Fragen nach der Zukunft der chinesischen Presseberichterstattung und eine Beleuchtung des Medienalltags im Olympiajahr standen im Fokus der Tagung. Die Chancen einer Veränderung der Arbeitsbedingungen von ausländischen und chinesischen Journalisten vor dem Hintergrund von Olympia und der Ausdifferenzierung der chinesischen Medienlandschaft wurden mit chinesischer und deutscher Expertise diskutiert. Darüber hinaus fand eine Auswertung der Auswirkungen des medialen Echos zu den Ereignissen in Tibet im März und dem Erdbeben in Sichuan im Mai 2008 auf das deutsch-chinesische Verhältnis aus unterschiedlichen Perspektiven statt.
Auswirkungen des medialen Echos
Die Kontroversen um Menschenrechts- und Minderheitenpolitik in China haben sich, so Barbara Unmüßig, seit den Demonstrationen in Tibet im März 2008 deutlich politisiert, radikalisiert und emotionalisiert. Nachdem China in den deutschen Medien in den letzten Jahren bereits zunehmend als für Europa bedrohliche Konkurrenz in der Weltwirtschaft dargestellt wurde, sei das Zerrbild Chinas noch um den Aspekt ergänzt worden, dass es sich bei der chinesischen Regierung um ein „unberechenbares totalitäres Regime“ handle, das sich in den letzten zwanzig Jahren kaum verändert habe. Die chinesische Regierung habe ihrerseits mit einer anti-westlichen Rhetorik und der Einreise- und Recherchesperre für ausländische Journalisten nach Tibet zur Anspannung des deutsch-chinesischen Verhältnisses beigetragen. In den letzten Wochen wurde der unter chinesischen Intellektuellen kursierende Spruch „Sei doch nicht so CCTV“ durch „Sei doch nicht so CNN“ abgelöst und bringt damit die Meinungsverschiebung zur Wertschätzung von westlichen Medien in der chinesischen Öffentlichkeit zum Ausdruck. Es wurde in der deutschen Öffentlichkeit bereits die Frage aufgeworfen, ob es sich bei der Empörung über die westliche Berichterstattung zu den Ereignissen in Tibet um eine genuine Reaktion aus der chinesischen Bevölkerung oder um eine staatliche Kampagne zur Ablenkung von innenpolitischen Problemen handle. In diesem Kontext wurde von chinesischer Seite darauf hingewiesen, dass China gegenwärtig sehr besorgt über sein Image in der Welt sei. Die chinesische Regierung sei nicht auf Ereignisse dieser Art vor Olympia vorbereitet gewesen und deshalb unter Stress geraten – inzwischen sei die KP Chinas durchaus bereit, mit dem Dalai Lama in einen Dialog zu treten.
Ausdifferenzierung der chinesischen Medienlandschaft
Einhergehend mit der rasanten allseitigen Transformation Chinas sei eine Öffnung und Ausdifferenzierung der chinesischen Medienlandschaft seit 1979 festzustellen. Gegenwärtig existieren bereits mehr als 2.000 Tageszeitungen, 9.000 Magazine, 400 Fernsehanstalten und 220 Millionen Internetnutzer (16% der Bevölkerung). Drei Faktoren seien für die Entwicklungen der letzten Jahre ausschlaggebend: die Kommerzialisierung, die Entstehung einer Zivilgesellschaft und die schnelle Ausbreitung der neuen Medien. Staatliche Zensur und Kontrolle von Journalisten, Selbstzensur aus Angst vor Repression und die Einschüchterungen von Interviewpartnern gehören weiterhin zum medialen Arbeitsalltag. Investigativer Journalismus breitet sich trotz der schwierigen Arbeitsbedingungen zunehmend aus. Einer der anwesenden chinesischen Journalisten führte den Fall Dingzhou (Provinz Hebei) an, bei dem durch journalistisches Engagement ein politischer Erfolg erzielt werden konnte. Im Sommer 2005 besetzten infolge illegaler Landnahme für den Bau eines Kraftwerks Bauern Ackerland bei ihren Dörfern. Ein von den Planern des Kraftwerks angeheuerter Schlägertrupp griff daraufhin die Protestierenden mit Gewalt an. Sechs Menschen starben in den Auseinandersetzungen und über einhundert wurden verletzt. Letztendlich wurde es aufgrund der zu diesem Fall entstandenen medialen Öffentlichkeit möglich, die Illegalität des Vorhabens der Landnahme aufzudecken und die Verantwortlichen wurden verhaftet.
In einigen Tageszeitungen, beispielsweise der Southern Metropolitan Daily aus Guangzhou, gibt es inzwischen die Möglichkeit, einen „individuellen“ Kommentar abzugeben, in dem es mehr inhaltlichen Spielraum gibt, als in den Leitartikeln, die als Meinung der gesamten Redaktion bewertet werden.
Institutionelle, rechtliche und ökonomische Rahmenbedingungen
Um die Arbeitsbedingungen eines chinesischen Journalisten zu verstehen, sei es zunächst notwendig, das komplizierte Geflecht der verschiedenen Regierungs- und Verwaltungsebenen des chinesischen Staates nachzuvollziehen. Es würden jeweils politische Entscheidungen, auch hinsichtlich des Spielraums von Journalisten, auf der Zentral-, der Provinz-, Stadt-, Kreis- und Gemeindeebene getroffen. Insbesondere auf den unteren Ebenen sei die Kontrolle der Medien sehr strikt. Teilweise seien die unterschiedlichen Ebenen schlecht untereinander vernetzt, was zu Differenzen in der konkreten Handhabung von Presseberichterstattung führen könne. Es gibt bisher kein Pressegesetz. 2007/2008 wurden zwei neue Gesetze durch das Engagement von Journalisten herausgebracht: ein Gesetz zu „unerwarteten Ereignissen“ und ein zweites zur Veröffentlichung von Nachrichten. Beide zielten darauf ab, die bisherige Diskurshoheit der staatlichen Nachrichtenagenturen wie „Neues China“ (Xinhua) offiziell aufzubrechen. Leider sei das Potential der Gesetze inzwischen bereits durch diverse Zusätze wieder stark relativiert worden.
Zu den Tabuthemen, die kontinuierlich von Zensur betroffen sind, gehören die Provinzen Tibet und Xinjiang, Taiwan, Falun Gong, das „Privatleben“ hoher Kader und die Infragestellung des Machtanspruches der KP. Doris Fischer sieht gegenwärtig im Vergleich zu den 1980er und 1990er Jahren die Tendenz zur Selbstzensur von Journalisten und anderen Intellektuellen. Selbstzensur sei aus staatlicher Sicht die effektivste Zensur, da sie „freiwillig“ erfolge und für den Außenbetrachter nicht sofort transparent werde. Im Durchschnitt könnten nur 40% bis 50% der recherchierten Informationen auch publiziert werden und eine Liberalisierung fände primär im Unterhaltungs- und Lifestylesektor statt. Grundsätzlich bestände schon seit Jahrzehnten die Regel, dass man nur die jeweils tieferen Ebenen in der (Partei-)Hierarchie, kritisieren dürfe. Es müssten an erster Stelle die regionalen Kontrollinstanzen aufgehoben werden, um mehr Pressefreiheit zu erreichen und konsequent gegen Korruption vorgehen zu können. Die chinesischen Medien sind inzwischen nicht mehr nur den inhaltlichen Anforderungen der Zensur unterworfen, sondern auch den Marktgesetzen. Staatliche Propaganda allein sei aus der Sicht der Werbebranche nur schwer zu verkaufen. Demnach seien die neu entstandenen Mediagroups zwar nach wie vor Staatseigentum, es gäbe jedoch inzwischen „Untersektionen“ innerhalb der Konzerne, in denen Unterhaltung im Mittelpunkt stände, um höhere Werbeeinnahmen und einen größeren Absatzmarkt der jeweiligen Produkte zu ermöglichen, und die weniger populären Erzeugnisse der Mediengruppen mittragen zu können. Die neuen Kommunikationstechnologien sind wie in Deutschland auch fester Bestandteil des chinesischen medialen Arbeitsalltags. Internetportale wie sina.com melden wichtige Ereignisse inzwischen des Öfteren noch vor den staatlichen Nachrichtenagenturen. Der chinesische Staat hat bereits auf die Ausdehnung des Freiraums mit der Erschaffung von Kontrollmechanismen reagiert. Beispielsweise wurde Anfang 2008 gesetzlich festgelegt, dass nur noch Internet-Unternehmen mit staatlicher Genehmigung das Recht haben, Videos und Bildmaterial ins Internet zu stellen. Chatforen und Blogs bieten neue Optionen, individuelle bzw. „private“ Kommentare zu aktuellen Ereignissen abzugeben, wobei eine große Anzahl von Foren inzwischen deutlich von als „Fünf Mao“- Schreiberlingen bezeichneten, vom Staat engagierten Forenmitgliedern, dominiert und kontrolliert wird. Foren, so ein chinesischer Journalist, spielten zur Erzeugung von bestimmten Stimmungen in großen Teilen der Bevölkerung, beispielsweise nach 9/11 oder den Vorfällen in Tibet, eine große Rolle und würden derzeitig deutlich zu einer nationalistischen Stimmung beitragen.
Sowohl lokale Aktivisten als auch die städtischen Behörden greifen inzwischen auf SMS zurück um zu Demonstrationen („Spaziergängen“) aufzurufen bzw. vor Naturkatastrophen zu warnen. Als ein erfolgreiches Beispiel von „SMS-Aktivismus“ im Jahr 2007 wurde die Verhinderung des Baus eines Chemiewerks in der Stadt Xiamen angeführt. Von deutscher Seite wurde der staatliche Zugriff auf die Handynummern aller Stadtbewohner als illegitimer Eingriff in die individuelle Privatsphäre begriffen, während es sich in China um ein bereits akzeptiertes bzw. seitens der Bürger als fortschrittlich bewertetes Phänomen zu handeln scheint. Sie seien darüber hinaus schon daran gewöhnt, dass privater Datenschutz in China grundsätzlich nicht möglich sei, so eine chinesische Teilnehmerin.
Nachhaltigkeit von Olympia
Werden die gegenwärtigen Optionen zur Berichterstattung für ausländische Journalisten betrachtet, so zeigt das Beispiel Tibet aus den letzten Monaten wenig Hoffnung auf eine Entwicklung hin zur uneingeschränkten Pressefreiheit, auch wenn eine freie Berichterstattung über die Folgen des Erdbebens in Sichuan von der chinesischen Regierung zugelassen wurde.
Eine Ausweitung dieser Pressefreiheit auf die lokalen Journalisten erscheint gegenwärtig jedoch bereits utopisch. Zur Frage einer nachhaltigen Wirkung der Olympischen Spiele auf die chinesische Medienlandschaft, war die Mehrheit der Teilnehmer der Ansicht, die mediale Öffnung sei ein längerfristiger und gradueller Prozess, und der Zeitraum der Olympischen Spiele zu kurz, um größere Wirkung zu zeigen.
Wechselwirkungen von Medien und Zivilgesellschaft – Zukunftsperspektiven
Die NGO-Landschaft habe sich in China mit einer Wachstumsrate von 11% mindestens so schnell entwickelt wie das GDP. Es gäbe inzwischen über eine Million unterschiedlicher Organisationen in diesem Sektor. Im Umweltbereich beständen gegenwärtig noch große Diskrepanzen zwischen den Interessen von Umwelt- NGOs und dem chinesischen Umweltministerium (MEP) und auch Probleme bei der Implementierung der bereits existierenden Umweltverordnungen. Wichtig sei es jedoch, so ein chinesischer NGO-Experte, dass sich NGOs und Medien „gesund“ weiterentwickeln würden. Wodurch sich diese „Gesundheit“ auszeichnen sollte, blieb für die Zuhörerschaft leider offen.
Begreife man die Medien und die Öffentlichkeit im Kontext einer entstehenden Zivilgesellschaft und des wachsenden Bewusstseins der chinesischen städtischen Mittelklasse über ihre „Bürgerrechte“, so sei es wichtig, dass Europa die chinesische Regierung unnachgiebig dazu auffordere, endlich die International Convention of Social, Economic and Citizenship Rights vom chinesischen Volkskongress ratifizieren zu lassen. Die Konvention sei zwar bereits unterschrieben, könne aber ohne die Ratifizierung nicht implementiert werden.
Aufgrund des großen Stadt- und Land- und Einkommensgefälles stelle sich auch die wichtige Frage, wer gegenwärtig bereits zu welchen Medien Zugang habe und aktiv an einer Öffentlichkeit im Sinne einer Zivilgesellschaft teilnehmen könne.
Eine deutsche allgemeine Kritik der mangelnden Pressefreiheit oder die Verwendung der Bezeichnung „autoritärer Staat“ ändere, so ein chinesischer Teilnehmer, nichts an den Verhältnissen, sondern die Kritik müsse sehr konkretisiert werden, beispielsweise auf der rechtlichen Ebene, damit tatsächlich Druck auf die chinesische Regierung ausgeübt und Veränderungen herbeigeführt werden könnten. Mediale Kritik an der chinesischen Regierung sei aus deutscher Sicht jedoch trotz des sichtbaren Öffnungsprozesses weiterhin notwendig, da gegenwärtig immer noch Dissidenten verhaftet würden und keine Pressefreiheit bestehe. Sorgfältige Recherche und eine Balance in der Berichterstattung seien jedoch wichtige Voraussetzungen, um der Zeichnung von Zerrbildern vorbeugen und eine faire Berichterstattung gewährleisten zu können. Einhergehend mit der Kritik müsse nach Mitteln und Wegen gesucht werden, den Dialog zwischen Vertretern der deutschen und chinesischen Medien und anderen Akteuren der Zivilgesellschaft auszuweiten.
Berlin, 26.05.2008
- Konferenz: „China – Öffentlichkeit und Medien im Olympiajahr 2008“
20. Mai 2008, Heinrich Böll Stiftung, Berlin
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