Archiviert | Inhalt wird nicht mehr aktualisiert

„Die Afghanen verlieren das Vertrauen in uns“

Lesedauer: 5 Minuten

7. Oktober 2008

Der Bundestag stimmt diese Woche über das Bundeswehrmandat für Afghanistan ab. Die Grünen wollen darin auch den zivilen Wiederaufbau aufnehmen. Was versprechen Sie sich davon, Frau Unmüßig?

Was wie formuliert in das Mandat aufgenommen werden sollte, ist Sache der Bundestagsfraktion. Aber indem der zivile Wiederaufbau mit im Mandat verankert wird, würde dessen Stellenwert gestärkt. Deutschland ist hier viertgrößter Geber, und ich vermisse eine lautere Stimme!

Tue Gutes und rede darüber?

Nicht nur das, es gibt auch Defizite. Die vier Ministerien in Berlin, die am Einsatz in Afghanistan und am Wiederaufbau beteiligt sind, müssen sich viel besser koordinieren. Das ist ein zentraler Schritt. In Afghanistan gibt es einen Wettlauf zwischen Sofort- und eher längerfristigen Maßnahmen. Kurzfristige Maßnahmen, also hier ein Brunnenbau, dort ein Straßenteilstück, müssen besser in eine längerfristige Entwicklung eingebettet werden. Wenn Deutschland sich zum Beispiel mit der entwicklungsorientierten Nothilfe gerade mal für ein Jahr im Südosten engagiert und schnelle Erfolge haben möchte, ist das ein zu hinterfragender Ansatz. Denn bei einem so kurzfristigen Engagement lösen sich diese kleinen Projekte schnell wieder in Luft auf.

Wäre es ein Anfang, wenn die Bundesregierung sich einen Afghanistanbeauftragten gönnen würde, um die deutsche Afghanistanpolitik besser zu koordinieren?

Sicher. Meiner Ansicht nach nimmt das Bundeskanzleramt den Komplex des zivilen Wiederaufbaus nicht ernst genug. Zudem wird das gesammelte Wissen der deutschen Akteure in Afghanistan nicht abgefragt. So sind seit 2002 die Entwicklungsorganisationen und die politischen Stiftungen noch zu keinem einzigen gemeinsamen Treffen eingeladen worden, um darüber nachzudenken, wie man komplementär Aufgaben erfüllen könnte und um voneinander zu lernen. Deutschland leistet sich ein sehr diversifiziertes institutionelles Gefüge, in dem es sehr gute Leute und viel Wissen gibt, aber es profitiert nicht wirklich davon.

Die Grünen fordern auch insgesamt einen Kurswechsel der Bundesregierung in der Afghanistan-Politik. Was meinen Sie damit?

Zwar ist man sich einig darüber, dass der Konflikt in Afghanistan nicht mit militärischen Mitteln alleine gelöst werden kann. Trotzdem wird fast nur über die Militärstrategie gesprochen. Ein Kurswechsel hieße vor allem, dass die internationalen Geber eine gemeinsame Strategie für den zivilen Wiederaufbau entwickeln, also für Landwirtschaft, Infrastruktur und Bildung. Seit Jahren werden hier die Defizite diskutiert – wenn wir sie nicht endlich ernst nehmen, verlieren die Afghanen endgültig das Vertrauen, dass die internationale Gemeinschaft ihre Lebensverhältnisse verbessern will.

Wo sehen Sie denn derzeit die größten Probleme?

Es fließt viel Geld in das Land, aber ohne klare Prioritäten. Die einzelnen Staaten, die Weltbank, die Asiatische Entwicklungsbank und hunderte von Nichtregierungsorganisationen – sie alle wollen zum Wiederaufbau beitragen, aber sie koordinieren sich untereinander viel zu wenig. Vor zwei Jahren wurde deshalb der „Afghanistan Compact“ ins Leben gerufen.

Ein Abkommen, das nach der Londoner Afghanistan-Konferenz im Jahr 2006 von der afghanischen Regierung, den Vereinten Nationen und der internationalen Gemeinschaft geschlossen wurde, und den Rahmen für die internationale Zusammenarbeit für die kommenden Jahre festlegt.

Allerdings erkenne ich hier bisher keinen Durchbruch – und das halte ich für Betrügerei. Auf der Afghanistan-Konferenz in Paris im Sommer sind dieselben Probleme wie schon vor Jahren beklagt worden, ohne dass sich bei der Koordination Nennenswertes verbessert hätte. Irgendwann ist es unredlich, zu beklagen, dass sich das Land weiter destabilisiert und die Legitimität der Regierung von Hamid Karsai immer mehr abnimmt.

Was wäre eines der vordringlichsten Probleme, das konzertiert angegangen werden sollte?

Eine offene Debatte zwischen Gebern und afghanischen Verantwortlichen darüber, mit welcher Strategie aus dem Teufelskreis des Drogenanbaus ausgebrochen werden kann, wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Der Drogenhandel ist zentral für die Finanzierung der verschiedenen Gewaltakteure; das betrifft die Taliban genauso wie die Warlords und andere Kriminelle. Wenn 93 Prozent des Opiums weltweit aus Afghanistan kommen und zwei Millionen Menschen dort ihr Einkommen aus dem Drogenhandel beziehen, müsste es doch vordringlich sein, Antworten zu finden. Aber bisher sind die Vorstellungen viel zu unterschiedlich. Manche Akteure sind für eine lizenzierte Abnahme, andere wollen die Felder abbrennen. Und weil es so viele verschiedene Konzepte und Interessen gibt, wächst der Mohn einfach weiter.

Wie sähe ein erfolgversprechenderer Anti-Drogenkampf aus?

Es gibt kein Patentrezept gegen den Drogenanbau. Aber mit repressiven Maßnahmen und der Zerstörung der Felder bringen wir die Mohnbauern nicht auf unsere Seite. Wir brauchen eine Strategie für die ländliche Entwicklung, um den Menschen alternative Produkte anzubieten, die sie anbauen und vermarkten können. Das würde auch die Nahrungsmittelsituation im Land verbessern, schließlich hatten wir im vergangenen Winter eine große Hungersnot.

Werden die Afghanen selbst genug in die Debatte mit einbezogen?

Aus unserer Sicht viel zu wenig. Die Böll-Stiftung ist als eine von wenigen Organisationen seit 2004 im sehr unruhigen Südosten aktiv. In dem Paschtunen-Gebiet haben die Taliban großen Rückhalt. Wer dort Stabilität und Entwicklung erreichen will, ist ganz auf die lokalen Akteure angewiesen. Deswegen arbeiten wir mit einer Mittlerorganisation, dem Tribal Liason Office, das sehr viel Vertrauen bei den Stammesältesten genießt. Sie erfahren, was tatsächlich vor Ort gebraucht wird – ob es Probleme beim Trinkwasser gibt oder ob ein lokaler Konflikt gelöst werden muss. Wenn wir zu einem Wandel der traditionellen Strukturen beitragen wollen, wenn wir modernere staatliche Institutionen und Rechtsprechung wollen, geht das nur durch sehr viel Gespräche, behutsames Kooperieren und Vertrauensaufbau, und das ist sehr zeitintensiv. Aber diese Zeit muss man sich in Afghanistan nehmen.

Das Gespräch mit Barbara Unmüßig führte Ruth Ciesinger.

Das Interview ist im gedruckten Tagesspiegel vom 06.10.2008 erschienen.