Archiviert | Inhalt wird nicht mehr aktualisiert

Berlinale-Gewinner 2008

Lesedauer: 7 Minuten

Film verherrlicht Gewalttaten brasilianischer Elite-Einheiten

27. Februar 2008
Von Sven Hilbig

Von Sven Hilbig

"Tropa de Elite" heißt der diesjährige Gewinner der Berlinale. Zur Überraschung vieler Besucher und Filmkritiker erhielt der brasilianische Regisseur José Padilha den Goldenen Bären für den besten Spielfilm. Im Publikum stieß der Film über eine Sondereinheit der Polizei aus Rio de Janeiro auf unterschiedliche Reaktionen: von hohem Lob für dessen Authentizität bis hin zur Ablehnung der unangemessen martialischen Szenen, die sogar als faschistoid kritisiert wurden.

In Anbetracht einer immer gewalttätigeren Polizei rief der Film Empörung bei brasilianischen Menschenrechtsorganisationen und Stadtteilvereinigungen aus den Favelas hervor. Ihrer Ansicht nach leistet Tropa de Elite der populären und unverantwortlichen Politik Vorschub. Letztere verunglimpft die Verteidiger der Menschenrechte in den urbanen Zentren Brasiliens als Verbündete der Kriminellen und belastet damit ihre ohnehin schwierige Arbeit noch stärker.

Wir nehmen die Preisverleihung der Berlinale zum Anlass, um uns mit der Gewalt der staatlichen Sicherheitskräfte im demokratischen Brasilien auseinanderzusetzen.

Korrupte Polizisten und Politiker

Der Dokumentarfilmer José Padilha erklärte dazu, seine ursprüngliche Intention sei es gewesen, eine Dokumentation über die Anfang der 1990er Jahre geschaffene Sondereinheit der Polizei BOPE (Batalhão de Operações Policiais Especiais) zu machen. Gescheitert sei dieses Vorhaben jedoch an der fehlenden Bereitschaft der Elitepolizisten: Diese weigerten sich, vor die Kamera zu treten. Padilha verarbeitete das Material daraufhin zu einem Spielfilm.

Der Film beschreibt die Arbeit der Sondereinheit im Jahre 1997 aus der Sicht ihres Hauptmanns Nascimento. Nascimento sieht Rio de Janeiro im Krieg: Die Mehrzahl der über 700 Favelas der Stadt werde von Drogendealern beherrscht, die unter demonstrativem Waffeneinsatz die Armenviertel kontrollieren, um von dort aus ungestört Drogenhandel zu betreiben. Nascimentos Auffassung zufolge ist den Drogendealern mit herkömmlichen Polizeikräften nicht beizukommen, da sich viele von ihnen bestechen lassen und Waffen an die Dealer verkaufen.

Vor dem Hintergrund einer im Drogen-, Kriminalitäts- und Korruptionssumpf versinkenden Stadt wird die Sondereinheit BOPE gegründet. Sie macht Schluss mit der Tolerierung der Drogendealer und deren Sympathisanten, indem sie ihnen den Krieg erklärt. Zu den Sympathisanten zählen - so der Film - neben korrupten Polizisten und Politikern auch Marihuana rauchende Studenten und Studentinnen bis hin zu Nichtregierungsorganisationen, die in den Favelas Sozialarbeit leisten. Korrupt oder gewalttätig - das sind die Alternativen für diese Sondereinheit. Eine dritte Möglichkeit existiert für Nascimento nicht. Im Verlauf des Geschehens wird deutlich, dass dieser Krieg explizit Folter, Rache für ermordete Polizisten bis hin zur Selbstjustiz einschließt. Der Erzähler Nascimento bezeichnet dieses Vorgehen der Sondereinheit euphemistisch als „effektiv“.

Im Film wird nicht nur jegliche Kritik am brutalen Vorgehen der BOPE-Einheit als naiv diskreditiert, sondern obendrein suggeriert, die Eliteeinheit gehe bei ihren Einsätzen in den Armenvierteln gezielt nur gegen Dealer vor und verschone unbeteiligte Favela-Bewohner - doch die Realität sieht leider anders aus.

Angst vorm „großen Totenkopf“

Eine Fernsehreportage, die vor eineinhalb Jahren im brasilianischen Fernsehen lief, sprach eine eindeutige Sprache. Sie offenbarte die Ängste der Kinder aus der Südzone Rio de Janeiros, wozu die bekannten Stadtteile Copacabana und Ipanema gehören. Zunächst wurden Kinder der Mittel- und Oberschicht aus den reichen Stadtvierteln befragt. Diese fürchteten sich vor dem so genannten Bisho Papão. Diese Figur ist eine Fantasiegestalt, die von manchen Eltern benutzt wird, um ihren Sprösslingen Angst einzujagen, wenn diese ihnen nicht gehorchen möchten. Anschließend richteten die Journalisten die gleiche Frage an Kinder aus den nebenan gelegenen Favelas. Diese Kinder antworteten, sie haben Angst vor dem Caveirão. Caveirão heißt großer Totenkopf.

Der Caveirão ist mitnichten eine Fantasiegestalt, sondern vielmehr ein ganz reelles Panzerfahrzeug, welches die Elite-Einheit BOPE seit mehreren Jahren bei ihren Operationen in den Favelas einsetzt. Auf diesem schwarz angestrichenen Panzerwagen sind rechts und links To-tenköpfe abgebildet. Der Totenkopf ist das offizielle Symbol der Sondereinheit.

Während der Polizeieinsätze werden die Favela-Bewohner über die Lautsprecheranlage des Panzers mit Sprüchen wie „Geht doch arbeiten“ oder „Wir kommen, um eure Seele zu holen“ gedemütigt und eingeschüchtert. Zahlreiche unschuldige Menschen sind dem Caveirão bereits zum Opfer gefallen. Da die Militärpolizei ihre Schusswaffen verdeckt aus dem Panzerwagen heraus einsetzt, ist eine Ermittlung des Todesschützen so gut wie unmöglich.

„Fehlgesteuerte und pervertierte Sicherheitspolitik“

Der Caveirão und die Eliteeinheit BOPE sind zu einem Symbol des Schreckens für die Favela-Bewohner geworden. Sie stehen beispielhaft für eine völlig fehlgesteuerte und pervertierte Politik der öffentlichen Sicherheit. So initiierten im März 2006 amnesty international, Justiça Global, das Netzwerk gegen Gewalt, und zahlreiche andere Menschenrechtsorganisationen eine Kampagne gegen den Caveirão. Diese richtete sich nicht nur gegen den Einsatz der Panzerwagen, sondern stellte die gesamte Politik der öffentlichen Sicherheit in Rio de Janeiro in Frage. Eine „Sicherheitspolitik“, die sich seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre - also in dem Zeitraum, in dem der Film spielt - dramatisch zugespitzt hat.

1996 startete das Sekretariat für öffentliche Sicherheit in Rio de Janeiro ein Programm, das Polizeikräften eine 50- bis 150-prozentige Gehaltserhöhung in Aussicht stellte, wenn sie an besonders gefährlichen Einsätzen beteiligt waren. Ob ein Einsatz als gefährlich einzustufen war, wurde an der Anzahl der Toten gemessen. Folglich führte diese Regelung zu einem dramatischen Anstieg von getöteten Zivilisten. Im Jahre 2000 wurden bereits 427 Zivilisten von Polizeikugeln getötet, zwei Jahre später lag die Anzahl der Todesopfer durch Polizisten bei 900, im Jahre 2003 wurden 1.195 Tote gezählt. Bei den Opfern handelte es sich überwiegend um Jugendliche oder junge Männer im Alter von 15 – 24 Jahren, von denen die meisten schwarz sind.

Selbstjustiz der Einsatzkräfte

Untersuchungen von Menschenrechtsorganisationen ergaben, dass nur eine geringe Zahl der Todesopfer auf einen Schusswechsel zwischen Kriminellen und der Polizei zurückzuführen war - wie es gemeinhin von den staatlichen Stellen und den Medien dargestellt wird. In den meisten Fällen hatten die Einsatzkräfte Selbstjustiz an Delinquenten und Verdächtigen geübt.

Im vergangenen Jahr hat ist die Gewalt in Rio de Janeiro weiter eskaliert: 1.260 Menschen wurden im Jahr 2007 von Polizisten getötet. Ein Vergleich mit den USA macht die Dramatik deutlich: In den Vereinigten Staaten mit einer Gesamtbevölkerung von 300 Millionen fielen 340 Personen der Polizei zum Opfer.

Der UNO-Sonderberichterstatter für außergerichtliche, summarische und willkürliche Hinrichtungen, Philip Alston, sagte anlässlich seines offiziellen Brasilienbesuchs im November 2007: „Das brasilianische Volk hat nicht 20 Jahre lang gegen die Militärs gekämpft, um jetzt im Namen der Sicherheit von Polizisten ermordet zu werden.“ Der Sonderbeauftragte forderte die brasilianische Bundesregierung auf, sich endlich für eine Sicherheitspolitik einzusetzen, die dem Schutz aller Bürger dient.

Film trägt zur Stigmatisierung der armen Bevölkerung bei

Der Film „Tropa de Elite“ bewirkte in Brasilien genau das Gegenteil. Hauptmann Nascimento und seine Sondereinheit BOPE werden dort als Helden gefeiert. Noch bevor der Film in die Kinos kam, schauten sich mehr als zwölf Millionen Brasilianer das brutale Vorgehen der Sondereinheit auf Raubkopien an. Weitere zweieinhalb Millionen drängte es in die Kinosessel; nicht selten endete die Filmvorführung unter großem Applaus. So bietet die Sondereinheit einfache Antworten auf komplexe Fragen. Hauptmann Nascimento weiß genau, wo der Feind steht: auf dem Berg, dort wo Rios Armenviertel liegen.

Brasilianische Menschenrechtsorganisationen zeigten sich empört über den Film und seine Kernaussage, die Favelas als Feindesland zu erklären und damit jegliche Gewaltanwendung zu rechtfertigen. Der Film trägt damit zur weiteren Stigmatisierung und Kriminalisierung der armen Bevölkerung bei, so Sandra Carvalho, Direktorin von Justiça Global. In Brasilien wurde deswegen der Vorschlag gemacht, den Film umzubenennen in „Tropa d a  Elite“ - zu Deutsch: (Polizei)Einheit f ü r die Elite.