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Präsidentschaftswahlen in Kamerun: Hände weg von meiner Stimme!

Weitestgehend unbeachtet von der internationalen Öffentlichkeit fanden am 9. Oktober 2011 in Kamerun Präsidentschaftswahlen statt. Viele Kameruner hatten schon im Vorfeld der Wahlen die Hoffnung aufgegeben, dass sich der lang ersehnte politische Wandel einstellen würde und blieben den Wahlurnen fern. So war es auch nicht überraschend, dass der sich seit 29 Jahren an sein Amt klammernde Paul Biya nun für weitere sieben Jahre das Land regieren wird: Biya hat mit seinen Machenschaften jegliche Opposition unterbunden und den Wahlprozess so manipuliert, dass ein Sieg vorprogrammiert war. Der 9. Oktober ist ohne Zweifel der Tag, an dem Kamerun zur Schande Afrikas wurde. 65 Prozent der kamerunischen Bevölkerung und 99 Prozent der in der Diaspora lebenden Kameruner wurden an diesem Tag ihrer politischen Teilhabe beraubt.

Machterhalt um jeden Preis

Um die Stimmung bei den diesjährigen Präsidentschaftswahlen nachvollziehen zu können, bedarf es eines Exkurses in die blutigen Februartage des Jahres 2008. Seit 1982 dominiert Paul Biya die Politik Kameruns. Als er seinen autoritären Vorgänger Ahmadou Ahidjo ablöste, sahen viele in ihm einen Hoffnungsträger des Landes. Trotz Biyas Wiederwahl in den folgenden Jahren, wuchs mit wachsenden ökonomischen Problemen und politischen Repressionen die Unzufriedenheit der Bevölkerung. Nur unter größtem Druck führte Biya 1990 das Mehrparteiensystem ein und gewann – trotz weitreichender Vorwürfe und Beweise des Wahlbetrugs – 1992 nur knapp die Wahl. Aufgeschreckt von seinem beinahen „Aus“, untergrub Biya zum eigenen Machterhalt systematisch Kameruns rechtliche und politische Institutionen und schuf sich durch Bestechung, Repression und Wahlmanipulation ein bis heute schwer angreifbares Machtgerüst. Folglich gewann er die folgenden zwei Wahlen – zuletzt 2004 mit, davon sind viele Beobachter überzeugt, gefälschten 75 Prozent der Stimmen.

Ungewöhnlich ruhig, ja fast apathisch, harrte die Bevölkerung ihrem Schicksal bis Kameruns scheinbare Stabilität 2008 plötzlich erschüttert wurde. Vier Tage lang gingen Hunderte größtenteils junger Kameruner landesweit auf die Straße, um ihren Unmut über steigende Lebenserhaltungskosten, Perspektivlosigkeit und eine geplante Verfassungsänderung Biyas Luft zu machen. Die gewaltsame Niederschlagung der Proteste durch das Militär und die Polizei kostete 140 Menschen das Leben. Biya nutzte den allgemeinen Schockzustand der Bevölkerung nach dem Massaker zur Annullierung einer in der Verfassung vorgeschriebenen Amtszeitbeschränkung, die ihm eine erneute Kandidatur bei den Wahlen 2011 ermöglichte.

Frei, fair & glaubwürdig?

Am 23. Februar 2011, in Andenken an die blutigen Februartage 2008 und inspiriert vom arabischen Frühling, nutzen viele Kameruner im In- und Ausland die neu entdeckte Macht der soziale Medien, um ihren Unmut über die Regierung eine Stimme zu geben. Obwohl die Bewegung auch von Oppositionsparteien und politischen Persönlichkeiten unterstützte wurde, blieben die Straßen Kameruns jedoch weitestgehend leer – zu tief saß noch der Schreck und zu groß war der Frust in der Bevölkerung.

Die angespannte Stimmung blieb jedoch nicht völlig unbemerkt. Paul Biya, der sich in einem seiner jährlichen Langzeit-Urlauben in der Schweiz befand, kehrte aus Angst vor einem politischen Umsturz ins Land zurück, verschanzte sich wochenlang in seinem Heimatdorf und mobilisierte von dort seinen Machtapparat. Politische Versammlungen und Demonstrationen wurden von der kamerunischen Polizei gewaltsam im Keim erstickt. Das Militär platzierte sich an allen wichtigen Knotenpunkten der Stadt. Um seiner Entschlossenheit Nachdruck zu verleihen, veranlasste Biya eine Neueinstellung Tausender junger Soldaten in die Armee.

Zur gleichen Zeit begann eine mediale Hetzkampagne gegen potentielle Nachfolger Biyas – auch aus den eigenen Reihen der Regierungspartei „Cameroon People`s Democratic Movement“ (CPDM). Man bezichtigte sie der Korruption, des Landesverrates oder der Homosexualität, was in Kamerun bis heute ein gesellschaftliches Tabu ist. Oppositionelle Führer wurden vorübergehend verhaftet, unter Hausarrest gestellt oder sogar entführt. Auch Schriftsteller und Journalisten wurden zum Opfer staatlicher Gewalt. Als bei einer Demonstration im Juli vier Demonstranten ums Leben kamen, erstarrte die Bevölkerung in Angst vor einer Wiederholung der Ereignisse aus dem Jahr 2008. Die radikale und gewaltsame Überwachung der politischen Szene Kameruns zeigte Wirkung, die aufgebrachten Stimmen wurden leiser und nur wenige trauten sich Biya die Stirn zu bieten. Das politische Leben war stillgelegt und ein freier und fairer Wahlkampf unmöglich.

Selbst den tatsächlichen Termin der Präsidentschaftswahlen behielt Biya bis in den Spätsommer für sich. Die zur Überwachung der Wahlen ins Leben gerufene unabhängige Wahlkommission „Elections Cameroon“ (Elecam) wurde mit Regierungstreuen besetzt und somit im Vorhinein zu einem der vielen Bestandteile von Biyas Machtapparat.

Auch die Wählerregistrierung geriet zur Farce. Wählerregister wurden manipuliert, Staatsangehörigkeiten oder das angegebene Alter der Menschen nicht akzeptiert. Auch die politische Entmündigung der Diaspora wurde offensichtlich. Ein Gesetzesentwurf aus dem Frühjahr sollte erstmals den vier Millionen im Ausland lebenden Kamerunern ermöglichen, an der Präsidentschaftswahl teilzunehmen. Das Gesetz trat jedoch so spät in Kraft, dass für die Registrierung in vielen Fällen nur wenige Tage übrig blieben. Die Stimmabgabe wurde somit für einen Großteil der Diaspora von Beginn an konterkariert.

Gemeinsame Stimme der Opposition

Biyas Überwachungsstaat hat im Laufe der Jahre dazu geführt, dass Argwohn und Skepsis gegenüber den Mitmenschen den Charakter des kamerunischen Soziallebens prägen und in allen Lebensbereichen sichtbar geworden ist. Die Zivilgesellschaft und die politische Opposition sind stark fragmentiert und in vielen Fällen auch demoralisiert. Mit „09-10-11 Touche pas à mon vote!“ wurde in den Monaten vor der Wahl eine Plattform ins Leben gerufen, die die Forderungen der Opposition und Zivilgesellschaft zusammen brachte. Neben weiteren NGOs wie „Cameroon O’Bosso“ schlossen sich auch bald Präsidentschaftskandidaten und –kandidatinnen (Kah Walla, Jean-Jacques Ekindi, Jean de Dieu Momo und Paul Abine Ayah) und ihre Parteien der Plattform an.

Sie organisierte weltweit Demonstrationen gegen das Biya-Regime, schuf eine Internetplattform und konzentrierte sich auf die Ausbildung von unabhängigen Wahlbeobachtern. Insgesamt 2000 Wahlbeobachter wurden in dem Monat vor der Wahl in Jaunde, Bafoussam, Bamenda, Edea und Ebolowa ausgebildet, unter ihnen Befürworter jeder Oppositionspartei, Studierende und andere politisch Engagierte. Am Wahltag selbst wurde die Plattform „Touche pas à mon vote“ im Minutentakt von ihnen über die Ereignisse und Abläufe in der Wahlbüros informiert. Die Informationen wurden direkt über soziale Medien wie Facebook verbreitet und insbesondere in der Diaspora heiß diskutiert. Die Organisatoren waren sich bewusst, dass es, um in jedem Wahlbüro Kameruns präsent zu sein, über 24.500 Wahlbeobachter bedurft hätte. Dennoch: ganz kampflos wollte man Biya nicht das Feld räumen.

Wahl-los

Schnell fügten sich die Berichte der Wahlbeobachter und aus der Diaspora zu einem Gesamtbild zusammen, das bitteres Ergebnis der Kampagne Biyas ist. 65 Prozent der kamerunischen Wahlberechtigten entschied sich dafür „mit dem Hintern zu wählen“: sie blieben zu Hause, da sie im wahrsten Sinne des Wortes keine „Wahl“ hatten. Paul Biya, der drittälteste Staatschef Afrikas (gleich nach den Diktatoren von Äquatorialguinea und Simbabwe) zog sämtliche Register, um die Bevölkerung von der Wahl abzuhalten: Administrative Schikanen, Verhinderung des Wahlkampfes, Gewalt und Hetzkampagnen.

Für viele Kameruner – im In- oder Ausland – ist der 9. Oktober 2011 ein Tag, den sie am liebsten vergessen würden. Wie es in den nächsten sieben Jahren unter Biya weitergehen wird, daran wagen die wenigsten zu denken. Da die Grundlage einer jeden Demokratie, freie, faire und glaubwürdige Wahlen, von Biya ab absurdum geführt wurde, bleibt den Menschen nur noch die Straße, um sich Gehör zu verschaffen. Sei es durch die Machtkämpfe innerhalb der Regierungspartei, durch eine erstarkende Opposition, durch den Gesundheitszustand des alten Präsidenten oder einen Umsturz durch die unzufriedene Bevölkerung. Kamerun hat erst dann eine Wahl, wenn Biyas Ära zu Ende geht.


Patrice Nganang wurde 1970 in Yaounde geboren und studierte in Yaounde, Frankfurt und Berlin Literaturwissenschaft. Seit 2000 lebt er in den USA. Er ist Autor von Gedichten, Prosa und literaturtheoretischen Arbeiten. Spätestens mit seinem Roman "Hundezeiten" gewann er auch die deutsche Leserschaft für sich. Aus der Diaspora ist Patrice Nganang stark politisch aktiv und gründete 2011 die NGO "9-10-11 Touche pas à mon vote."