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Maria Bashir: Afghanistans furchtlose Oberstaatsanwältin

Kampf um Frauenrechte. Foto: Heinrich-Böll-Stiftung.

7. Juni 2011
Stephanie Hegarty
Von Stephanie Hegarty
BBC World Service, 12. April 2011


In Afghanistans Herat-Provinz hat die Oberstaatsanwältin gegen viele Widerstände zu kämpfen. Der Kampf für Gerechtigkeit in einem durch und durch korrupten politischen System ist an sich schon schwierig, aber für Maria Bashir ist die Herausforderung besonders groß. In einer Gesellschaft, die nach wie vor versucht, sich von den schlimmsten Gräuel der patriarchalen Herrschaft der Taliban zu lösen, trifft man nicht nur selten auf Frauen in Machtpositionen, eine derartige Position innezuhaben ist auch sehr gefährlich.

Seit sie 2006 Oberstaatsanwältin für Herat wurde, wird sie fast unaufhörlich beschimpft und mit dem Tode bedroht. Im vergangenen Monat wurde sie im Rahmen einer Ehrung, die unter der Schirmherrschaft von Michelle Obama und Hillary Clinton steht, vom US-amerikanischen Außenministerium als eine der „Women of Courage“ (mutigen Frauen) 2011 ausgezeichnet.

Häusliche Gewalt ist in Afghanistan allgegenwärtig, da während der Zeit, in der die Taliban herrschten, Frauen den Männern völlig unterworfen waren. Die gegenwärtige Verfassung hat zwar ihrem Wortlaut nach Paragrafen, die Frauen schützen, nur werden diese oft kaum umgesetzt. In den vergangenen fünf Jahren hat Maria Bashir immer wieder dafür gesorgt, dass Ehemänner und Familien für Missbrauch zur Verantwortung gezogen werden.

Zum Erfolg entschlossen

Ihre Karriere begann 1990, als der Minister für Hochschulwesen auf ihre Bewerbung für einen Studienplatz an der Universität von Kabul aufmerksam gemacht wurde. Ihre Entschlossenheit – sie hatte als ihre erste, zweite und dritte Wahl als Studienfach jeweils Jura angegeben – überzeugte den Minister, ihrer Bewerbung zuzustimmen. Nur vier Jahre später hatte sie ihren ersten Job im Büro des Staatsanwalts für den Bereich Verbrechensbekämpfung.

1996 heiratete sie und zog nach Herat, der Heimatstadt ihres Mannes. Im selben Jahr übernahmen die Taliban die Macht. „Es war eine besonders schlimme Zeit,“ erinnert sie sich. „Wie jede andere gebildete Frau auch, durfte ich das Haus nicht verlassen.“

Maria Bashir jedoch weigerte sich, bloß dabei zuzusehen, wie die neuen Herrscher die Leben der Mädchen in ihrem Viertel zerstörten. In ihrem Haus richtete sie eine Schule ein, in der Mädchen unterrichtet wurden (ihre Bücher und das Schreibzeug musste sie für den Weg dorthin in Einkaufstüten verstecken). Es war eine gefährliche Zeit. Zweimal wurde ihr Ehemann von den örtlichen Polizeibehörden einbestellt und über ihr Tun befragt.

Nach dem Sturz der Taliban wurde sie von der Übergangsregierung kontaktiert und wieder in ihre Position als Staatsanwältin in Herat eingesetzt. Schon bald wurde ihr klar, dass die afghanische Justiz weitgehend korrupt und bestechlich war. Als drei Jahre später der Generalstaatsanwalt Herat besuchte, stellte ihn Maria Bashir bei einem Treffen von 300 Staatsanwälten – fast alle davon Männer – öffentlich zur Rede.

Diese Unverschämtheit sollte sich auszahlen. Noch bevor er nach Kabul zurückkehrte, ernannte er sie zur ersten weiblichen Oberstaatsanwältin. Wie abzusehen, löste ihre Ernennung zahlreiche persönliche Angriffe und negative Kommentare aus, denen sie aber trotzte. „All diese Bemerkungen führten nur dazu, dass ich mich auf meine Arbeit konzentrierte und professionell all die Herausforderungen, die meine Arbeit mit sich bringt, anging,“ erinnert sie sich.

In Gefahr

Ihr Leben ist alles andere als einfach. Maria Bashir hat einen gepanzerten Wagen und bis zu sechs Leibwächter. „Ich kann nicht einkaufen, mich nicht frei bewegen. Mein Leben ist sehr langweilig und schwierig.“ Schwerwiegender als das sind die Folgen, die ihre Karriere für ihre Familie hat. Ihre drei Kinder leben in ständiger Gefahr. Der jüngere Sohn und die Tochter können keine Schule besuchen und werden zu Hause unterrichtet. Den älteren Sohn hat man aus Gründen der Sicherheit nach Deutschland geschickt.

Die Bedrohung ist sehr real. Das Haus der Familie wurde in Brand gesteckt, worauf man umzog. 2008 explodierte außerhalb des Hauses eine Bombe, ein Leibwächter starb. Maria Bashir nimmt diese Gefahren nicht auf die leichte Schulter. „Mein Herz als Mutter ist schwer. Ich fühle mich ständig schuldig. Aber wenn ich jetzt sage, ich habe familiäre Probleme, und eine andere Frau sagt, auch sie habe familiäre Probleme, was bedeutet das für die Zukunft Afghanistans? Wir müssen solche Risiken eingehen.“
 
Unterstützt wurde und wird sie von ihrer Familie, ihrem kürzlich verstorbenen Vater, ihrem Mann. Im Vergleich zu manchen der Frauen, mit deren Fällen sie zu tun hat, scheinen ihre Probleme eher unbedeutend. So wurde eine Frau von ihrem Mann vier Monate lang in einem abgedunkelten Raum gefangen gehalten. Sie bekam ihre Kinder nicht zu sehen und Essen nur durch ein kleines Loch gereicht. Nach diesen vier Monaten begann sich ihre Haut abzuschälen.

Maria Bashir übernahm den Fall, und der Ehemann wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. „Glücklich bin ich damit aber nicht,“ sagt sie. Sie will den Fall weiter verfolgen. Trotz derartiger, schrecklicher Fälle ist sie zuversichtlich was die Zukunft der Frauen Afghanistans betrifft. Frauen im Parlament, in der Justiz, in den Unis und Schulen, glaubt sie, werden den nötigen Wandel bewirken.

Die internationale Auszeichnung, die ihr dieses Jahr zuteil wurde, wird, so hofft sie, weitere Frauen dazu bewegen, den Kampf für Gleichberechtigung fortzuführen. „Den afghanischen Frauen in aller Welt möchte ich sagen, dass sie alles was zu ihrer Verfügung steht dazu einsetzen sollen, Afghanistan wieder aufzubauen. Ich möchte sie ermutigen, aktiv zu werden. Auch der kleinste Beitrag zählt.

 

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Dieser Artikel erschien zuerst bei BBC News  und wurde hier mit freundlicher Genehemigung der BBC veröffentlicht.

Dossier

Afghanistan 2011 - 10 Jahre Internationales Engagement

Nach zehn Jahren internationalem Einsatz in Afghanistan wird im Dezember 2011 eine weitere Afghanistan-Konferenz in Bonn stattfinden. Die Heinrich-Böll-Stiftung unterstützt seit 2002 aktiv den zivilgesellschaftlichen Aufbau in Afghanistan und fördert den Austausch zwischen deutscher und afghanischer Öffentlichkeit. Das folgende Dossier gibt Raum für Kommentare, Analysen und Debatten im Vorfeld der Bonner Konferenz zu Afghanistan.