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Meine Stimme kam vom Herzen

Am Mittwochabend stand ich in einer kleinen, mit Kartonwänden abgetrennten Kabine und zwang mich, nicht in Tränen auszubrechen. Der unerklärliche Gefühlsausbruch  war so heftig, dass er mich vor den Augen von Fremden in ein heulendes Häuflein Elend zu verwandeln drohte, und das wollte ich auf keinen Fall zulassen. Während ich schwer gegen den Kloß in meiner Kehle anschluckte, musste ich plötzlich an meine Mutter denken. Meine Mutter, eine Frau voll Würde und Eleganz, hatte sich stets geweigert, sich von den Erfahrungen, die sie in ihrem Leben hatte machen müssen, und von den entwürdigenden Umständen, unter denen ihre Generation ihr Leben zu fristen gezwungen gewesen war, niederbeugen zu lassen.

In diesem Moment wünschte ich, sie wäre noch am Leben und könnte den Stolz empfinden, der darin lag, wählen zu können, darin, als vollwertiges menschliches Wesen und als gleichberechtigte Bürgerin in diesem ihrem Land anerkannt zu werden.

Das dumpfe Gefühl, das sich in meinem Magen breit machte, hatte die selbstgerechte Stimmung hinweg gewischt, mit der ich vor ein paar Minuten durch das Tor der Laerskool Unika in Randburg geschritten war. Vor ein paar Minuten war ich noch ganz sicher gewesen, in welches Kästchen auf dem Wahlschein ich mein wertvolles X eintragen würde – und zwar nicht bei den Farben Schwarz, Grün und Gold. Ich hatte mir gesagt, dass ich die Nase voll hatte von dieser Partei; die wieder und wieder nicht erfüllten Versprechen,  die grassierende Korruption, die schamlose Vetternwirtschaft und die völlige Missachtung der Bedürfnisse so vieler Mitbürger hatten mich mürbe und mein Herz hart gemacht. Aber ich hatte die Macht meiner Stimmabgabe unterschätzt – und wie massiv sich dieser Akt emotional auf mich auswirken würde.

Als ich in der Wahlkabine stand, umgeben Lehrtafeln für Afrikaans an den Wänden des Klassenzimmers und an meine verstorbenen Schwestern und Brüder dachte, die niemals in den Genuss dieses Privilegs gekommen waren, erkannte ich, dass ich meiner Partei der Befreiung noch eine letzte Chance schuldig war. Wie die Frau eines untreuen Geliebten, der immer wieder verspricht, sich zu ändern, würde ich der Partei »eine allerletzte Chance« geben. Und so stimmte ich für die Partei, der die unverbrüchliche Treue meines Vaters gegolten hatte.

Erst im Auto ließ ich den Tränen freien Lauf und schwor mir, dass, sollte sich auch jetzt nichts ändern, dies wirklich das letzte Mal gewesen war.

Letzten Mittwoch gab ich meine Stimme zu Ehren meiner Geschichte und derjenigen ab, die nun meine Ahnen sind. Ich entschied mich, meinem Herzen, nicht meinem Kopf zu folgen und gab der Loyalität Vorzug vor der Vernunft. Aber ich hoffe, dass ich das nächste Mal ohne Ansehen der Partei für die Zukunft stimmen werde – für eine Zukunft, die strahlender ist für mich und die meinem Kind grenzenlose Möglichkeiten eröffnet. Ich hoffe, die Partei und ihre Politiker hören dieses Mal zu.


Babalbwa Shota ist Ressortleiterin für Unterhaltung bei der Wochenzeitung City Press. Für ihre Kolumnen wurde sie 2010 von Vodacom als eine der Journalist/innen des Jahres ausgezeichnet. 

Beim Artikel handelt es sich um die deutsche Übersetzung des Artikels "My vote came from my heart", der am 22. Mai 2011 in der südafrikanischen Zeitung "City Press" erschienen ist