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Vertrauen - Repräsentation - Partizipation. Wandel der Parteiendemokratie als Herausforderung für die Grünen

Lesedauer: 5 Minuten

1. Oktober 2008

21./ 22. September 2007

Vertrauen  - ein politisch-kultureller Wert von herausragender Bedeutung in Demokratien - scheint eine volatile Größe geworden zu sein. Wir konstatieren ein Auseinanderdriften von parteienpolitischem Wahlkampftalk und den Erfahrungswelten des Wahlvolks. Mit Blick auf Bündnis 90/Die Grünen werden Aspekte dieses Problemfelds debattiert: Was liegt dem Verlust von Vertrauen zugrunde, wie kann Partizipation gestärkt werden? Wie entwickelt sich im „grünen Milieu“ die Dynamik zwischen Institutionen und Bewegungen? Wie tauglich sind moderne Kampagnen als Mittel politischer Kommunikation?

Schwerpunkte der Tagung waren:

  • Parteien und repräsentative Institutionen in der Krise? Zur Distanzierung der BürgerInnen von der Politik

Läßt sich die Distanzierung der Bürger von der Politik aus der institutionellen Praxis einer Demokratie selbst erklären? Dann würde sich die optimistische Erwartung von Demokratietheorien als verfehlt erweisen, dass der demokratische politische Prozess die Bürger zu „guten“ Bürgern qualifizieren kann. Für die staatliche Politik hätte das schwerwiegende Konsequenzen, da sie nicht nur auf die Unterstützung der Bürger, sondern auch auf die engagierte „Ko-Implementation“ ihrer Politiken durch die Bürger angewiesen ist.

  • Mehr Partizipation oder mehr Repräsentation? Zum Vertrauensverlust gegenüber Parteien und politischen Institutionen

In der Forderung nach „mehr Partizipation“ fehlt die Frage danach, wie Partizipation und die Wahrnehmung von Entscheidungsverantwortung zusammenspielen. Die Entkoppelung von Beratung und Entscheidung aber schreitet in der medialisierten Öffentlichkeit voran und entzieht den repräsentativen Körperschaften ihren Sinn. Gegensteuern verlangt, Partizipation mit Verantwortung und dem „Risiko der Führung“ zu verknüpfen.

  • Zwischen Parlament und Bewegung - Die Grünen und ihr Verhältnis zu sozialen Bewegungen und BürgerInnengesellschaft

Die Beteiligung der Bündnis-Grünen am G8-Protest vom Juni 2007 ließ die innergrüne Debatte um das Verhältnis von grüner Partei zu außerparlamentarischer Bewegung wieder aufblühen. Offensichtlich vor allem vor dem Hintergrund der Phase als Regierungspartei wurden die Grünen nicht zuletzt mit Glaubwürdigkeitsfragen konfrontiert, während sich viele Grüne zu ihrer Tradition von kritischer Kontroverse und zivilem Ungehorsam gerade auch in der Kooperation mit der globalisierungskritischen und der Umweltbewegung bekennen. Neuerdings wird auch von BuVo-Seite aufgefordert, eine neue Bürgerbewegung für Klimaschutz zu ermutigen.
Zugleich hat sich die BürgerInnengesellschaft selber mittlerweile stark gewandelt und fortentwickelt.  Engagement organisiert sich zB. in starkem Maß in privaten Stiftungen, wo teils in wechselweiser Unterstützung, teils gar konkurrent um die Steuerung von  Geldflüssen in öffentlicher oder privater Hand verhandelt wird. Andererseits brauchen die AkteurInnen beider Seiten das Gespräch, weil die Politik auf die privaten Initiativen und diese auf die Setzung politischer Rahmenbedingungen angewiesen sind.
Das Verhältnis zwischen parlamentarischer und außerparlamentarischer Arbeit (Kontext Klimathema) muss nach dem Abschied der Grünen von der „Bewegungspartei“ immer wieder austariert werden muss.
Erforderlich sind darüber hinaus Gestaltungsvorschläge für eine Politik der „komplementären Neuordnung“ für  Beteiligung und Einmischung. Wie sollte Engagement-Politik für heute und morgen aus einer grünen Perspektive beschaffen sein?

  • Grüne in der Kampagnendemokratie: Von der Aktionseinheit zum professionellen Politikmarketing?

Die Politik hat heute Mühe, Zustimmung für Reformen in Sozialstaat und Arbeitsmarktregimen zu gewinnen. Dies stellt sich wesentlich auch als eine Frage mehr oder weniger erfolgreicher Kommunikation zwischen Parteien und Wahlvolk dar. Wie aber kommunizieren heute politische Parteien mit ihrem Wahlvolk - wie erfolgreich, wie wahrnehmungsfähig, wie themensensibel - und in welchen Formen?
Eine Form, in der dies aktuell versucht wird, ist die der Kampagne. Auch die Grünen haben sich mit diesem Instrument versucht mit ihrer Anti-Atom- und Stromwechsel-Kampagne „Atomausstieg selber machen“.
Kampagnen sind als Form politischer Mobilisierung nicht neu, und neu ist auch nicht die Debatte darüber, in welchem Maß diese Kommunikationsform geeignet ist um zu diskutieren oder ob sie eben lediglich eine Form der öffentlichen Repräsentation, der Selbstdarstellung und Überredungsanstrengung von Regierungen und Parteien im Zeitalter der Mediendemokratie ist (Sarcinelli 1998 und 2002; Röttgers 2006). Was macht Kampagnen als Kommunikationsform heute für Parteien attraktiv, welche Erfolge verspricht man sich?

Die bisherigen Kampagnen gehen immer stärker in Richtung Inszenierung von Politik und instrumentalisieren die Adressaten. Notwendig wäre aber eine stärkere Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. d.h. ihnen muss mehr Einflussmöglichkeiten eröffnet werden. die Kommunikation muss in beide Richtungen gehen, nicht nur - wie bisher in eine. Dies betrifft auch Parteien, weil sie im Grunde genommen dieses instrumentelle Verhältnis nicht aufbrechen.

  • Wandlungen der Parteienlandschaft – Neuorientierung der Grünen?

Mit der Fusion aus Linkspartei und WASG tritt dieses politische Lager in neuer Formation auf die gesamtdeutsche politische Bühne. Die Partei Die Linke stellt insbesondere, aber nicht nur für die SPD eine Herausforderung und wahlpolitische Konkurrenz dar: Auch die anderen Parteien und auch die Grünen haben Stimmen an sie verloren. Die bloße Abgrenzungspolitik wird aber selbst in der SPD nicht aufrechterhalten, zumal ihre Vorgängerin PDS in verschiedenen Landesregierungen berechenbare und auch schmerzhafte Reformpolitik mitgetragen hat. Inwiefern geschieht mit dem Auftritt der fusionierten Partei etwas Neues in der bundesdeutschen Parteienlandschaft? Welche Herausforderungen stellen sich für Bündnis 90/Die Grünen, und wie können sie mit ihnen umgehen?

ReferentInnen

Lothar Probst (Univ.Bremen, Vorstand Grüne Akademie)
Claus Offe (Hertie School of Governance Berlin)
Willfried Maier (GAL Hamburg, Vorstand Grüne Akademie)
Dieter Rucht (WZB- Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung)
Felix Kolb (Bewegungsakademie, Grüne Akademie)
Paula Riester (Grüne Jugend, Sprecherin)
Rudolf Speth  (PD, Autor der Studie „Dritte Welle der Wirtschaftskampagnen“ u.a., Freie Universität Berlin)
Hans-H.Langguth (2002-05 Organisationschef des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung)
Rebecca Harms (MdEP, Stellv.Vorsitzende der Fraktion Grüne/EFA; Grüne Akademie)
Dieter Rulff  (Journalist, Redaktion „Vorgänge“)
Joachim Raschke (Prof. em., Hamburg)
Renate Künast (MdB, Fraktionsvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen)
Ralf Fücks (Vorstand HeinrichBöll-Stiftung und Grüne Akademie)

u.a.

Flyer (PDF, 1MB)