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Europa in der Krise

Eurokrise, Haushaltsdefizite, Schuldenschnitte. Europa ist immer schwerer zu verstehen. Journalist/inn/en könnten das. Aber in Brüssel, wo viele europäische Entscheidungen getroffen werden, gibt es zu wenig Medienarbeiter/innen.


Schuldenschnitt, Bankenunion, Grexit und Ratspräsidentschaft. Wer kann das noch hören? Und wer versteht es überhaupt noch? Manchmal vielleicht nicht einmal die Journalisten/innen, die darüber berichten.

Franziska Brantner findet, dass es zu wenige Korrespondenten/innen gibt, die die Finanzkrise erklären, direkt von dort, wo über Rettungsschirme und Bankenrettungen entschieden wird, von Brüssel aus. Brantner ist Europa-Abgeordnete in der grünen Fraktion. Sie ist jung und dynamisch und setzt sich für eine stärkere europäische Integration ein. „Die Medienvertretung in Brüssel spiegelt nicht die Wichtigkeit der hier getroffenen Entscheidungen wider“, sagt sie.

Weil die Journalisten/innen in Brüssel über EU-Politik, aber auch über die NATO und die Benelux-Staaten berichten müssten, würden sie meistens nur melden, was schon entschieden sei. Das vermittle den EU-Bürger/innen das Gefühl, nichts bewegen zu können, glaubt sie. Man bräuchte eine andere, detailliertere Berichterstattung, auch mit Fokus auf das Parlament. Brantner sagt: „Deutsche Korrespondenten sind in Brüssel extrem unterrepräsentiert.“ In England und Frankreich würde mehr Wert auf EU-Berichterstattung gelegt.

Im Oktober 2012 zählte die Deutsche Botschaft in Brüssel 120 deutsche Journalistinnen und Journalisten. Es gibt 110 britische und 52 französische Journalisten/innen, hat die Europäische Kommission bekannt gegeben. Kleinere Länder wie Irland oder Ungarn haben nur acht oder neun Korrespondenten/innen vor Ort.

„Die Zahl der deutschen Journalisten ist gesunken, aber von einem hohen Niveau“, sagt Martin Winter. Er ist Brüssel-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung und  Auslandsjournalist, seit vielen Jahren berichtet er aus der belgischen Hauptstadt. Ein entscheidender Grund für den Rückgang der Korrespondenten/innen sei die allgemeine Medienkrise mit sinkenden Anzeigen- und Auflagenzahlen, sagt er. Ein Desinteresse an europäischen Themen könne man also nicht ausmachen. Winter versteht die zunehmende Frustration der Bürgerinnen und Bürger über die Berichterstattung aus Brüssel. Er sagt: „Niemand kann sich mehr die Summen, die hier verhandelt werden, vorstellen!“

Christian Trippe hofft, bald über das Ende der Krise berichten zu können. Unter anderem, weil es über Brüssel noch viel anderes zu berichten gäbe, findet der  Rundfunkjournalist. Trippe lebt seit fünf Jahren in Brüssel, hier leitet er das Studio der Deutschen Welle. Der Sender wird vom Bund finanziert, die Journalisten/innen produzieren Audio- und Fernsehbeiträge in verschiedenen Sprachen, die rund um die Welt Informationen aus deutscher Perspektive liefern. Die Berichte, Reportage und Kommentare werden von verschiedenen ausländischen Sendern ausgestrahlt und sind übers Internet abrufbar. Auch in den Nachrichten der Deutschen Welle ist die Euro-Krise ein Dauerthema.

Auch die Europa-Abgeordnete Brantner weiß, wie schwierig es ist, über ein geeintes Parlament zu berichten als über ein geteiltes Parlament. Es sei komplizierter, die Entscheidungsvorgänge im Europaparlament abzubilden, in dem immer wieder neue Mehrheiten gefunden werden können, als über den Stand eines Gesetzgebungsprozesses im Bundestag zu informieren, glaubt sie. Denn hier stehe oftmals plakativ „Rot-Grün“ gegen „Schwarz-Gelb“.

„Alle sind für Europa“, sagt sie: „Aber viele fragen: Wie hilft’s Deutschland?“ Auch SZ-Journalist Martin Winter denkt, dass es so etwas wie eine europäische Öffentlichkeit nicht gibt. Letztlich stünden bei der Berichterstattung nationale Interessen im Vordergrund, und alles würde aus dem jeweiligen nationalen Blickwinkel berichtet. Winter meint allerdings auch, dass Journalistinnen und Journalisten sich nicht unreflektiert in den Chor der Europa-Enthusiasten einreihen sollten: „Es ist nicht Aufgabe eines Journalisten, Europa in einen Glaubensstand zu erheben.“

Für Christian Trippe, den Studioleiter der Deutschen Welle in Brüssel steht der „national orientierte Serviceaspekt“  im Hintergrund, seinen Sender bezeichnet er als „pro-europäisch“. An dieser Stelle,  meint die EU-Politikerin Brantner, spielen die Medien eine zentrale Rolle. Sie könnten den Diskurs über Europa, mit der Fixierung auf nationale Vor- und Nachteile, aufbrechen: „Man sollte vielleicht mal fragen, wem in Deutschland bestimmte EU-Entscheidungen helfen und wem nicht.“