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"Notwendig ist die Neuordnung der haitianischen Entwicklungsstrategie"

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20. Januar 2010

Sofort nach der Katastrophe in Haiti setzte eine beispiellose Mobilisierung von Hilfe ein. Organisationen und Regierungen aus aller Welt schickten Helfer und Hilfsgüter. Was muss geschehen, damit die betroffene Bevölkerung – neben der Soforthilfe – auch langfristig von dem internationalen Engagement profitiert?

Frithjof Schmidt: Nach der notwendigen Nothilfe ist eine langfristige Koordinierung der verschiedenen Hilfsorganisationen und Geberländer entscheidend. Ein Nebeneinander oder gar Gegeneinander der verschiedenen Akteure wäre absolut kontraproduktiv. Deshalb macht der Vorschlag einer internationalen Geberkonferenz viel Sinn.

Die EU, die schon vor dieser schrecklichen Katastrophe seit einigen Jahren Haiti zum Schwerpunktland der Entwicklungszusammenarbeit in der Karibik gemacht hat, muss dabei neben den USA eine führende Rolle einnehmen. Im Zentrum der zukünftigen Entwicklungszusammenarbeit muss neben der Armutsbekämpfung der Aufbau der öffentlichen Infrastruktur, also eines funktionierenden Wasser-, Elektrizitäts- und Straßennetzes stehen. 

Die USA haben die größte Hilfsaktion nach dem Tsunami gestartet: Mehrere tausend Soldaten sowie hunderte zivile Helfer leisten Erste Hilfe, Frachtflugzeuge mit Nahrungsmitteln, Wasser, Medikamenten und Zelten sind unterwegs nach Port-au-Prince. Wie beurteilen Sie das Engagement der USA in Haiti?

Frithjof Schmidt: Es ist gut, dass die Regierung Obama schnell und entschieden hilft. Die Lage in Haiti war schon vor dem Erbeben so, dass es kaum staatliche Ordnungskräfte gab – keine Armee, keine funktionierende Polizei. Die UN hat hier unter schwierigen Bedingungen mit 7.0000 UN-Blauhelmen in Haiti geholfen. Tragischerweise wurden jetzt die UN-Kräfte von dem Erdbeben selber schwer getroffen – das UN-Hauptquartier in Port-au-Prince liegt in Trümmern, es gab viele Tote. Deshalb war ein unmittelbarer Einsatz der USA als Ordnungskraft unvermeidbar und auch sinnvoll. Entscheidend ist jetzt aber, wie sich die USA nach einer Phase der Nothilfe und Stabilisierung politisch verhalten. Sie sollten sich für eine Stärkung der UN-Mission in Haiti einsetzen, für weitere UN-Blauhelme, und nicht versuchen, die UN als Stabilisierungsmacht zu ersetzen.

Welche langfristigen gesellschaftlichen und politischen Folgen könnte das Erdbeben für Haiti und die Region haben?

Frithjof Schmidt: Das Erdbeben könnte der Auslöser für eine grundlegende Debatte über die notwendige Neuordnung der haitianischen Entwicklungsstrategie sein. Die Schaffung staatlicher Ordnungskräfte und der Aufbau öffentlicher Infrastruktur hängen dabei untrennbar zusammen. Dies muss gegen den Widerstand von Oligarchie und kriminellen Banden politisch von der internationalen Gemeinschaft, gemeinsam mit den demokratischen Kräften in Haiti, durchgesetzt werden. Das wird seitens der internationalen Gemeinschaft hohe Anstrengungen und einen langen Atem verlangen. Die Alternative wäre jedoch das erneute Abrutschen Haitis in Richtung eines „failed states“.

Worin sehen Sie die Aufgabe der Bundesregierung?

Frithjof Schmidt: Neben der selbstverständlichen Unterstützung der Nothilfe muss sich die Bundesregierung direkt und im Rahmen der EU für eine solche langfristige Strategie engagieren. Entscheidend ist, dass die Unterstützung auch dann noch erfolgt, wenn sich die Augen der Weltöffentlichkeit wieder anderswohin gerichtet haben. Wir werden darauf achten, dass die Bundesregierung sich kontinuierlich und nachhaltig engagiert.

Das Interview führte Karoline Hutter, Heinrich-Böll-Stiftung.