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Angst ist ein ständiger Begleiter für Journalisten in Kabul

Workshop für Online-Journalismus und Blogging in Jalalabad, 2009. Foto: Nasim Fekrat. Lizenz: CC BY 2.0. Original: flickr.com

7. Juni 2011
Aunohita Mojumdar
Von Aunohita Mojumdar

Im Jahr 2010 starb kein afghanischer Journalist, keine Journalistin in Ausübung seines oder ihres Berufs bei der Berichterstattung über den islamischen Aufstand im Lande. Auf den ersten Blick ist das eine gute Nachricht. Medienvertreter in Afghanistan weisen jedoch darauf hin, dass diese Statistik auch Anlass zur Sorge ist.

Insgesamt, so ein kürzlich erschienener Bericht des Committee to Protect Journalists (CPJ), kamen 2010 zwei ausländische Journalisten bei der Kriegsberichterstattung aus Afghanistan ums Leben. Diese im Vergleich mit den Vorjahren geringere Zahl an getöteten Journalisten rührt jedoch nicht daher, dass Kriegsberichterstatter heute besseren Schutz genießen, sie ist Folge größerer Vorsicht. Im Bericht des CJP heißt es dazu: „Zwar nahm der Krieg an Intensität zu, die Zahl der getöteten Journalisten jedoch nicht – ein Zeichen größerer Vorsicht bei der Berichterstattung.

In gewisser Hinsicht haben sich die Bedingungen für afghanische Journalisten verbessert. So hat die Zahl der Medien zugenommen und entsprechend gibt es mehr Arbeitsmöglichkeiten. Hinzu kommt, dass die Öffentlichkeit eine unabhängige Presse allmählich zu schätzen lernt. Dennoch ist die Angst für fast alle afghanischen Journalisten ein ständiger Begleiter. Statt Risiken einzugehen verzichten manche lieber gleich ganz aufs Berichten, und es kommt vor, dass eine Pressemitteilung umgeschrieben und als eigener Bericht ausgegeben wird.
„Sicherheit ist eine der größten Herausforderungen“, sagt Farhad Peikar, eine afghanischer Journalist, der für eine internationale Presseagentur arbeitet. „Wir können nicht überall hin und von dort berichten.“

Die ständige Unsicherheit führt dazu, dass Journalisten mehr und mehr zur Selbstzensur neigen. „Ich denke zweimal darüber nach, bevor ich über Drogenbosse oder Warlords berichte“, räumt Peikar ein. „Und wenn ich es tue, dann bin ich sehr vorsichtig und wäge genau ab, ob ein Bericht mich in Lebensgefahr bringen kann.“

Örtliche Machthaber und Regierungsvertreter handeln meist in Eigenregie, wenn es darum geht, unliebsame Berichte zu unterdrücken. Alleine im vergangenen März berichtete Media Watch, ein von der afghanischen Nicht-Regierungsorganisation Nai herausgegebener Newsletter, über mehrere Fälle in denen Journalisten bedroht oder eingeschüchtert wurden. Ein aus Kabul stammender Reporter wurde von Verkehrspolizisten zusammengeschlagen; ein Radiosender in der im Westen des Landes gelegenen Provinz Baghdis erhielt gesetzeswidrig die Order, den Sendebetrieb einzustellen, da angeblich Präsident Karzai in einer Sendung beleidigt worden sei. Media Watch berichtet auch davon, dass Regierungsvertreter versuchen, unabhängige Medien unter ihre Kontrolle zu bringen.

Afghanische Journalisten scheinen allgemein ein haariges Verhältnis zur Regierung in Kabul zu haben. Viele beschweren sich über mangelhaften Zugang. Obgleich Peikar für eine internationale Presseagentur arbeitet, zeigt er sich entnervt darüber, dass Vertreter der afghanischen Regierung lieber mit Korrespondenten aus dem Westen sprechen als mit örtlichen Journalisten.
In der Ausgabe der Zeitschrift Killid Weekly vom 5. Februar 2011 schreiben die Journalisten Farukhlaqa Sultani und Gulkohi darüber, dass afghanische Journalisten im eigenen Land wie Bürger zweiter Klasse behandelt werden. „Nachrichten und Informationen über Afghanistan erscheinen oft [zuerst] in den großen westlichen Medien und werden dann von den afghanischen Medien übersetzt.“ Vertreter der afghanischen Regierung lassen sich gerne von internationalen Medien zitieren, „da ihnen mehr an den USA und den NATO-Staaten gelegen ist, an der öffentlichen Meinung im Westen, als an der Öffentlichkeit in Afghanistan.“
„Die internationalen Medien haben mehr Einfluss und können die Politik verändern. Warum also sollten sie [die Regierungsvertreter] mit Journalisten vor Ort sprechen?“ merkte zynisch ein afghanischer Journalist an. Da er für die internationale Presseagentur, für die er arbeitet, offiziell nicht Stellung nehmen darf, fügte er unter vier Augen hinzu, dass seiner Meinung nach diese Einseitigkeit bewusste Politik sei und von ganz oben käme, aus Präsident Karzais Büro.
„Obwohl ich ihnen sehr gut bekannt bin und für ein anerkanntes Medium arbeite, will das Büro des Präsidenten, mich nicht einmal auf ihre Mailingliste setzen, geschweige denn zu Pressekonferenzen einladen“, ergänzte der Journalist. „Da ich kritisch berichte, halten sie mich für ihren Feind.“

Vertreter von Killid – die Zeitschrift betreibt auch einen bekannten Radiosender – berichten, dass sie seit Jahren um ein Interview mit Karzai bitten. Erfolg hatten sie damit bislang nicht, und dass, obwohl sich der Präsident regelmäßig mit Vertretern der internationalen Medien trifft.

Wie sieht es anderswo in der Region aus? Zum Internationalen Tag der Pressefreiheit am 3. Mai 2011 veröffentlichte Freedom House seinen jährlichen Bericht zur Pressefreiheit in aller Welt. Was die Länder im Kaukasus und Zentralasien angeht gab es keine Überraschungen. Im Kaukasus erhielt allein Georgien das Siegel „teils frei“. Sowohl Armenien als auch Aserbaidschan wurden als „unfrei“ eingestuft. Alle fünf ehemaligen Sowjetrepubliken in Zentralasien erhielten gleichfalls das Zertifikat „unfrei“. In der Untersuchung schnitt nur Nordkorea noch schlechter ab als Turkmenistan und Usbekistan.

3. Mai 2011

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Aunohita Mojumdar ist freie Journalistin aus Indien. Sie lebt in Kabul.

2010 © Eurasianet
Englisches Original veröffentlich auf: EurasiaNet.org

 

Dossier

Afghanistan 2011 - 10 Jahre Internationales Engagement

Nach zehn Jahren internationalem Einsatz in Afghanistan wird im Dezember 2011 eine weitere Afghanistan-Konferenz in Bonn stattfinden. Die Heinrich-Böll-Stiftung unterstützt seit 2002 aktiv den zivilgesellschaftlichen Aufbau in Afghanistan und fördert den Austausch zwischen deutscher und afghanischer Öffentlichkeit. Das folgende Dossier gibt Raum für Kommentare, Analysen und Debatten im Vorfeld der Bonner Konferenz zu Afghanistan.