstehen.
Ein Staat?
Im Norden wütete Marokko gegen die Entstehung dieses Staates, den es mit Verbitterung für sich beanspruchte; im Süden wollte der Senegal das Territorium, das noch von der alten französischen administrativen Hauptstadt Senegals St. Louis verwaltet worden war, einfach nicht abgeben. Der neue Staat, schwach, ohne Mittel, mit einer weithin verstreut lebenden Bevölkerung, war daher von Anfang an stark bedroht. Aber Moktar Ould Daddah und seine Freunde glaubten ganz fest daran, an diesem 28. November 1960. Nur diese feste Überzeugung, so glaube ich, hat den Staat überleben lassen.
Ist es ihnen gelungen, eine Nation zu schaffen? Haben sie ein Volk entstehen lassen können? Blickten die Mauretanier nach diesem 28. November in ein und dieselbe Richtung, hatten sie gemeinsame Träume, hatten sie etwa eine gemeinsame Idee? Im Jahre 1960 waren die Mauretanier eher getrennt. Einige glaubten an die Entwicklung eines neuen Staates, andere wiederum glaubten, bei der Unabhängigkeit handele es sich nur um eine neue List des Kolonialherren, weil ja die Nomaden überhaupt nicht geeignet seien, einen Staat zu gründen. Die Aufrufe, die von Radio Kairo kamen oder von Radio Tanger, fanden besonders im Norden Gehör.
Die Entstehung der Konföderation des früheren französischen Sudan, also Malis mit dem Senegal, im Süden Mauretaniens faszinierte einige Gemüter im Süden, am Fluss.
Doch die überwiegende Mehrheit folgte den Wolken bei ihren ewigen Wanderungen und stellte sich kaum Fragen.
Wer also sollte den neuen Staat aufbauen? Es war die Dürre, nur die Dürre, die die Antwort bot. Nach wenigen Jahren trockneten die Brunnen aus, die Weidegründe verschwanden, das Vieh verendete, und Zehntausende von verarmten Menschen strömten in die neuen Städte, wo improvisierte Unterkünfte aus Blech und Zelten entstanden, wo man schlichte neue Siedlungen errichtete – und wo eine neue Bevölkerung entstand, fern ihrer traditionellen Bindungen an Stämme, befreit von der ewigen Suche nach den Wolken, ziemlich durstig, aber mit der Möglichkeit neuer Güter und vor allem der Schule.
Mein Vater war Lehrer und er sagte oft : "Es ist die Schule, die den Aufbau schafft.", die Schule, in der sich die Mauretanier aus weit entfernten Gegenden treffen, die Schule, die neue Horizonte schafft, die Schule, die vielleicht in sich krank ist, aber auch neue Ambitionen produziert.
Ich bin zwischen zwei Generationen mit eigenen problematischen Kennzeichen geboren : der Generation meines Vaters, der an die Unabhängigkeit glaubte, an die Revolution der Völker, an den besseren Morgen, und der Generation meines Sohnes, der an den iPad glaubt und alle möglichen elektronischen Geräte.
Ich gehöre der Generation an, die nur ganz naiv verlangt, dass man alles sagen können muss, dass das Wort heilig ist, Demokratie zum Beispiel, die Freiheit der Meinung.
"Schnickschnack," sagte mein Vater, "es geht um Freiheit und Fortschritt!". "Alles nur Gerede," bekräftigt heute mein Sohn, "das Wort ist heute im Internet, die Zukunft liegt in den neuen Technologien."
Aber ich glaube unbeirrt daran, dass die Freiheit des Menschen in ihm selbst liegt, dass er immer wieder diese Freiheit ausdrücken muss, dass er kreativ sein muss, um zu überleben. Und das nicht damit, immer neuere Maschinen zu ersinnen, sondern Träume, Poesie und Kunst. Das mag vielleicht wenig gelehrt sein oder sogar altmodisch: ich glaube an Literatur und Kunst, die ohne Freiheit und Unabhängigkeit nicht existieren könnte!
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M’barek Ould Beyrouk (geboren 1957 in Atar im Norden Mauretaniens als Sohn eines Lehrers) ging zuerst zur Koranschule und dann erst auf eine französische Schule. In Marokko studierte er Jura, wurde aber nach seiner Rückkehr in die Heimat Journalist, schreibt für eine Tageszeitung in Nouakchott und arbeitet für Fernsehen und Rundfunk.
>>Länderinformationen des Auswärtigen Amtes zu Mauretanien