Vor kurzem wurde mir auf einer Reise durch Myanmar – auch bekannt als Burma – die Dimension des Widerstands gegen die Myitsone-Talsperre bewusst. Die Arbeiten an dem von China geleiteten Projekt wurden im September des letzten Jahres nach knapp einem Jahr Bauzeit ausgesetzt.
Gruppen, die sich sonst in ethnischen, religiösen oder politischen Fragen nicht konfliktfrei gegenüberstehen, sind sich bei diesem Projekt scheinbar einig. Egal ob Burmesen oder Kachin, Regime oder Opposition, religiös oder säkular, Christen oder Buddhisten, pro-West, pro-Militär oder pro-China – fast alle stimmen darin überein, dass die Regierung mit der Suspendierung des Projektes am Irrawaddy-Fluss den richtigen Schritt gemacht hat.
Befürworter und Gegner
Das bedeutet jedoch nicht, dass der Damm, ein Projekt der China Power Investment Corporation (CPI), keine Unterstützer hätte. Schließlich war die Junta, die das Land von 1962 bis zu den landesweiten Wahlen 2010 mit einer Militärdiktatur regierte, anfangs überzeugte Befürworterin. Sie forcierte nicht nur den Bau des Myitsone-Damms, sondern auch eine Reihe von insgesamt sieben Wasserkraftwerken am Irrawady-Fluss.
Wer allerdings mit der burmesischen Politik vertraut ist, weiß, dass die Militärregierung von regelmäßigen parteiinternen Krisen heimgesucht wurde, die letztlich auch treibende Kräfte für die aktuellen Reformen sind. Der Streit über den Myitsone-Damm ist eine dieser internen Unstimmigkeiten.
Der frühere Staatschef Than Shwe war im letzten Jahr durch Thein Sein, den ersten zivilen Präsidenten seit fast 50 Jahren, ersetzt worden. Obwohl die so genannte „zivile Regierung” nach wie vor unter starkem Einfluss des Militärs steht, wurden die Positionen von Than Shwe und seinen Anhängern untergraben und ihr Einfluss verringert. Than Shwes Unterstützer haben es versäumt, sich für die Myitsone-Talsperre auszusprechen und selbst die Staatszeitung New Light of Myanmar äußerte Kritik gegenüber dem Projekt.
Der Kachin-Staat, in dem die Mehrheit der Bevölkerung der Volksgruppe der Kachin angehört, beheimatet eine starke separatistische Bewegung, die von der Kachin Independence Organisation (KIO) angeführt wird. Die Organisation lehnt die Militär-gestützte Regierung ab; zwischen den beiden Parteien herrscht de facto ein Kriegszustand. Über Jahre agierte die KIO als autonome Lokalregierung, die den größten Teil des Staates kontrollierte sowie die öffentliche Ordnung und Wirtschaft verwaltete.
China und der Kachin-Staat
Anders als die Nichtregierungsorganisationen im Land, hatte die KIO die Entwicklung des Wasserkraftsektors unterstützt. So hatte sich die von der KIO regierte Kachin State 2nd Special Region zum Beispiel an ihren einzigen internationalen Nachbarn China gewandt, um Unterstützung auf diesem Gebiet zu erhalten. Tatsächlich war es also die KIO gewesen, die erstmals chinesische Investoren auf das Wasserkraftpotenzial der Region aufmerksam gemacht hatte.
Aber die Freundschaft hielt nicht lange. Einige chinesische Firmen zogen es vor, sich bei der einflussreicheren burmesischen Regierung einzuschmeicheln und die KIO beiseite zu schieben, was die verärgerten Separatisten wiederum zu einem Standpunktwechsel gegenüber mehreren Projekten bewegte. Ein Damm am Tarpein-Fluss war eines dieser Projekte. Die KIO hatte bei diesem Projekt mit der chinesischen Datang Corporation zusammengearbeitet und dieses mitfinanziert. Als die Militärregierung allerdings intervenierte, schwenkte die Datang Corporation um und drängte die KIO aus dem Projekt. Zum „Schutz des Projekts“ wurden Regierungssoldaten entsandt, um das Gebiet rings um den Damm zu besetzen; die Kachin verloren nicht nur ihr investiertes Vermögen, sondern zusätzlich ihr Land. Man kann ihre Wut nur erahnen.
Als Reaktion darauf entschied sich die KIO, das Projekt zu verwerfen. Man sollte allerdings anmerken, dass die Rebellen einen Damm am Tarpein-Fluss nicht grundlegend ablehnen. Vielmehr wollen sie eine Einmischung der burmesischen Regierung verhindern.
Ein besonderer Fall: Die Myitsone-Talsperre
Mit dem Myitsone-Damm verhält es sich jedoch anders. Obwohl die KIO Staudämme per se nicht ablehnt und in der Vergangenheit eifrig mit China kooperiert hat, hat sie das Myitsone-Projekt nie befürwortet.
Selbst die Fraktion der Kachin, die der Regierung am nächsten steht, lehnt den Staudamm ab. Die New Democratic Army-Kachin (NDA-K) wandelte sich von einer kommunistischen Miliz zu einer „Grenzwachtruppe” unter der Aufsicht der Militärregierung. Ihr ursprünglicher Führer Zahkung Tingying unterdrückte interne Proteste mit Hilfe der Junta und endete als eine Marionette Than Shwes. Aber selbst er hatte sich nie für das Myitsone-Projekt ausgesprochen, während andere Mitglieder der NDA-K ausdrücklich dagegen plädierten. Als ich mit dem früheren Vizechef der NDA-K, Wu Maoyin (Pinyin-Transliteration des burmesischen Namens), sprach, beschrieb er die Myitsone-Talsperre als Hauptursache für die generelle öffentliche Unzufriedenheit mit chinesischen Investitionen.
Die Kachin Baptist Convention (KBC) ist eine einflussreiche religiöse Organisation in der Region. Ich fragte eines der dienstälteren Mitglieder, Bruder Kunsang, ob, neben den wirtschaftlichen und ökologischen Aspekten, auch kulturelle oder religiöse Gründe gegen die Talsperre sprechen: „Als Christ glaube ich nicht, dass es Geister am Myitsone gibt. Aber als Kachin sehe ich ihn als ein Symbol unseres Nationalgeistes. Das widerspricht sich nicht mit meinem christlichen Glauben”, sagte er. „Wenn die Junta und chinesische Firmen herkommen und Geld machen wollen ohne uns vorher zu konsultieren, werde ich selbstverständlich dagegen protestieren, selbst wenn der Umwelt hierbei nicht geschadet würde.”
Ethnische Chinesen in Myanmar und im Kachin-Staat
Die Herkunft der ethnischen Chinesen in Myanmar ist ganz unterschiedlich. Einige kommen vom Festland, einige aus der Guomindang-Armee (viele sind nach Myanmar gekommen, als ihre Regimenter von den Kommunisten aus China vertrieben wurden) und wieder andere sind Mitglieder der ethnisch-chinesischen Wa- und Kokang-Gruppen. Eines haben sie allerdings gemeinsam: der chinesisch-stämmige Teil der Bevölkerung Myanmars ist relativ reich und erfolgreich. Er hält sich lieber zurück und verdient Geld, anstatt sich in die Politik einzumischen.
Die Intensivierung des Handels zwischen Myanmar und China hat vielen Chinesen die Möglichkeit eröffnet, reich zu werden – und sie haben ihre Chance nicht verschenkt. Die Nutznießer dieser Bindung tun alles Nötige um sowohl zur Militär-, als auch zur chinesischen Regierung freundschaftliche Beziehungen zu hegen; sie halten sich bei Fragen, die beide Regierungen als kritisch erachten, bedeckt. Daher ist von ihrer Seite aus eine Diskussion zur Myitsone-Talsperre unwahrscheinlich. Wenn sie doch darauf zu sprechen kommen, äußern sie einfach, man habe das Projekt nicht allzu gut organisiert. Selbst Angehörige der ethnisch-chinesischen Elite, die die engsten Verbindungen zur Regierung unterhalten sind dieser Ansicht.
Li Zuqing, Leiter des Konfuzius-Instituts in Mandalay, ist so ein Fall. Er hat sich bisher immer mit der chinesischen Regierung identifiziert und sympathisiert sowohl mit ihr als auch mit der burmesischen Regierung. Dennoch erwähnte Li mir gegenüber, dass China, obgleich es in der Vergangenheit viel für Myanmar getan habe, „zwei deutliche Fehler” begangen habe. Der erste war die Anwerbung burmesischer Studenten während der Kulturrevolution für die Roten Garden. Der zweite war die Myitsone-Talsperre: „Ich weiß nicht wessen dumme Idee es war”, sagte er. „Sie hätten sie überall bauen können, haben sich aber ausgerechnet für den Ort entschieden, an dem sie am wenigsten erwünscht sind.”
Gründe für den Widerstand
Gegner des Damms betonen die Zerstörung von Umwelt und Fischerei. Große Dschungelflächen würden überflutet und der Fluss in einen reißenden Strom verwandelt werden. Nicht zuletzt könnte er, auf einer geologischen Bruchstelle gelegen, während eines Erdbebens zusammenbrechen.
Es gibt gute Gründe für viele dieser Bedenken. Dennoch erfordern sie erläuternde Anmerkungen.
Zunächst treffen diese Bedenken auf nahezu jeden Damm zu. Wir können allerdings den Dammbau nicht generell ablehnen. Stattdessen müssen wir die Pro- und Kontra-Argumente herausarbeiten und Kompromisse finden: Wenn wir hier keinen Damm bauen können, wo dann? Wo wäre der entstehende Schaden am geringsten? Alternativvorschläge werden benötigt. Gewisse Umweltschutzgruppen sind einzig in der Lage festzustellen, wo Dämme nicht gebaut werden können – aber nicht wo man sie bauen kann. Während diese nicht-staatlichen Organisationen durchaus eine Rolle spielen werden, können wir uns bei Fragen zu einem konkreten Projekt nicht vollständig auf sie verlassen.
Zweitens können einige der von den Gegnern ins Feld geführten Argumente durch Designveränderungen, weitere Investitionen oder Sonderausstattungen entkräftet werden. Es muss zu keiner Alles-oder-Nichts-Entscheidung zwischen dem ursprünglich geplanten und überhaupt keinem Damm kommen. Weiterhin sind viele der geschilderten Probleme nicht so schwerwiegend, wie sie dargestellt werden. Der Hauptdamm am Myitsone ist als Staudamm mit einer Betondichtung entworfen, also eine Art Damm mit viel seichterem Gefälle und einer breiteren Basis als Bogenstaumauern oder Gewichtsstaumauern, welche sich auf eine steile gerade Wand stützen. Solche Dämme sind weniger anfällig für Erdbebenschäden. Selbst wenn der Myitsone-Damm beschädigt werden sollte, besteht keine sichtbare Gefahr eines plötzlichen Zusammenbruchs. Jeder Schaden wäre erst mit der Zeit sichtbar.
Drittens kann sich die Ablehnung von Dämmen sehr widersprüchlich gestalten. Wenn die zu überflutende Fläche nur spärlich besiedelt ist, wird sie als einmaliges, unberührtes Ökosystem beschrieben, das nicht angerührt werden darf. Ist sie hingegen dicht besiedelt, kommt die Umsiedelungs-Problematik ins Spiel. Letztendlich zeigt sich, dass, egal wie dicht das Gebiet bewohnt sein mag, der Damm nicht gebaut werden kann. Diese beiden Bedenken müssen ausbalanciert werden.
Warum die Myitsone-Talsperre bekämpft wird
Mir fiel noch etwas anderes auf, als ich den Kachin-Staat besuchte: Obwohl Umweltzerstörung das meist genannte Argument für die Ablehnung des Damms ist, ist sie nicht der wahre Grund für den massiven Protest gegen den Damm.
Überall in Kachin findet man Fotos oder Gemälde des Myitsone, des Zusammenflusses von Mali- und N`Mai-Fluss und des Ursprungs des Irrawaddy. Das ikonenhafte Bild ist an jedem öffentlichen Ort sichtbar und selbst in Gegenden außerhalb Kachin ein vertrauter Anblick (ein „Myitsone-Restaurant“ nahe der chinesischen Botschaft in Yangon wirbt mit dem Bild). Es scheint, dass der Myitsone für die Region das ist, was der Fuji für Japan und der Päktusan für Nordkorea sind: Ein Symbol der Nation.
Warum ist dieser Ort so besonders? Nach einer Kachin-Legende wurden der Drachenvater und seine beiden Söhne Hkrai Nawng und Hkrai Gam hier geboren. Die Einheimischen glauben, dass die Drachen erwachen und Zerstörung bringen, sobald die Berge beschädigt werden. Natürlich glauben nicht viele Menschen an diese Legende, aber die Kachin glauben ihr – und es ist ihr Land, oder?
Darüber hinaus gibt es auch historische Gründe, diesen Ort als etwas Besonderes zu betrachten. Als die Menschen der tibeto-burmesischen Sprachfamilie (wozu sowohl die Burmesen als auch die Kachin gehören) aus dem Norden vom tibetischen Hochplateau her emigrierten, war dies der Ort, an dem sie das Irrawaddy-Tal betraten, um in den steilen Bergen eine neue Zivilisation zu gründen.
Selbst wenn man den Legenden keinen Glauben schenkt, so haben die Kachin doch das gute Recht, vom Myitsone als Geburtsort ihrer Zivilisation zu sprechen.
Ich fragte mich, warum die Talsperre diesen Umstand gefährdet. „Der Myitsone wird immer noch da sein, egal ob man den Damm nun baut oder nicht. Wird er nicht trotz eines neuen Reservoirs nach wie vor heilig sein?” fragte ich Kata, einen einheimischen Schriftsteller.
„Nein“, sagte Kata. „Wir können nicht akzeptieren, was mit dem Myitsone passiert.” Er hielt kurz inne. „Es ist nicht wie in Jerusalem oder in Mekka. Wir Kachin besitzen keine Gebäude als Symbole unseres Glaubens, wir verehren den Myitsone in seiner natürlichen Form. Wenn es nun ein Reservoir hier gäbe, wäre es nicht mehr der Myitsone.”
„Wenn sie unbedingt ein Reservoir bauen müssen, warum muss es dann hier sein? Man hat uns nicht einmal gefragt. Ein paar burmesische Generäle und chinesische Bosse sagen ‚Macht mal!‘ und das war es?”
Das Prinzip der Nichteinmischung Chinas klingt unglaubwürdig
Chinas Beschluss, sich nicht in die „inneren Angelegenheiten“ seiner Nachbarn einzumischen, klingt unglaubwürdig, denn China habe, so Qin Hui, eine prägende Rolle in der burmesischen Geschichte gespielt.
Alles, was ich in Myanmar bis jetzt gehört habe, weist darauf hin, dass der Schlüssel für das Verständnis des Aufruhrs um den Myitsone-Damm im Fehlen der Konsultationen der Bevölkerung zu finden ist. Wie es Bruder Kunsang von der Kachin Baptist Convention ausdrückt: „Wenn die Junta und chinesische Firmen herkommen und Geld machen wollen ohne uns in irgendeiner Form zu konsultieren, werde ich selbstverständlich protestieren.”
Der Myitsone als Symbol des Widerstands
Der Myitsone ist heilig, aber heißt das, dass hier niemand bauen darf? Selbst die Kachin sind sich in dieser Frage nicht einig. Eine neue buddhistische Pagode, eine Kirche und einige touristische Einrichtungen stehen bereits am Zusammenfluss der beiden Flüsse. Wenn nun aber die burmesische Regierung den Myitsone hermetisch abriegelt, die einheimische Bevölkerung vertreibt und die Kontrolle in die Hand einer offiziellen Touristenfirma legen würde – welche wiederum Verträge mit ausländischen Firmen schließen wird – dann würde sich, wie auch schon bei der Talsperre, ein breiter Widerstand aufbauen.
Ein Freund erzählte mir, dass der Myitsone in früheren Zeiten noch nicht so bekannt gewesen ist wie heute; das Bild der beiden Flüsse, die einen Berg umfließen war damals noch keine bekannte Sehenswürdigkeit. Seine jetzige Popularität verdankt der Myitsone zum Teil dem Verhalten der Militärregierung und den chinesischen Firmen. Der Myitsone ist nicht nur der Geburtsort der Kachin, er ist gewissermaßen auch ein Symbol des Widerstands und der Würde der Kachin.
Die Kachin sehen mit an, wie eine Militärregierung, bekannt für ihre Despotie und Korruption, ihnen ihr Land nimmt, sie mit minimaler Entschädigung aus ihren Häusern treibt und ihr Land anschließend an eine ausländische Dammfirma verkauft, die das Kraftwerk wiederum für 50 Jahre betreibt und 90 Prozent der erzeugten Energie exportiert. Natürlich wird diese Firma der Regierung bedeutsame Hilfsleistungen zukommen lassen, aber was haben die Kachin davon? Ihre Erfahrungen mit der Regierung beruhen auf Massaker und Ausbeutung, nicht auf Wohlfahrt.
Verschiedene Projektpartnerschaften
Der Myitsone ist den ethnischen Burmesen nicht so wichtig wie den Kachin. Dennoch besitzt er auch für sie, als Quelle des Irrawaddy-Flusses, einen gewissen symbolischen Wert. Die Kachin sehen die burmesische Regierung als „Invasor“ und die aktuellen Reformen zeigen, dass auch die Burmesen alles andere als Freunde der Junta waren. Die Geschäftsvorteile für die Regierung sind nicht zwangsläufig gute Neuigkeiten für die Menschen. Deswegen ist das Projekt bei Kachin und Burmesen gleichermaßen unbeliebt.
Die chinesische Firma sagt, dass das Projekt ein sino-burmesisches Partnerprojekt sei und dass der burmesische Partner die Regierung sein müsse – es sei mit der Opposition oder „ethnischen Milizen” nicht zu machen. Es heißt, dass die Militärregierung sich bereit erklärt habe, China den Damm für 50 Jahre zu überlassen. China erbringe dafür entsprechende Gegenleistungen. Dies sei ein faires Geschäft zwischen zwei Nationen, von denen beide profitierten. Ob die Regierung den Ansässigen Entschädigungen zahlt, sei eine „interne Angelegenheit”.
Die Situation im Kachin-Staat, in dem der Damm gebaut werden soll, ist allerdings ungewöhnlich. Die chinesische Regierung hat über Jahrzehnte einen massiven Einfluss auf das nördliche Myanmar ausgeübt.
Geschichte der internationalen Beziehungen Myanmars
Myanmar ist ein multi-ethnischer Staat. Die Mon, Shan und Burmesen haben einst innerhalb ihres gegenwärtigen Territoriums über machtvolle Königreiche geherrscht. Dennoch haben sie nie den ganzen Norden Myanmars kontrolliert und insbesondere nicht die Kachin-Region. Als China und Myanmar eine internationale Beziehung im modernen Sinne aufnahmen, war Myanmar noch britische Kolonie. China und die China nahestehenden Einheimischen widersetzten sich jedoch der britischen Herrschaft; damals war über die Grenzziehung noch nicht entschieden.
1914 schlugen die Briten vor, die McMahon-Linie als Grenze zwischen China und ihren beiden Kolonien, Indien und Myanmar, zu ziehen. Die Chinesen hingegen – die das Land um den Myitsone beanspruchten, das einst ihnen gehörte – lehnten den Vorschlag ab. Schließlich akzeptierten China und Myanmar 1960 formell den burmesischen Abschnitt dieser Linie.
Die japanische Invasion in China und später auch in Myanmar brachte weitere Veränderungen. Vom Seeweg abgeschnitten, war China größtenteils von den Landrouten abhängig, die durch Myanmar führten. Die Briten (die sich zu dem Zeitpunkt noch nicht im Krieg mit Japan befanden) zwangen China, die „1914-Linie”, die den Norden des Shan-Staates markierte, anzuerkennen. Als sich die Vereinigten Staaten und Großbritannien später am Krieg beteiligten und Japan Myanmar angriff, strömten Chiang Kai-Sheks Truppen unter der Führung von US-General Joseph Stilwell ins Land. Es war eine Periode schneller Veränderungen für Myanmar. Eine ganze Weile lang kontrollierte China große Teile des umkämpften Territoriums und hielt seinen bedeutenden Einfluss auch nach Kriegsende aufrecht.
Während die Kachin-Armee die Japaner mutig bekämpfte, schätzten die burmesischen Nationalisten die Lage falsch ein, paktierten mit Japan und hofften, sich so von Großbritannien lossagen zu können. Das brachte sie in einen Konflikt mit China, Großbritannien, den Kachin und anderen ethnischen Gruppen in Nord-Myanmar. Diese Geschichte wurde nicht einfach vergessen. Die ethnischen Burmesen hatten Mühe, die britische Macht zu beerben – eine Macht, die nach dem Krieg ohnehin stark geschwächt war.
Unter diesen Umständen hatten die burmesischen Nationalisten zwei Strategien: Entweder ein flexibles föderalistisches System zu nutzen, um den ethnischen Minderheiten mehr Macht einzuräumen und sie im Gegenzug zur Unterstützung des föderalistischen Systems zu bewegen oder die „China-Karte“ zu spielen, um mit chinesischer Unterstützung Nord-Myanmar zu kontrollieren.
Der revolutionäre General Aung San selbst befürwortete die föderalistische Lösung und unterzeichnete 1947, kurz vor der Unabhängigkeit Burmas, den Panglong-Vertrag mit mehreren ethnischen Gruppen. Dieser Vertrag gewährte (ihnen) einen hohen Grad an Selbstbestimmung, enthielt die Möglichkeit nach einer Generation wieder aus der Föderation auszutreten und bildete die legale Grundlage für alle späteren Forderungen nach Selbstverwaltung. Tragischer weise wurde Aung San kurz nach der Unterzeichnung ermordet und der Vertrag – zum Ärger der ethnischen Minderheiten – niemals umgesetzt.
Myanmar und China
Aung Sans Nachfolger, einschließlich U Nu, erster Premierminister des Landes, wendeten sich mit der Hoffnung an China, die Stärke des neuen chinesischen kommunistischen Regimes nutzen und damit die restlichen chinesischen Nationalisten in Nord-Myanmar ausschalten zu können. Myanmar wurde so der erste nicht-kommunistische Staat, der die Volksrepublik China anerkannte. China, das damals dringend diplomatische Anerkennung suchte, zeigte sich dankbar. Während Grenzverhandlungen in den späten 50er und frühen 60er Jahren erkannte China die burmesische Souveränität über den Großteil des umstrittenen Territoriums an und berief sich dabei auf die McMahon und die 1914-Linie. Allein Pianma und Banhong – Orte, an die man sich in China wegen des anti-britischen Widerstands erinnert – verblieben auf der chinesischen Seite.
So wurden die Grenzstreitigkeiten beigelegt. Und wenn sich beide Länder aus ihren jeweiligen Angelegenheiten herausgehalten hätten, wäre es vielleicht auch dabei geblieben. In den 60er Jahren belieferte China – das gerade seine grenzüberschreitende Verfolgung der restlichen Guomindang-Armee in Myanmar beendet hatte – die burmesischen Kommunisten jedoch mit Waffen und Personal für ihre Revolution. Die kommunistische „Volksarmee” Burmas wurde jedoch schnell geschlagen und flüchtete bis zur chinesischen Grenze. Diese zählte damals zu den größten regierungsfeindlichen Einheiten in Myanmar und bildete sich zum Vorreiter vieler heutiger Milizen heraus.
Fraktionen im Kachin-Staat
Der Konflikt zwischen den kampferprobten ethnischen Generälen im Norden und den Anführern der burmesischen Kommunisten vertiefte sich. Das internationale Klima hatte sich verändert. Insbesondere die Reformpolitik in China führte zu einer Wiederaufnahme der Beziehungen mit der burmesischen Regierung und der Abkehr von den burmesischen Kommunisten. Die Kommunisten wurden geschwächt und lösten sich 1989 auf. Aber weder China, noch die Regierung Burmas wussten mit der Situation entsprechend umzugehen. Die Kommunisten wuchsen zu einer Miliz zusammen, die nie gute Beziehungen zur föderalistischen Regierung unterhalten hatte.
Die stärkste der ethnischen Milizen im Kachin-Staat, die Kachin Independence Army, ist ebenfalls eng mit dem Myitsone-Problem verbunden. Sowohl die KIA und ihr politischer Flügel, die Kachin Independence Organisation, als auch der Kachin Independence Council (KIC), der die Region regiert, wurden nicht aus den Überbleibseln der Kommunisten geformt – sie trugen schon immer eine nationalistische Kachin-Flagge.
Die Geschichte der KIO
In den Augen der Chinesen sind die Kachin die die am meisten verwestlichte ethnische Gruppe in Myanmar. Sie sind größtenteils Christen, verwenden eine lateinische Umschrift, die von den westlichen Missionaren entworfen wurde, und beherrschen das Englische eher als andere ethnische Gruppen. Deswegen wurde der Widerstand der KIO gegen den Damm von den Chinesen als „westliche anti-chinesische Einmischung” beschimpft – ein gravierendes Missverständnis.
Die Politiker, mit denen ich im Kachin-Staat gesprochen habe, waren allesamt Mitglieder einer der Regierung nahestehenden Fraktion oder besaßen einen kommunistischen Hintergrund. Vor dem aktuellen Konflikt war es mir nicht möglich mit jemandem aus der KIO persönlich zu sprechen. Aber selbst diese nicht-KIO-Mitglieder schütteten Hohn über die Idee, dass die KIO in irgendeiner Weise „westlich” sei.
Sie sagten, viele der Gründungsmitglieder der KIO seien Marxisten gewesen und stünden China näher als dem Westen. Als sie allerdings die Kachin Communist Party gründeten und sich Unterstützung von China erhofften, wurde ihnen mitgeteilt, dass eine Nation aus „organisatorischen Gründen” nur eine kommunistische Partei haben könne. Wenn sie Unterstützung wollten, müssten sie sich mit der Burmese Communist Party zusammen tun. Die Kachin waren aber nicht bereit, mit den Burmesen zu kooperieren. Da China sich der Gründung einer Kachin Communist Party entgegen stellte, blieb ihnen nur die Namensänderung. Die Kachin Independence Organisation war geboren.
Damals behauptete die Burmese Communist Party – zumindest außerhalb der Partei – dass sie nach einem Sieg die Autonomie der ethnischen Minderheiten zulassen würde. Die KIO passte sich an und erhielt so auf indirektem Weg durch die Kommunisten chinesische Unterstützung und militärische Hilfe. Die von der KIA im Kachin-Staat und im Norden des Shan-Staates kontrollierten Gebiete befinden sich nahe der chinesischen Grenze. Die KIO hat Laiza, eine wichtige Grenzstadt unter starken chinesischen Einfluss, zu ihrem Hauptquartier gemacht. Es wäre also zutreffender zu behaupten, die KIO habe unter chinesischem und nicht etwa unter westlichem Einfluss gestanden.
Konflikte und Risiken für chinesische Investitionen
In einer durch gewaltsame Konflikte bedrohten Region, die voll von Misstrauen gegenüber China ist, sind die Risiken für Investitionen offenkundig.
„Als die burmesische Armee die Kokang-Region angriff, verloren viele chinesische Geschäftsleute ihre Investitionen. Milizen haben auch einige chinesische Konstruktionsprojekte behindert oder gar auf Eis gelegt.”
Mitglieder der Kachin Independence Organisation (KIO) und andere Kachin – einschließlich ehemaliger Kommunisten – sind verwirrt oder verärgert über Chinas Rolle in der Geschichte der Region. Die Myitsone-Talsperre ist nur ein Ventil für diese Gefühle.
Die Einstellung der Menschen zu chinesischen Investitionen
Die Stimmung, die ich mehrfach gehört habe, lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: „Natürlich wären wir gerne unabhängig, aber wir wissen, dass dieses Ziel zu hoch gesteckt ist. Für uns wäre es auch möglich ein Teil von China oder Indien zu werden. Wenn China uns nicht an Myanmar ausgeliefert hätte als die Grenzen gezogen wurden, hätten wir dieses Problem jetzt nicht. Nun sind wir aber in Myanmar und verlangen von der Regierung nichts anderes als den Panglong-Vertrag umzusetzen, uns angemessen zu behandeln und uns selbst regieren zu lassen.”
„Wir haben die Konditionen von Khin Nyunt (einem moderaten Regierungsvertreter) akzeptiert und einen Friedensvertrag unterzeichnet, was uns bereits schwer gefallen ist. Daraufhin hat die Regierung Khin Nyunt abgesägt und uns weiterhin unterdrückt. Wir baten China um Verhandlungen, aber China näherte sich der Militärregierung immer mehr an und gab ihr sogar Waffen, um uns zu bekämpfen. Im Jahr 2009 besiegte die Junta die Kokang, zwang Zahkung Tingying (den Führer der NDA-K) auf ihre Seite und hat jetzt mit ihm zusammen eine Offensive gegen die KIO gestartet – es scheint als wollten sie uns als Nächste zerschlagen.“
„China weigert sich, Kachin-Flüchtlinge aus den Kämpfen aufzunehmen. Aber warum? (1)
„Außer am Myitsone, der uns heilig ist, lehnen wir die Idee Chinas, hier Dämme zu bauen, nicht ab. Wir sind gegen den Damm und nicht gegen China und würden jedem anderen Land, das einen Damm am Myitsone plant, ähnlich begegnen.”
„Chinesische Unternehmen haben zeitgleich mit der Militärregierung zusammen gearbeitet, auf unserem Land Dämme gebaut, unser Territorium überflutet und die Menschen aus ihren Häusern verjagt, ohne auf unsere Wünsche Rücksicht zu nehmen. Mit jedem Damm kommen auch Soldaten, die von der Regierung zum „Schutz” entsandt werden. Die Bauarbeiten führen zu einem Konflikt: Sie beschwören nicht nur Umweltprobleme herauf, sondern ändern auch die lokalen politischen Rahmenbedingungen. Ist es das, was China unter ‚sich nicht in interne Angelegenheiten einmischen‘ versteht?”
„Wenn ich ehrlich bin, würden wir im Moment jede Art von Hilfe annehmen, selbst aus dem Westen. Wir besitzen allerdings keine nennenswerten strategischen Ressourcen und wer würde sich im Namen eines schwachen Kachin gegen ein mächtiges China stellen? Viele Westler sehen uns noch immer als Überbleibsel der Kommunisten oder als Drogendealer. Wir wären gerne näher am Westen, aber ist das möglich?”
„Wir wissen was passiert, wenn wir uns gegen China stellen. Obwohl wir mit dem, was China tut, nicht einverstanden sind, werden wir uns nicht gegen es stellen. Wir wollen nur, dass uns die burmesische Regierung und China etwas Raum in ihren Geschäften zugestehen, anstatt uns in die Ecke zu drängen.”
Ich habe den Kachin-Staat mit zwei klaren Eindrücken verlassen: Erstens sind diejenigen, die mit China in der Vergangenheit am engsten kooperiert haben (zum Beispiel ehemalige Mitglieder der Burmese Communist Party), heute seine schärfsten Kritiker. Sie gehen im Allgemeinen davon aus, dass man China nicht trauen kann und dass die Kachin sich westliche Unterstützung suchen sollten.
Zweitens ist das Ausmaß der Unterstützung für die KIO unter den Kachin größer denn je. Früher existierten viele politische Fraktionen innerhalb der Gruppe der Kachin, aber diejenigen, die eng mit der Militärregierung zusammengearbeitet haben, wie die NDA-K, werden jetzt verdrängt.
Die Entwicklung der Kämpfe im Kachin-Staat
Ein NDA-K-Veteran erzählte mir, dass die Kämpfe im Kachin-Staat in der Vergangenheit örtlich begrenzt waren. Im aktuellen Konflikt, der im letzten Juni ausgebrochen ist, ist der Widerstand allerdings größer als je zuvor. Die Kämpfe haben sich von den traditionellen Konfliktherden an der chinesischen Grenze nach Westen zum Hukawng-Tal und zum Sumprabum, sowie nach Süden nach Namhkan und Nantun im Norden des Shan-Staates über die Grenzen des Kachin-Staates ausgedehnt. Die Feindschaft ist intensiver als sie es während der kommunistischen Rebellion war. Die KIA ist in vielen Gebieten aktiv, die zuvor vom Widerstand unberührt blieben.
Die Tragödie der Kachin besteht allerdings darin, dass es keine Lösung für ihr Problem geben kann, solange sich nicht auch das ganze Land ändert. Und wenn es keine Lösung für das Problem der Kachin gibt, wie kann es dann Hoffnung auf Investitionen in großangelegte Projekte in dieser Region geben?
Beziehungen zwischen China und verschiedenen Parteien in Myanmar
Es ist augenscheinlich, dass China nicht in Nord-Myanmar oder besonders in Regionen wie dem Kachin-Staat investieren kann, ohne sich in interne Angelegenheiten einzumischen. China hat seit dem zweiten Weltkrieg fortwährend in der Region gewirkt und seine Interessen vertreten, mit lediglich einer kurzen Unterbrechung in den späten 80er und den frühen 90er Jahren. Zu diesem Zeitpunkt hatte China sich bereits aller Unterstützung für die burmesischen Kommunisten entsagt und jene Verbindungen mit Milizen abgebrochen, die zuvor mit kommunistischen Kräften in Verbindung standen. Währenddessen hatte sich die Beziehung zur Militärregierung normalisiert, auch wenn sie nicht besonders eng war.
Auch die Regierung und Milizen hatten zu dieser Zeit recht friedliche Beziehungen. Es herrschte weder Krieg zwischen den Beteiligten noch unterhielt eine der Parteien zu einer der anderen besonders enge Beziehungen. Der Einfluss Chinas befand sich an einem historischen Tiefpunkt.
Dieser Zustand hielt nicht lange an. Zuerst regierte die Militärregierung das Land auf grausame Weise, insbesondere nach der Absetzung des moderaten Khin Nyunt. Die ethnische Aussöhnung und demokratischen Reformen wurden zurückgestellt und der Konflikt verschärfte sich, sowohl zwischen der Regierung und dem Volk, als auch zwischen der Armee und den Milizen.
Außerdem hatten die Milizen über Jahrzehnte enge Verbindungen zu China aufgebaut, sodass es nicht einfach war, diese Verbindung ohne Weiteres wieder zu trennen. Weiterhin nicht von der Militärregierung anerkannt, blieb den Milizen nichts Anderes übrig, als den Grenzhandel mit China als Möglichkeit des Wiederaufstiegs zu betrachten. Die Milizen profitierten indirekt von der Globalisierung der chinesischen Wirtschaft: Sie benötigten unabhängige Einkommensquellen und – um ihr globales Image aufzupolieren – durften diese nicht im Drogengeschäft verankert sein. Am Wichtigsten war jedoch, dass die Milizen glaubten, gemeinsame Interessen mit China könnten dieses dazu bewegen, sich im Konfliktfall mit der burmesischen Armee auf ihre Seite zu schlagen.
Gleichzeitig begannen sich die Beziehungen zwischen der chinesischen und der burmesischen Regierung aus wirtschaftlichen und geopolitischen Gründen zu verbessern. China verlangt nach Ressourcen und Märkten, während Myanmar Investitionen und Technologien benötigt. China braucht einen Weg zum indischen Ozean, während Myanmar seiner Isolation entkommen muss. Es gibt auch ideologische Gründe: gemeinsamer Widerstand gegen die so genannte „friedliche Revolution” des Westens.
Die Rolle Chinas
Diese drei Faktoren haben zu einer schnellen Freundschaft zwischen den beiden Nationen geführt, gewissermaßen zu einer strategischen Partnerschaft, in welcher staatliche Monopole eine große Rolle gespielt haben. Der Enthusiasmus der burmesischen Regierung für chinesische Investitionen, insbesondere für die der verstaatlichten Giganten, rührt ebenfalls von denselben internen Überlegungen der Milizen – beide versuchen die „China-Karte” gegen ihre Gegner auszuspielen.
Während es vielleicht politisch korrekt ist, sich „nicht in interne Angelegenheiten einzumischen”, ist es in der Realität nur schwer umsetzbar; besonders in den konfliktreichen Gegenden, die von Milizen kontrolliert werden. Egal was China vor Ort macht, es wird stets jemandem auf die Füße treten.
Es gibt weder Zweifel daran, dass Chinas strategische Investitionen in Myanmar die internen Angelegenheiten seines Nachbarn beeinflussen werden, noch, dass die Konflikte in Myanmar China auf Grund dieser wirtschaftlichen Bande schädigen. Als die burmesische Armee die Kokang-Region angriff, verloren viele chinesische Geschäftsleute ihre Investitionen. Milizen haben außerdem einige Bauprojekte geblockt oder vollkommen auf Eis gelegt.
In diesen Fällen haben chinesische Internetnutzer – oft mit chinesisch-nationalistischer-Rhetorik – China aufgerufen, sich einzumischen. Allerdings sind die meisten Chinesen, die in Milizen-Gebieten investieren, individuelle Geschäftsleute, während die vom Militär gestützte burmesische Regierung mit riesigen Staatsunternehmen kooperiert. Diese verschiedenen Präferenzen spiegeln in einem gewissen Maße heterogene Interessengruppen und Gesellschaftsschichten in China wider.
Einfluss des Westens und der Demokratie
Jeder weiß von der burmesischen Militärdiktatur, aber man übersieht oft die Geschichte des Landes als britische Kolonie. Myanmar wurde von „westlichem Gedankengut” tiefgreifender beeinflusst als von chinesischem. Von 1948 bis 1962 war Burma ein Mehrparteienstaat und die Burmesen sind es durchaus gewohnt zu wählen. Allerdings hat die Schwäche der Demokratie, die es versäumte viele soziale Probleme zu lösen, das Verlangen nach stärkeren Führungspersönlichkeiten geweckt. So kam es zu Ne Wins Staatsstreich und dem „burmesischen Sozialismus” der Militärdiktatur. Dies brachte dem Land keinen Reichtum, sondern degradierte es stattdessen von Südostasiens reichster zu dessen ärmster Nation. Erinnerungen und Nostalgie für die demokratische Ära lebten wieder auf.
Die Demokratiebewegung im Jahr 1988 führte zum Sturz der Regierung Ne Wins. Aung San Suu Kyis National League for Democracy gewann in den allgemeinen Wahlen von 1990 atemberaubende 82 Prozent der Sitze, während die Regierungspartei mit 2 Prozent noch nicht einmal auf den dritten Platz kam. Um seine Interessen zu schützen, weigerte sich das Militär allerdings, die Regierungsgewalt abzugeben. Demokratie wurde unterdrückt, während Nationalhymne, Flagge und Verfassung geändert und der „burmesische Sozialismus” abgeschafft wurde. Selbst Ne Win wurde unter Arrest gestellt.
Die Militärregierung hatte keine Ideologie oder Symbole, um die die Menschen sich hätten scharen können und wurde somit zu einer historischen Rarität: eine Regierung, die sich nur auf ihre militärische Macht stützt, um ihre privilegierte Stellung zu halten.
Können chinesische Investitionen, insbesondere wichtige strategische Investitionen, vor diesem Hintergrund jemals sicher sein?
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(1) Anmerkung des Autors: So wie ich es verstehe, hat China sogar sehr viele Flüchtlinge aufgenommen. Da die Vereinten Nationen aber keinen Zugang haben, sind die Umstände hier schlimmer als in den von den Vereinten Nationen finanzierten und von nicht-staatlichen Organisationen geleiteten Camps nahe Myitkyina.
Dossier
Myanmar/Burma einen Schritt weiter auf dem Weg zur Demokratie?
Die Nachwahlen in Myanmar/Burma am 1. April 2012 haben viel internationales Interesse auf sich gezogen. Die Öffnungspolitik der Regierung Thein Seins und die neue politische Situation bieten ungeahnte Optionen für das stark isolierte Land. Das Dossier gibt eine Momentaufnahme von Eindrücken aus deutscher Sicht und der Region wieder. Es fängt Stimmen aus China, Thailand, Indien und Myanmar/Burma ein.