Ein Gespräch mit der Kapitänin des Afghanischen Fußballnationalteams der Frauen, Khalida Popal
Dennoch hat seit einigen Jahren der Frauenfußball Konjunktur in Afghanistan. Alles begann mit der Gründung des ersten afghanischen Frauenfußballvereins, 2004. Von da an breitete sich die Kunde von Fußball spielenden Mädchen aus, was dazu führte, dass das Interesse an dem Sport stieg und sich eine steigende Zahl von Mädchen an ihren Schulen zum Fußball meldete. 2006 gab es bereits vier Frauenfußballvereine. Weitere Möglichkeiten ergaben sich, als im selben Jahr eine Frauenabteilung innerhalb des Afghanischen Fußballverbands AFF eingerichtet wurde. Von da an ging es rasch voran, und ebenfalls 2006 wurde das Fußballnationalteam der Frauen gegründet.
Gegenwärtig umfasst das Team 25 Spielerinnen. Der Trainer ist ein Mann, Waheedullah Wahidi. Mit großer Begeisterung und Liebe zum Fußball trat Khalida Popal vor fünf Jahren der Fußballverein ihrer Schule bei. Durch harte Arbeit und große Anstrengungen schaffte sie es bis ins Nationalteam, wo sie nun neue Herausforderungen sucht, ihre Technik weiter verbessert und beweisen will, dass es sich gelohnt hat, am Ball zu bleiben.
Wir sprachen mit Khalida um mehr über ihre ungewöhnliche Karriere zu erfahren.
Frage: Wie ergeht es Ihnen als Fußballspielerin in der afghanischen Gesellschaft?
Khalida Popal: In einem von der Tradition geprägten Land wie Afghanistan ist es für Mädchen nicht leicht, eine Ausbildung zu erhalten oder außer Haus zu arbeiten – vom Fußballspielen mal ganz abgesehen. Die meisten Menschen wollen nicht, dass Mädchen Fußball spielen, da das als Männersport gilt.
Ich erinnere mich gut an die Zeit, als ich auf dem Schulgelände trainierte, und Leute kamen und guckten von den Mauern aus zu, denn die waren ziemlich niedrig. Wir wurden oft durch Zurufe beleidigt und belästigt. Manche sind sogar über die Mauer aufs Schulgelände gesprungen und haben uns bedroht. Das wurde noch schwieriger, nachdem mich Leute im Fernsehen gesehen hatten, als Spielerin und bei Interviews. Ich wurde mehrmals von Leuten auf dem Schulweg bedroht; mir wurde gesagt, ich solle damit aufhören. Aber ich hatte keine Angst. Ich war gelassen. Ich habe weiter gemacht um zu zeigen, dass Mädchen zu ihren Entscheidungen stehen können, dass sie nicht nur arbeiten oder studieren, sondern auch jede Art von Sport treiben können.
Wie hat das alles angefangen? Was hat Sie am Fußball interessiert?
Ich habe mich schon von Kind an für Fußball interessiert. Während der Taliban-Jahre habe ich mit meiner Familie in Peshawar gelebt. Als wir nach dem Sturz der Taliban nach Kabul zurück sind, habe ich dort wieder das Mädchengymnasium besucht. Die meisten Klassenkameradinnen dort haben Fußball gespielt, und sie haben gesagt, ich solle mitmachen. Ich habe mich also bei meinem Schulverein angemeldet und gespielt. Als nach Spielerinnen für das Nationalteam gesucht wurde, hatte ich Glück und wurde ausgewählt – und jetzt spiele ich für das Afghanische Fußballnationalteam der Frauen.
Wann und wo trainieren Sie?
Seit Gründung des Teams, 2006, spiele ich in der Abwehr. Ein richtiges Trainingsgelände haben wir nicht. Wir trainieren nur innerhalb des internationalen Militärgeländes, da Frauen im Unterschied zu Jungs nicht einfach so im Freien kicken können. Dazu kommt, dass die meisten Familien nicht wollen, dass ihre Töchter öffentlich, vor anderen Leuten spielen. Unser Spielgelände ist auch Landeplatz für Militärhubschrauber, das heißt, wir müssen unser Training oft unterbrechen. Ich trainiere dreimal die Woche. Das Training ist dabei nicht nur körperlich, wir machen auch Theorie, schauen Lehrfilme.
Wer sind, international, ihre Lieblingsspielerinnen und -spieler?
Meine Lieblingsspielerinnen sind Birgit Prinz und Marta Vieira da Silva, meine Lieblingsspieler Ronaldinho and Kaká.
Bei welchen Wettbewerben sind sie bislang für Afghanistan aufgelaufen?
Seit Gründung des Nationalteams habe ich viele Freundschaftsspiele bestritten, unter anderem beim zweiten Nationalturnier in Pakistan. Ich habe auch am Islamischen Frauenfußballturnier in Jordanien teilgenommen. Daneben war ich mehrmals in Deutschland zu Trainingslagern und habe dort eine Reihe von Freundschaftsspielen bestritten.
Vor Kurzem waren wir beim Südasienturnier 2010 in Bangladesch, wo wir unsere ersten Länderspiele gegen Frauenteams aus Nepal, den Malediven und Pakistan ausgetragen haben.
Was hat das Team bislang erreicht?
Für uns ist jedes Spiel eine Leistung. Wir sammeln Erfahrungen, lernen unsere Stärken und Schwächen kennen und können uns so im Hinblick auf kommende Spiele verbessern. Die größte Leistung ist, dass unser Team inzwischen international anerkannt ist.
Was, glauben Sie, ist der größte Unterschied zwischen Männer- und Frauenfußball?
Was das Regelwerk angeht gibt es keine Unterschiede. Der einzige wesentliche Unterschied ist die gesellschaftliche Stellung des Sports in unserem Land. Das Männerteam hat zahlreiche Fans und Unterstützer. Das lässt sich mit dem, wie es für uns aussieht, nicht vergleichen.
Wie ist Ihr gewöhnlicher Tagesablauf?
Außer Fußballspielerin bin ich Verwaltungs- und Finanzchefin des Afghanischen Fußballverbands AFF und Vorsitzende des Komitees für Frauenfußball. Jeden Morgen um fünf Uhr gehe ich zu einem Privatinstitut, wo ich Finanzwesen studiere. Danach geht es zum AFF, wo ich bis 14 Uhr arbeite. Anschließend geht es aufs Trainingsgelände, wo wir für zwei Stunden trainieren.
Mit welchen Herausforderungen hatten Sie zu kämpfen, seitdem Sie Fußball spielen?
Die Lage in Afghanistan ist für uns alle eine große Herausforderung. Familien lassen ihre Töchter nicht Fußball spielen. Da die Sicherheitslage labil ist, es immer wieder zu unvorgesehenen Zwischenfällen kommt, wollen viele keine Risiken eingehen.
Unser Nationalteam besteht nur aus Spielerinnen aus Kabul. Der verheerenden Sicherheitslage wegen können wir nur selten in die Provinz gehen um dort Spielerinnen zu finden. Dazu kommt, dass es in der Provinz fast kaum jemanden gibt, der es einer weiblichen Verwandten gestatten würde, einem Fußballteam beizutreten oder sonst irgendeinen Sport zu treiben. Geldmangel ist ein weiteres Problem. 15 Prozent des jährlichen Budgets des AFF stehen dem Frauenfußball zur Verfügung. Das reicht nicht aus, um die Kosten des Teams zu bestreiten. Manche unserer Auslandsreisen müssen wir dementsprechend absagen, wenn nicht das Gastland Geld zuschießt.
Das klingt in der Tat nicht einfach. Was gibt ihnen die Zuversicht, weiterzumachen?
Vor einem Monat haben wir ein Freundschaftsspiel gegen ein Team der ISAF ausgetragen, und ich habe gesehen, wie im Publikum die afghanische Flagge geschwenkt wurde. Das hat uns angefeuert, wir haben kraftvoll und mutig gespielt – und 1:0 gewonnen! Das zeigt, dass unsere Leute allmählich begreifen, wie wichtig es ist, auch Fußballerinnen zu haben. Die Berichterstattung in den internationalen Medien hat dazu geführt, dass sich mehr Menschen für uns interessieren, und wir haben so einige Sponsoren gewonnen. Ein dänischer Sportartikelhersteller unterstützt die afghanischen Jugendteams der Jungs und Mädchen. Die selbe Firma hat auch Freundschaftsspiele für diese Teams organisiert, die im Juli 2011 in Dänemark stattfinden werden. Und diese Firma hat unser Team zur Frauenfußball-WM nach Deutschland eingeladen.
Je mehr die Menschen in Afghanistan über uns hören, desto größer das Interesse. Immer mehr Mädchen spielen Fußball. Gegenwärtig gibt es 20 Vereine in Kabul und vier an anderen Orten, in Mazār-i Scharif und in den Provinzen Bamiyan, Kapisa und Dschuzdschan. In den unterschiedlichen Altersgruppen haben wir gegenwärtig 500 eingetragene Fußballspielerinnen in Afghanistan. Das zeigt, dass in den nächsten Jahren bei Mädchen und Frauen das Interesse am Fußball weiter steigen wird, und dass wir in Zukunft ein gutes afghanisches Frauenteam haben werden.
Wie sieht die Zukunft für das afghanische Fußballnationalteam der Frauen aus?
Ich denke, die Zukunft sieht rosig aus. Wir haben Fans und Unterstützer. Menschen in aller Welt kennen uns, einige Firmen und Spender unterstützen uns. Der Frauenfußball wächst in Afghanistan. Ich hoffe, dass es in Zukunft besser wird, dass Frauen mehr Rechte bekommen. Bitte erwartet von uns nicht zu viel. Beurteilt unser Team nicht, ohne zu berücksichtigen, unter welchen schwierigen Umständen wir spielen.
Haben Sie eine Botschaft für die Jugend Afghanistans?
Sport sollte ein Teil unseres Lebens sein. Gleich welchen Sport ihr treibt, klemmt euch dahinter und gebt nie auf.
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Khalida Popal (23), ist Kapitänin des Afghanischen Fußballnationalteams der Frauen. Sie arbeitet als Verwaltungs- und Finanzchefin des Afghanischen Fußballverbands AFF und ist dort Vorsitzende des Komitees für Frauenfußball.
Die Fragen stellten Neelab Hakim and Abdul Rahim Ataee.
Dossier
Afghanistan 2011 - 10 Jahre Internationales Engagement
Nach zehn Jahren internationalem Einsatz in Afghanistan wird im Dezember 2011 eine weitere Afghanistan-Konferenz in Bonn stattfinden. Die Heinrich-Böll-Stiftung unterstützt seit 2002 aktiv den zivilgesellschaftlichen Aufbau in Afghanistan und fördert den Austausch zwischen deutscher und afghanischer Öffentlichkeit. Das folgende Dossier gibt Raum für Kommentare, Analysen und Debatten im Vorfeld der Bonner Konferenz zu Afghanistan.