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Die Ukraine und die NATO

2. März 2009
Von Oleh Rybachuk
Von Oleh Rybachuk

Die Ukraine hat eine klare geopolitische Entscheidung für die volle Mitgliedschaft in der EU und im gemeinsamen europäischen Sicherheitssystem getroffen. Auch das transatlantische Bündnis hat seine Wahl getroffen, wenigstens formell, indem auf dem Bukarester NATO-Gipfel erklärt wurde, dass die Ukraine eines Tages zur NATO gehören wird. Beide Seiten wissen jedoch, dass es durchaus noch dauern kann, bis diese Vision Wirklichkeit wird, weil der Grad der Zustimmung zu diesem Ziel zwischen den einzelnen NATO-Mitgliedsstaaten sehr schwankt.
Für die Ukraine bedeuten die Mitgliedschaften in EU und NATO mehr als nur einen Schritt in Richtung weiterer demokratischer Reformen, eines gemeinsamen Marktes und kollektiver Sicherheit - sie sind eine Entscheidung für bestimmte Werte und eine bestimmte Identität. Das Ziel der Ukraine ist nicht der bloße Schutz gegenüber Russland. Die Erfolge der Ukraine bei der Schaffung einer demokratischen Zivilgesellschaft zeigen bereits, dass sie nicht zu jenen postsowjetischen Staaten gehört, die Probleme mit den grundlegenden demokratischen Normen haben und von denen man sagt, dass sie zur sogenannten „legitimen Einflusssphäre der russischen Interessen“ gehören.
Doch wie oft Offizielle auch beteuern, dass man Russland nie erlauben wird, die Entscheidungen der NATO zur Mitgliedschaft der Ukraine zu beeinflussen, sehen die Fakten doch anders aus. Derzeit gibt es keine gemeinsame Politik der NATO und der EU gegenüber Russland. Folgerichtig nutzt Russland die Differenzen innerhalb der EU und der NATO aus und spielt deren Mitglieder praktisch gegeneinander aus.

Russlands Unterstützung einer ukrainischen EU-Mitgliedschaft

Die entschiedensten Gegner der ukrainischen NATO-Mitgliedschaft – Deutschland, Frankreich und Russland – haben in letzter Zeit die Ukraine immer wieder dazu zu überreden versucht, sich statt dessen auf die EU-Mitgliedschaft zu konzentrieren. Diese Bekundungen einer echten Unterstützung für die ukrainische Mitgliedschaft in der EU werden durch die typische inoffizielle Rhetorik russischer Funktionsträger Lügen gestraft: „Wir haben nichts gegen eure Ambitionen auf die EU-Mitgliedschaft, weil wir wissen, dass die nie erfüllt werden. Man will euch dort nicht haben. Dagegen hat die angestrebte Mitgliedschaft in der NATO handfestere Aussichten auf Erfolg, und deshalb werden wir alles tun, damit sie nicht wirklich wird“. Russland unterstützt also den Wunsch der Ukraine nach EU-Mitgliedschaft offiziell, weil es diese Ambitionen nicht ernst nimmt. Moskau kämpft um die Vormacht und die totale Kontrolle über die Ukraine. Deshalb wird Russlands Unterstützung einer ukrainischen EU-Mitgliedschaft sich in Luft auflösen, sobald diese wirklich werden könnte.
Für die Ukraine gehen die Mitgliedschaft in EU und NATO Hand in Hand mit den weitgehenden politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Reformen im eigenen Land. Dennoch ist deutlich, dass der Weg, den andere postkommunistische Staaten in die NATO beschritten haben, der Ukraine nicht offen steht. Faktisch wurden die Nachbarstaaten der Ukraine beinahe unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Kommunismus ermutigt, die Mitgliedschaft in beiden Bündnissen anzustreben. Bei der Ukraine war das nicht der Fall.
Tatsächlich hat die NATO ihre Kriterien für die Mitgliedschaft in den letzten Jahren geändert. Der Membership Action Plan (MAP) der NATO, der früher eine rein technokratische Liste von Reformen war, ist neu verfasst, so dass die Bedingungen für den Beitritt heute anspruchsvoller sind. Eine politische Entscheidung über die ukrainische Mitgliedschaft in der NATO lässt sich so als rein technische Frage darstellen, denn es ist viel leichter, die ukrainischen Wünsche zurückzuweisen, weil angeblich die Kriterien des Membership Action Plans nicht erfüllt werden. Das hat die Mehrzahl der prowestlichen Teile der ukrainischen Gesellschaft verbittert. Im Gegensatz dazu sehen sich diejenigen Ukrainer, die in die postsowjetische Abhängigkeit von Russland zurück wollen, als Sieger.

Die Zukunft der ukrainischen NATO-Mitgliedschaft

Die ukrainischen Funktionsträger und die politischen Führer schätzen die Unterstützung ihrer Verbündeten für die Ziele des Landes sehr. Aber diese Ziele müssen mit Klugheit und Weisheit verfolgt werden. Das war in der Vergangenheit nicht immer der Fall. Die Entscheidung der Regierung Bush, die NATO-Ambitionen der Ukraine nachdrücklich zu unterstützen, hat zum Beispiel mehr Kontroversen geschaffen, als nötig gewesen wäre. Eine in Europa verbreitete antiamerikanische Stimmung und die unterschiedlichen Beziehungen der europäischen Länder zu Russland haben die Ukraine zur Geisel der europäisch-russisch-amerikanischen Beziehungen gemacht. Deshalb ist es so wichtig, dass die neue amerikanische Regierung unter Barack Obama die Politik der Unterstützung für die ukrainischen Beitrittsbemühungen zur NATO fortsetzt, dies aber in einer engeren Zusammenarbeit mit ihren wichtigsten europäischen Partnern tut. Dies könnte in den westeuropäischen Hauptstädten zu einer größeren Unterstützung für die künftige Mitgliedschaft der Ukraine führen.
Die Meinungen über die NATO sind in der Ukraine mindestens ebenso geteilt wie die Ansichten der NATO-Mitglieder über die mögliche Mitgliedschaft der Ukraine. Die öffentliche Zustimmung zur NATO-Mitgliedschaft ist in der Ukraine stetig gewachsen. Von 18 bis 20 Prozent Zustimmung im Jahr 2005 ist sie heute auf etwa 28 bis 30 Prozent gestiegen. Die Erfahrungen unserer Nachbarn zeigen, dass eine gezielte landesweite Informationskampagne diesen Trend noch stärken könnte. Leider manipulieren die ukrainischen Eliten die Frage der NATO-Mitgliedschaft immer wieder und funktionalisieren sie für kleinkarierte innenpolitische Kämpfe. Der Georgienkrieg vom August 2008 hat ebenfalls zur wachsenden Politisierung der Frage und zu einer Polarisierung innerhalb der ukrainischen Gesellschaft beigetragen.
Europa kann auf diese Debatten Einfluss nehmen. Doch anders als in den Vereinigten Staaten oder Russland haben die europäischen Länder zu dieser Frage bisher öffentlich keine klare Position bezogen. Es ist Zeit, dass sich das ändert.      

Oleh Rybachuk war Chef des Stabes des Präsidenten der Ukraine; zurzeit ist er Vorsitzender der Suspilnist Foundation.

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