Innovation „Made in Africa“

Made in Afrika: auf der gedanklichen Suche nach Produkten, die mit diesem Label versehen sein könnten, denkt man meist an Agrarerzeugnisse wie Baumwolle, Kakao, Erdnüsse oder vielleicht an Holzmasken und bunte Stoffe. Technologische Innovation war Europa, den USA, und Asien vorbehalten und Technologietransfer bedeutete, die hier entwickelten Ideen und Produkte nach Afrika zu bringen und dort nutzen zu lassen. Dazu gehören auch speziell entwickelte Produkte wie der 100-Dollar-Laptop.

Durch die zunehmende Verbreitung von Mobilfunk, Internet und Open Source Technologien scheint sich ein Paradigmenwechsel abzuzeichnen: Die Entwicklung von Softwareanwendungen in Afrika, die einen lokalen Mehrwert und die neue Ansätze zur Lösung konkreter Probleme schaffen, nimmt zu. Made in Afrika steht heute auch für lokal und global genutzte ICT (Information and Communication Technologies)-Lösungen.

Open Source – eine kurze Einführung

Freie und Open Source Software (FOSS) bezeichnet Software deren Quellcode liegt frei zugänglich ist und Personen oder Gruppen die Ausübung der von Richard Stallman (FSF) formulierten vier Freiheiten erlaubt:

  • extrahieren und nutzen
  • studieren und verändern
  • kopieren und weitergeben
  • Veränderungen und Verbesserungen zurückgeben

Die Produktion von Open Source Software findet nicht als geschlossener, sondern als community-basierter und offener Prozess statt, bei denen eine Vielzahl von Entwicklern - unabhängig von geographischer Nähe-, gemeinsam an der Entwicklung komplexer Systeme arbeitet. Ein Großteil des Internets läuft auf FOSS Systemen, z.B. durch Apache Web Server, populäre Web-Content Management Systeme, Blogsoftware wie WordPress, und dem Browser Firefox. Da in FOSS Codes die Expertise Tausender von Entwicklern weltweit steckt und es systeminherent ist, dieses Wissen frei einsehbar zu machen und weiter zu entwickeln, kann FOSS auch als großes, internationales Lernprojekt verstanden werden.

Lokale Kapazitäten schaffen

Es entstehen immer mehr Bildungsangebote im Bereich Open Source, die das Ziel verfolgen Kapazitäten lokal aufzubauen. Beispiele hierfür sind Institutionen wie die Zentren EACOSS in Uganda und CENFOSS in Mozambique. Sie bieten zertifizierte Kurse im Bereich Open Source und arbeiten eng mit Universitäten vor Ort zusammen, um ein abgestimmtes Bildungsangebot aufzubauen. Auch Projekte wie das ict@innovation (www.ict-innovation.fossfa.net) Vorhaben, das von der deutschen Entwicklungsorganisation InWent gefördert wird, schafft Weiterbildungsangebote im Bereich Open Source und unterstützt die Entwicklung freier Trainingsmaterialien, sowie den Aufbau lokaler Trainingsinstitutionen in Süd- und Ost-Afrika.

Eine wichtige Bildungsinitiative ist das AVOIR Netzwerk: 13 afrikanische Universitäten haben eine Open Source Community und Strukturen aufgebaut, mit dem Ziel die Ausbildung von Software-Entwicklern zu fördern. Dieses Netzwerk entwickelte gemeinsam das Chisimba System. Chisimba ist eine Web 2.0-fähige Plattform zur Entwicklung von Anwendungsprogrammen oder „Applications“, die vor allem zur Anwendung im Bildungsbereich gedacht sind, darunter CMS, Blog, Podcast-Lösung, Wiki sowie ein Lernverwaltungssystem. Mit Chisimba können zum Beispiel eLearning-Kurse mit einer integrierten Podcasting-Anwendung erstellt werden. Mittlerweile wird das System nicht nur in Afrika, sondern zum Beispiel auch in Afghanistan eingesetzt.

Doing Business with FOSS

Jedoch geht es bei der Teilhabe an Open Source Projekten nicht nur um den Lern- und Weiterbildungseffekt. Vor allem in Afrika sind zeitliche und finanzielle Ressourcen knapp. Zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen in Afrika arbeiten mit Open Source und haben Geschäftsmodelle entwickelt, die auf die Entwicklung, Nutzung oder Pflege von Open Source Software basieren. Zu solchen Geschäftsmodellen gehört zum Beispiel die Entwicklung lokaler Sprachversionen oder an spezielle Kundenwünsche angepasste Software, die Durchführung von Migrationen (also „Umzüge“ von einem Betriebssystem zu einem andern), sowie das Anbieten von Support-Services und Systemwartungen. (Verschiedene Beispiele von Unternehmen in Afrika die erfolgreich mit Open Source arbeiten, finden sich als Case Studies unter http://www.ict-innovation.fossfa.net/og/co-editors/wiki/african-business-models-case-studies) Statt die Pflege und Hilfeleistung von ausländischen Firmen mit der Softwarelizenz einzukaufen, können Kunden lokale Anbieter ihrer Wahl beauftragen um z.B. ihr System anzupassen oder zu erweitern. Statt langfristige Abhängigkeitsstrukturen zu erzeugen, wird so der Aufbau lokaler Wertschöpfungsketten im IT Sektor gefördert.

Die Verbreitung von Open Source Software, gekoppelt mit der Verbreitung von Mobilfunk in Afrika, hat günstige Rahmenbedingungen für die Entwicklung neuer Applikationen geschaffen. So entsteht eine neue Generation lokal angepasster IT-Lösungen, jenseits der klassischen globalen Rollenverteilung von Konsument und Produzent.

Innovationspotenzial von mobiler Kommunikation und Crowdsourcing Tools

In den letzten Jahren sind eine Reihe von mobilen Anwendungen entstanden, die auf lokale Bedürfnisse eingehen: zum Beispiel SMS-basierte Systeme zur Marktabfrage für Bauern, Informationssysteme wie das Freedom Fone Projekt in Zimbabwe und mobile Zahlungsmethoden wie das Erfolgsprojekt M-PESA. M-PESA ist eine Wortkombination aus „M“ für mobile und dem Swahili-Wort„Pesa“ für Bargeld. Der Dienst wird vom kenianischen Mobilfunk-Netzbetreiber 'Safaricom' angeboten und ermöglicht Kunden, Geldbeträge per SMS an andere Mobilfunknutzer im Land und darüber hinaus zu schicken. Safaricom bietet seinen Kunden dabei ein Guthabenkonto an. Tankstellen, Kioske und kleine Läden dienen als Anlaufstellen, wo sich Kunden überwiesenes Geld auszahlen lassen aber auch Geld einzahlen können.

Oft sind die Ideen einfach aber effektiv. Wie die von Frontline SMS. Frontline SMS ist eine Entwicklung der Nichtregierungsorganisation kiwanja. Kiwanja möchte durch die Förderung von Informations- und Kommunikationstechnologien die Arbeit von lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) erleichtern und unterstützen. Gründer der Organisation ist der Engländer Ken Banks, der seine Erfahrungen von 17 Jahren NGO-Arbeit in Afrika in das Projekt einbrachte. 

Die Crowdsourcing Anwendung Frontlines SMS ermöglicht einen einfachen Laptop und ein Mobiltelefon zur Sende- und Empfangsstation umzuwandeln und SMS massenweise zu empfangen oder zu versenden, auch ohne Internetempfang. Crowdsourcing beschreibt die kollektive, öffentliche Sammlung von Informationen bei gleichzeitiger Plausibilitätskontrolle durch die Gruppe. Das bedeutet, dass durch die Massenverarbeitung von per SMS erhaltenen Informationen ein Verifikationsprozess stattfinden kann. Mittlerweile finden sich auf der ganzen Welt Anwendungsbeispiele, die auf www.frontlinesms.com/who kartographiert und dokumentiert sind. In Zimbabwe wurde Frontline SMS zum Beispiel von einer AIDS-Kampagne zur Aufklärung genutzt, in Ruanda von Farmern zur Vermarktung ihrer Produkte, und in Comoros zur Versendung von Hinweisen bei Ausbruchgefahr von Vulkanen. Auch zur Wahlbeobachtung wurde Frontline SMS genutzt, zum Beispiel 2007 in Nigeria.

Aufbauend auf die Erfahrungen mit SMS-Crowdsourcing-Diensten entstanden weitere Anwendungen wie zum Beispiel Ushahidi. Ushahidi bedeutet in Swahili „Bericht“ oder „Zeugnis“. Die Idee zur Entwicklung entstand in Kenia: als sich nach Ausbruch von Gewalttaten im Land als Folge der Wahlen eine Gruppe von Bloggern zusammen tat und überlegte wie sie dazu beitragen könnten, Transparenz in die Situation zu bringen. Die Idee war einfach und effektiv. In kürzester Zeit entwickelte man auf Basis von Open Source die erste Version von Ushahidi zur Kartographierung der Gewalttaten im Land: Per SMS versandte Informationen wurden mit geographischen Informationen in eine Karte eingegeben. Das System wurde weiter entwickelt und nach erfolgreichen Anwendungen in verschiedenen Ländern und Situationen ausgezeichnet und gefördert. Mittlerweile besteht Ushahidi aus einem Team von elf Mitgliedern und 30 freiwilligen Entwicklern und Designern. Ushahidi wurde vor kurzem in Haiti nach dem Erdbeben im Januar 2010 eingesetzt, um aktuelle Notstände zu dokumentieren und Hilfskräfte zu unterstützen.

Derzeit arbeitet das Team von Ushahidi zusammen mit Meedan, Appfrica, GeoCommons an neuen Entwicklungen: Swift River z.B. heißt die Crowdsourcing-Anwendung, die genutzt werden soll um Nachrichten zu validieren.

Förderliche gesetzliche Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Innovation und Bildungsangebote müssen in den meisten afrikanischen Ländern weiter ausgebaut werden. Die genannten Beispiele zeigen, wie bereits heute durch die kooperative Zusammenarbeit von Organisationen und Software-Entwicklern, sowie durch die Produktion dieser Systeme nach dem Prinzip der „offenen Innovation“, neue sozial und wirtschaftlich bedeutsame Innovationen Made in Africa entstehen.

Geraldine de Bastion arbeitet seit 2008 bei newthinking communications GmbH und leitet Projekte im Bereich Politik-, Medienberatung und internationale Zusammenarbeit. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind derzeit Open Source Technologien für Entwicklung sowie politische und wirtschaftliche Nutzung sozialer Medien und Blogs. Durch ihre jahrelange Erfahrung in der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit, gilt ihr besonderes Interesse der Wirkung von IKT und neuen Medien und Afrika und Asien.

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