Studie
Realität und Reformbedarf der Entwicklungszusammenarbeit am Beispiel Kenia
Von Gottfried von Gemmingen und Axel Harneit-SieversKenia ist die wirtschaftliche Drehscheibe Ostafrikas. Es gehört zu den Ländern mit niedrigem Einkommen, hat einen (im regionalen Maßstab) vergleichsweise gut entwickelten Privatsektor und vergleichsweise hohe Bildungsstandards. Politisch ist Kenia eine im Grundsatz funktionierende Mehrparteien¬demokratie mit Pressefreiheit und lebhafter öffentlicher Diskussionskultur, die allerdings Ende 2007/Anfang 2008 von einer schweren Krise erschüttert wurde. Zugleich weist Kenia erhebliche Entwicklungsdefizite auf: eine substanziellen armen Bevölkerungsanteil, große soziale und regionale Ungleichheiten, eine Kultur der Gewalt, und Korruption in großem Maßstab.
Die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) spielt für Kenia eine deutlich geringere Rolle als für viele andere Länder im Afrika südlich der Sahara, ist aber v.a. im Entwicklungsbudget wichtig.
Kenia bildet einen Testfall für die Wirksamkeit von Versuchen, Kohärenz und Wirkungsverbesserung bei der Entwicklungshilfe zu erreichen, aber auch dafür, inwieweit sich Entwicklungshilfe als Instrument der Konditionalität – allgemein zur Verbesserung von Governance-Strukturen, und speziell in einer schwere politischen Krisensituation – einsetzen lässt.
Entwicklungszusammenarbeit in Kenia
EZ für Kenia war in den 1990er Jahren – unter der Autokratie des damaligen Präsidenten Daniel arap Moi - lange Gegenstand politischen Streits. Aber nach dem Wahlsieg der National Rainbow Coalition (NARC) im Jahr 2002 gab es außerordentlich hohe Erwartungen an die neue Regierung unter Präsident Mwai Kibaki, auf der große Hoffnungen auf grundlegende Reformen ruhten.
Entsprechende wuchs die internationale EZ an Kenia in den Jahren 2002-03 stark an. Dies geschah v.a. vor dem Hintergrund substanziellen Wirtschaftswachstums – und trotz (ab ca. 2004-05) gleichzeitig wachsender Zweifel an der Bereitschaft der Kibaki-Regierung, ernsthaft etwas gegen die grassierende Korruption zu unternehmen.
Die umstrittenen Präsidentschaftswahlen vom 27. Dezember 2007 führten zu einer Gewalteskalation, die erst durch Bildung einer Großen Koalition (mit Kibaki als Präsident und Herausforderer Raila Odinga als Premierminister) im Frühjahr 2008 beendet wurde. Diese Krise hat die Wahrnehmung Kenias als (vorgeblicher) „Insel der Stabilität“ am Horn von Afrika drastisch verändert. Dies hatte wesentliche Auswirkungen auf die Entwicklungszusammenarbeit.
Bemühungen um Kohärenz und Steigerung der Wirksamkeit von EZ in Kenia seit 2003
Von 2003 an hatte die Regierung unter Präsident Kibaki ein umfangreiches Reformprogramm eingeleitet. Es wurde von Kenias internationalen Gebern unterstützt. Nicht nur das Volumen der EZ für Kenia stieg rasant; auch begannen einige Geber (z.B. die europäische Kommission), mit Budgethilfe zu fördern. All dies war Ausdruck des Optimismus dieser Jahre.
Die kenianische Regierung leitete langfristig orientierte Planungsprozesse ein, die bis heute fortgeführt werden (vom Economic Recovery Programme zur Vision 2030; daneben gibt es mittelfristige Planungen der Ministerien). Zum Kernpunkt der gemeinsamen Bemühungen von Regierung und Gebern wurde die Kenya Joint Assistance Strategy (KJAS), die 2007 noch vor den Wahlen verabschiedet wurde. KJAS formulierte erstmalig gemeinsame Schwerpunkte, Ziele und Orientie¬rungen für die Art der Unterstützung und für den Dialog.
Im Grundsatz haben sich diese Strukturen und Prozesse bewährt – und sie werden kontinuierlich fortentwickelt. Grundsätzlich erlauben diese Strukturen es auch, neue (bzw. neu erkannte Probleme – etwa Klimawandel, Auswirkungen der globalen Wirtschaftskrise, etc. – anzugehen und sie in Planungsprozesse zu integrieren. Allerdings geschieht dies in der Praxis eher graduell – und ist zeitaufwendig.
Erfahrungen: Koordination in der Praxis
In der Praxis hat die Koordination der EZ in Kenia durchaus Fortschritte gemacht:
- Regierung und Geber haben begonnen, gemeinsame Ziele und Zielerreichungskriterien zu definieren.
- Es gibt systematische Koordinierungsprozesse, und sie werden auch über längere Zeiträume konsistent implementiert. Dies hat gemeinsame Lernerfahrungen erbracht.
- Das Development Partnership Forum ist als höchstes Dialogforum zwischen Regierung und Gebern etabliert und tagt zweimal im Jahr. Es werden konkrete Maßnahmen vereinbart und nachgehalten.
- Analysen zur Integrität des öffentlichen Finanzwesen werden regelmäßig zwischen Regierung und einer Reihe von Gebern (u.a. Deutschland) gemeinsam durchgeführt und zeigen stetige Verbesserungen auf.
- Am erfolgreichsten haben sich Koordinierungsprozesse im Infrastruktursektor erwiesen (Straßen, Energie, Wasser). Koordinierung ist wesentlich schwieriger im Gesundheitsbereich, in „weichen“ und in politisch sensiblen Sektoren (wo Governance-Ziele eine Rolle spielen).
- Parallelprozesse und Inkohärenzen sind trotz Vision 2030 und KJAS nach wie vor vorhanden – sowohl in der kenianischen Regierung als auch bei Gebern. Viele dieser Probleme sind durchaus typisch für die Praxis der EZ generell.
- Bei den vielfältigen Planungsprozessen der Regierung gibt es institutionelle Konkurrenz und daraus resultierende Parallelprozesse. Diese gibt sie auch auf Geberseite: Trotz KJAS haben alle Geber seit Beilegung der Krise eigene Länderstrategien verfasst und bewerten die politische Situation in Kenia. z.T. sehr unterschiedlich.
- Gemeinsame Planung und wachsende Bemühungen um Kohärenz haben altbekannte Klagen z.B. über einen Mangel an „ownership“ nicht verschwinden lassen. Einzelne politische (Überlebens)Interessen lassen z.B. im Wasser-Sektor Institutionen fortleben, die im Rahmen von Reformen eigentlich schon längst aufgelöst sein sollten. Dies resultiert in Finanzmangel für die Reformaufgaben in diesem Sektor.
- Koordinationsprozesse haben sich als sehr zeit- und arbeitsintensiv erwiesen; einzelne deutsche EZ-Vertreter in den entsprechenden Gremien geben an, dass sie bis zu 80% ihrer Arbeitszeit in Koordinationstätigkeit investieren müssen.
- Inwieweit die (etwa in KJAS) definierten gemeinsame Ziele und Indikatoren wirklich gemeinsam sind, bleibt fraglich. Eine wirkliche Evaluierung entlang dieser Indikatoren hat noch nicht stattgefunden. Es ist sinnvoller, dass die Entwicklungsziele des Partnerlandes als Grundlage für EZ-Programmierung werden und keine Parallelziele formuliert werden. Voraussetzung dafür ist ein wirksamer werdender entwicklungspolitischer Dialog.
- Allen Koordinierungsbemühungen zum Trotz werden die Einsatzmöglichkeiten für gemeinschaftliche Finanzierungsinstrumente unterschiedlich bewertet. Die Erfahrungen mit Korbfinanzierungen und Sektor-Budgethilfe sind wechselhaft. Seit der Krise ist auch die EU-Budgethilfe auf Eis gelegt. Effizienz und Korruptionsanfälligkeit der kenianischen Abwicklungssysteme werden auf Geberseite nach wie vor unterschiedlich bewertet.
Aid Efficiency und Politik/politische Bewertungen
Die kenianische Erfahrung zeigt in drastischer Weise, dass Bemühungen um eine Steigerung der Wirksamkeit von EZ, und um eine kohärentere EZ, keinesfalls eine “rein technische Angelegenheit” sind.
In Kenia ist die Bereitschaft von Gebern, die kenianischen Abwicklungs-mechanismen („Ländersysteme“) selbst zu verwenden, stark von deren Einschätzung der Korruptionsanfälligkeit dieser Systeme abhängig.
Zum Beispiel haben im September 2009 geberunterstützte Maßnahmen zur Verbesserung des Monitoring einen Korruptionsskandal im Bildungs-ministerium aufgedeckt. Daraufhin stieg Großbritannien aus der Sektor-Budgethilfe aus und leitet die Mittel über Finanzmanagementfirmen direkt an die Schulen. Aber sollte die Aufdeckung an sich nicht auch als Erfolg gewertet werden?
Es gibt uneinheitliche Einschätzungen dazu, ob die stärkere Nutzung von Ländersystemen eine „Belohnung“ für verbesserte Systeme ist oder ein wirksames Instrument zur Verbesserung derselben.
Zudem sind solche Bemühungen eingebettet in das politische Umfeld des jeweiligen Landes, und sie werden stark beeinflusst durch generelle politische Bewertungen der Geber, die (naturgemäß?) stark voneinander abweichen können.
Die ausgesprochen positiven Einschätzungen der ersten Kibaki-Jahre (seit 2003) belegen dies, genauso wie ihre Ablösung durch negativere – und in einigen Fällen (USA) ausgesprochen negative – Einschätzungen nach der Krise vom Jahreswechsel 2007-08.
Schwierigkeiten, Hilfe als Druckmittel zu nutzen
Die Erfahrungen mit und nach der Krise vom Jahreswechsel 2007-08 in Kenia illustrieren die Schwierigkeiten, EZ als politisches Druckmittel einzusetzen.
In der Krise selbst zogen alle internationalen Akteure an einem Strang und übten Druck auf die kenianischen Akteure (v.a. die Regierung Kibaki) aus, zu einer Machtteilung zu gelangen. Dies war erfolgreich. Zu diesem Druck gehörten auch Sanktionsdrohungen – „no business as usual“ war die gebräuchliche Formel für eine extrem restriktive und krisenbezogene EZ-Durchführung.
Seit Ende der Krise haben Geber nicht zu einer gemeinsamen Bewertung der politischen Entwicklung Kenias gefunden. Und davon ist auch ihre Bereitschaft zu weiteren Fortschritten in der EZ-Koordinierung abhängig. (Das jüngst erfolgreiche Verfassungsreferendum (August 2010) scheint allerdings zu positiveren Bewertungen zu führen.)
Dieses „no business as usual“ – der Rückzug der Geber von zuvor vereinbarten Positionen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit – stellt sich aus Perspektive der kenianischen Regierung als Inkonsistenz der Geber dar – und gar als „Vertrauensbruch“. Eine „Vorhersehbarkeit“ der EZ war (und ist) nicht mehr gegeben. Diese Erfahrung sitzt tief.
Die zukünftige Strategie der EZ-Koordinierung, und der Bemühungen um bessere Kohärenz, geht in Kenia in Richtung eines „Mutual Accountability Framework“, in dem Indikatoren und Bewertungskriterien besser als in der Vergangenheit gemeinsam definiert werden.
Deutsche EZ in Kenia
Die deutsche EZ in Kenia hat Bemühungen um verbesserte Koordination und Kohärenz konsistent unterstützt; ihre spezielle Stärke liegt im Bereich von Sektorreformen (z.B. Wasser, Gesundheit).
Allerdings bewertet die deutsche EZ in Kenia die Effizienz nationaler Abwicklungs¬mechanismen als unzureichend; Budgethilfe wird bis auf weiteres ausgeschlossen.
Im Rahmen der bestehenden Strukturen der deutschen EZ in Kenia hat es sich als durchaus möglich erwiesen, neue Herausforderungen anzugehen – speziell wenn sie durch das BMZ angestoßen wurden (zum Beispiel den menschenrechtsbasierten Ansatz). Die Integration eines relativ neuen Themas wie dem Klimawandel steht noch am Anfang.
Deutsche EZ in Kenia hat (neben ihren Kernsektoren Wasser, Privatsektor-förderung in der Landwirtschaft sowie Gesundheit) eine deutliche Orientierung in Richtung auf Governance-Reform. So hat die deutsche EZ die Menschenrechtskommission und die Truth, Justice and Reconciliation Commission (TJRC) unterstützt – wichtige Elemente des Reformpakets nach der Krise von 2007-08 – und, wie wir heute wissen, mit einigem politischen Risiko verbunden.
Die Koordinierung in der deutschen EZ kann durch die geplante TZ-Reform verbessert werden. Die Haupt-Koordinierungsaufgabe besteht jedoch nach wie vor zwischen technischer und finanzieller Zusammenarbeit.
Welche Rolle für neue Akteure?
Abschließend ein paar Worte zu den neuen globalen Akteuren, von denen in Kenia allein China eine wichtige entwicklungspolitische Rolle hat.
Chinas Beitrag liegt v.a. im Bereich Finanzierung und Durchführung aufwändiger Infrastrukturprojekte – vor allem im Straßenbau und im Energiesektor. Der finanzielle Beitrag ist erheblich – aus Sicht des kenianischen Budgets liefert China den größten externen Finanzierungsbeitrag nach der Weltbank und der AfDB, noch vor der Europäischen Kommission und Deutschland.
Zugleich bleibt China, wie auch sonst in Afrika, außerhalb der bestehenden institutionellen Mechanismen von OECD/DAC – doch nimmt es begrüßenswerterweise inzwischen an einzelnen Koordinierungsforen teil.
Die kenianische Regierung erhofft sich von China ein gewisses „Ausbalancieren“ der westlichen Geber/„Entwicklungspartner“. Einige – aber nicht viele – kenianische Regierungsvertreter bewerten die Bedingungen der Kooperation mit China – v.a. die Lieferbindung – kritischer. Eine generelle Alternative zur westlichen EZ bildet das chinesische Engagement definitiv nicht.