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Mitten ins Grüne? Auf der Suche nach Projekt, Differenz und Legitimation

Lesedauer: 3 Minuten

 

7. Oktober 2008

17./18. November 2006

Unter der Bedingung der Grossen Koalition debattieren die Volksparteien neue Grundsatzprogramme. Sie arbeiten dabei an eng verwandten Kernbegriffen: Gerechtigkeit, Freiheit, Solidarität. Die Großparteien treffen sich in einer politisch überfüllten Mitte: „Was 1998 von den Sozialdemokratien als „Neue Mitte“ beschrieben wurde, ist nun die kulturelle und soziale Basis der großen Koalition“ (Cordt Schnibben).

Die „Mitte“ hat als Topos eine Tradition, die Stabilisierung und Integration verheisst. Mit dem Schröder-Blair-Papier und Schröders Wahlkampf-Motto von 2002 „Die Mitte in Deutschland“ wurde der traditionell christdemokratisch-konservative Diskurs sozialdemokratisch besetzt. Die Botschaft: Eine Generation sozialer Aufsteiger konnte erfolgreich sein durch “Leistung und Gemeinsinn”. Angeboten wurde das Bild einer Gesellschaft, die sich in konzentrischen Kreisen um ihren Mittelpunkt ordnet. Zugleich wurde eine Grundsatzdebatte in der SPD zugunsten der Regierungsarbeit aufgeschoben: Die visionären Entwürfe von 1999 weckten bei der Basis Hoffnungen, die nur enttäuscht werden konnten. Heute haben die deutschen Dritter-Weg-Visionen zwischen Agenda 2010 und Hartz-Reformen ihren Glanz verloren; die britischen Reformer wurden – wenngleich die Reformen durchaus Erfolge vorweisen können – durch die Wähler abgestraft. Die CDU, pragmatischer im Umgang mit Programmen, wird durch Angela Merkels Forderung nach Grundsatzdebatte („Wertekommission“) mit dem konzeptionellen Vakuum nach Kohl ebenso konfrontiert wie mit dem Auseinanderbrechen konservativer/ christdemokratischer Vorstellungen von Wandel und Reformen.

Der profundeste Theoretiker einer “radikalen Mitte”, Anthony Giddens, diskutierte als Option “jenseits von rechts und links” einen “Sozialliberalismus”, der Sozialstaat und Neoliberalismus versöhnen wollte, der die traditionalen Fragen nach Gleichheit und Lebenschancen verknüpfen wollte mit den aktuellen Umbrüchen in Technologie, Natur und Tradition im Zeichen der Globalisierung. Während die europäischen Sozialdemokratien ihre Erfahrungen unter jeweiligen nationalen Bedingungsgefügen durchaus unterschiedlich evaluieren, scheint die grosse Koalition die Alternativlosigkeit einer (programmatischen) Mitte zu demonstrieren. Dabei ist heute zweifelhafter als noch vor vier Jahren, inwiefern “politische Mitte” das Versprechen auf eine Option jenseits der kriselnden Rechts-Links-Ideologien einlösen kann und als Profilierungsort taugt.

Können „rechte Mitte“ und „linke Mitte“ Projekte formulieren, die sie als Parteien bündeln (integrieren) und unterscheiden? In welchem Umfang müssen und können sie sich dafür neu erfinden? Wie gestaltet sich der Rekurs auf die je eigene Geschichte und den aktuellen Wandel von Milieus und politischen Herausforderungen?
Und was ist heute der Ort der Grünen angesichts des großkoalitionären Sogs in die Mitte: In welcher ideologischen und programmatischen Perspektive sichern sie Projekt, Differenz und Legitimation?

ReferentInnen

Prof. Herfried Münkler (Humboldt-Universität zu Berlin, Lehrbereich Theorie der Politik)
Renate Künast (Ministerin a.D., Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen)
Rebecca Harms (MdEP, Vorstandsmitglied der Grünen Akademie)
Prof. Dr. Angelo Bolaffi (Università La Sapienza, Rom, Grüne Akademie)