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Afghanistan: Kein Frieden ohne Zivilgesellschaft

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Rückblick: Das Afghanistan-Forum der Politischen Stiftungen in Bonn

Es war das Gipfeltreffen der afghanischen Zivilgesellschaft: 34 Delegierte waren auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung, der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Heinrich-Böll-Stiftung sowie der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit nach Bonn gereist, um beim Zivilgesellschaftlichen Forum Afghanistan am 2. und 3. Dezember ihre Forderungen an die Politik zu präsentieren – und diese Forderungen durch zwei Delegierte am Verhandlungstisch der Internationalen Afghanistan-Konferenz einzufordern. 

Bei der Vorstellung der politischen Forderungen für die Zukunft ihres Landes wurde deutlich, wie vielfältig dort das gesellschaftliche Engagement jenseits der militärischen Auseinandersetzungen ist. Dem „Zivilgesellschaftlichen Forum Afghanistan“ ist ein sechsmonatiger Meinungsbildungsprozess vorangegangen. Zahlreiche Akteure der Zivilgesellschaft und von Nichtregierungsorganisationen haben sich auf zwei Konferenzen in Afghanistan getroffen, ihre Positionen ausgetauscht, Forderungen formuliert und Vertreter ausgewählt. Diesen Ablauf erläuterte zum Beginn des Forums die Sprecherin der Delegierten, Selay Ghaffar. „Es war ein sehr transparenter Prozess, an dem nicht nur die Menschen aus Kabul, sondern aus dem ganzen Land beteiligt waren“, sagte sie. 

Die Forderungen selbst beschäftigen sich mit dem weiteren Verlauf des Übergangs, blicken aber auch über 2014 hinaus, wenn das Land ohne die Unterstützung der internationalen Truppen auskommen muss. Damit das funktioniert, muss neben dem militärischen auch der gesellschaftliche Sektor noch deutlich ausgebaut werden, betonte Barry Salaam, der zweite Sprecher der Gruppe. Um dabei die allgegenwärtige Korruption zu umgehen, fordern die Delegierten beispielsweise, Fördergelder nicht an Einzelpersonen, sondern an Institutionen zu verteilen. „Es muss sichergestellt sein, dass diese Gelder nicht nur lokalen Machthabern zu Gute kommen“, sagte Salaam. 
Ein weiteres wichtiges Thema für die Delegierten ist die Aussöhnung der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen im Land. Für diesen Prozess seien auch Gespräche mit Taliban vorstellbar, allerdings „ohne die bitteren Erfahrungen aus der Vergangenheit zu vergessen“, so Salaam. Grundlage für jegliche Vereinbarung über Frieden müsse die afghanische Verfassung sein. Eine Missachtung von Menschenrechten oder der Roadmap zur Demokratie sei nicht akzeptabel. 

Die größten Probleme des Landes sehen die Delegierten in Armut, Analphabetismus und Drogenhandel. Bleiben sie ungelöst, so sei weitere Gewalt und ein Wiedererstarken des Terrorismus zu befürchten. Von der internationalen Gemeinschaft erwarten die Delegierten daher keine überstürzte Exit-Strategie, sondern einen Rückzug der Truppen auf verantwortungsvoller Basis. Dazu gehöre es auch, die Wirtschaft so aufzubauen, dass das Land finanziell unabhängiger agieren kann. Hier sehen die Delegierten vor allem im landwirtschaftlichen Bereich noch großen Bedarf. 

Botschafter Michael Steiner, der Sonderbeauftragte der deutschen Bundesregierung für Afghanistan und Pakistan, brachte seine Unterstützung für die vorgetragenen Forderungen zum Ausdruck: „Ich persönlich fühle mich diesem Prozess sehr verbunden, auch die afghanische Regierung wird immer stärker darauf aufmerksam.“ Mit Blick auf die Außenminister-Konferenz sagte er, das Ziel sei die volle Souveränität für Afghanistan und die volle Souveränität der Zivilgesellschaft. Das Zivilgesellschaftliche Forum sei dafür ein wichtiger Schritt: „Sie vermitteln uns hier ihre eigenen Positionen und zeigen, dass sie auf eigenen Beinen stehen können.“ 
Von der Außenminister-Konferenz erwartet Steiner weiterhin, dass die internationale Gemeinschaft ein starkes Zeichen der Solidarität aussendet. Er betonte aber auch, dass es sich bei den weiteren Entwicklungen stets um einen Prozess des Gebens und Nehmens handele: „Wir gehen eine gegenseitige Verpflichtung ein, und dafür brauchen wir von afghanischer Seite ein glaubhaftes Engagement mit Blick auf die Menschenrechte, besonders die Rechte der Frauen.“ 

Die Vorsitzenden der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung, Dr. Hans-Gert Pöttering und Dr. Peter Struck, dankten den 34 Delegierten für ihr Engagement und sicherten ihnen die weitere Unterstützung der deutschen politischen Stiftungen zu. „Ohne Ihren Beitrag fiele das Engagement der internationalen Politik auf fruchtlosen Boden“, sagte Struck. Und Hans-Gert Pöttering ergänzte: „„Ich habe hohe Bewunderung für das, was Sie in Ihrem Land tun, damit es Frieden findet. Wir sind für Sie da, wenn Sie es wünschen.“ 

Die Vertreterinnen und Vertreter der afghanischen Zivilgesellschaft haben am zweiten Tag des Afghanistan-Forums in Bonn den deutschen Außenminister Guido Westerwelle und seinen afghanischen Amtskollegen Salmai Rassoul getroffen. Beide diskutierten mit den Sprechern der Delegierten über die Politikvorschläge, die diese für die zukünftige Entwicklung Afghanistans entwickelt haben. In dem Gespräch, an dem auch die Parlamentarische Staatssekretärin im BMZ, Frau Gudrun Kopp, teilnahm und das von Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, moderiert wurde, ging es vor allem um die Rechte und Rolle der Frauen in Afghanistan.
Westerwelle bezeichnete dies als das Thema, das ihm im afghanischen Transformationsprozess besonders am Herzen liegt. „Kein Land kann es sich leisten, auf die Hälfte seiner Bevölkerung im öffentlichen Leben verzichten“, sagte er vor rund 250 Zuhörern. Es sei daher ein gutes Zeichen, dass fast die Hälfte der 34 Delegierten der afghanischen Zivilgesellschaft weiblich ist und vielfach auch Frauenrechtsorganisationen vertritt. 

Auch der afghanische Außenminister Rassoul sprach von der „Pflicht, den Frauen die Rechte zu geben, die ihnen zustehen.“ Dafür benötige es Zeit, Bildung und den vollen Einsatz von Regierung und Gesellschaft. In welcher Richtung dieser Einsatz gehen muss, konkretisierte Gudrun Kopp, Parlamentarische Staatssekretärin beim Entwicklungsministerium: „Das Bildungsangebot für Schülerinnen muss vor allem an Grundschulen ausgebaut werden. Ausgebildete Frauen können selbst für ihr Einkommen sorgen, und damit am gesellschaftlichen Leben teilnehmen.“ Bereits jetzt sind ein Drittel aller Kinder an den Schulen Mädchen, die Frauenquote im Parlament beträgt 28 Prozent. Dies zeige, das Afghanistan auf einem guten Weg ist, sagte Kopp. 

Barry Salaam, Sprecher der Delegierten, gab allerdings zu bedenken, dass das Land vor zehn Jahren bei null begonnen hat und daher jeder Fortschritt groß wirkt. „Im Bereich der Frauenrechte ist er aber nicht groß genug. Frauen in Afghanistan werden weiterhin auf der Straße angegangen und von der Justiz diskriminiert“, sagte Salaam. Er bat die internationale Gemeinschaft um Unterstützung beim Aufbau von Kapazitäten in diesem Bereich, beispielsweise durch Schulungen für Richter. 

Weitere Schwerpunkte des Gesprächs waren der andauernde Kampf gegen den Terrorismus und die Perspektive Afghanistans nach 2014, wenn die internationale Schutztruppe ISAF nicht mehr im Land ist. Außenminister Westerwelle versicherte den Delegierten: „Wir garantieren Ihnen, dass wir Sie auch nach 2014 nicht alleine lassen werden, sondern dass wir unsere Solidarität langfristig zeigen werden, mit besonderem Fokus auf die Zivilgesellschaft.“ Diese Zusage bedeute auch ein umfangreiches finanzielles Engagement, gerade im ländlichen Gebiet, um die Stabilität der Gesellschaft zu stützen. Dieses Versprechen sei aber Teil eines Deals, so Westerwelle weiter. Im Gegenzug müsse sich Afghanistan zu Gewaltverzicht, Einhaltung der Verfassung sowie Anerkennung der zivilen Rechte und Menschenrechte verpflichten. 

Barry Salaam zeigte sich optimistisch, dass die afghanische Regierung und Zivilgesellschaft dieses Unterfangen in einem gemeinsamen Prozess bewältigen können. „Unsere Wunschlisten unterscheiden sich nicht besonders, aber es gibt unterschiedliche Blickwinkel auf die Wünsche und unterschiedliche Ansätze.“ Es sei daher sehr wichtig, dass zivilgesellschaftliche Foren ohne Beeinflussung durch die Regierung arbeiten könnten. Außenminister Rassoul sicherte dies zu: „Die afghanische Regierung akzeptiert die Unabhängigkeit der Zivilgesellschaft und tut ihr Bestes, um sie in den Transformationsprozess einzubinden.“ 

Nach dem Zivilgesellschaftlichen Forum nahmen 34 Vertreterinnen und Vertreter der afghanischen Zivilgesellschaft als Beobachter an der Internationalen Afghanistan-Konferenz teil. Ihre beiden Sprecher Selay Ghaffar und Barry Salaam konnten zudem die im Vorfeld in Afghanistan entwickelten Politikempfehlungen im Plenum der Konferenz vorstellen.