Die Ergebnisse des Referendums gegen den Bau eines Erdölterminals in Swetly/Gebiet Kaliningrad

Archive
Hier soll das Öl-Terminal entstehen: Kinder an der Hafenanlage von Swetly. Quelle: Russland-Aktuell.

5. Juli 2005
Von Wladimir Sliwjak

Ende Mai 2005 fand das erste Umweltreferendum im Kaliningrader Gebiet statt. Es verwundert nicht, dass ausgerechnet Fragen des Umweltschutzes zum Gegenstand einer allgemeinen Abstimmung wurden. Die Menschen sind der Politik und der bei Wahlen eingesetzten 'Technologien' müde und nehmen in derart großer Zahl wohl nur an einem Referendum zu ökologischen Fragen teil, also zu Fragen, die ihr Leben unmittelbar betreffen.

In der kleinen Stadt Swetly im Kaliningrader Gebiet hatte sich folgende Situation ergeben: Zwei große Firmen beabsichtigen in 100-200 m Entfernung von Wohnhäusern den Bau von Ölverladeanlagen, in einer Gegend, wo heute noch Kinder spielen und sich die Bewohner der Stadt erholen.

Bereits an dieser Stelle sei gesagt, dass sich die Bürger am Referendum in einem Maße beteiligt haben, wie es bei keiner der Wahlen in den letzten 5 Jahren zu beobachten war. Sie stimmten dabei mit überwältigender Mehrheit gegen die Ölfirmen.

Zuvor waren in Swetly zu diesen Projekten öffentliche Anhörungen durchgeführt worden, bei denen sich rund anderthalb Tausend Personen aktiv gegen den Bau aussprachen. Diese Anhörungen wurden in Swetly zu einer Art Mini-Referendum. Die Teilnehmer votierten auf eigens verteilten Stimmzetteln zu 87 % gegen den Bau der Ölterminals. Obwohl die Anhörungen Teil der staatlichen Umweltverträglichkeitsprüfung sind, hatte dieses ablehnende Votum keinerlei Einfluss auf die Entscheidungen des Ministeriums, das die Ölprojekte genehmigte. Wieder einmal war zu beobachten, wie schwach die Gesetzgebung hinsichtlich der Einbeziehung der Öffentlichkeit bei der Umweltverträglichkeitsprüfung ist: Die Bürger haben zwar das Recht, an dem Verfahren der Umweltverträglichkeitsprüfung beteiligt zu sein, doch hat diese Beteiligung keinerlei Auswirkung auf den Ausgang des Verfahrens.

Die Bewohner von Swetly wollten sich mit den Entscheidungen des Ministreriums nicht abfinden und beschlossen, ein Referendum durchzuführen, um die tatsächliche Haltung der gesamten Bevölkerung zu den Ölprojekten zu ermitteln und der lokalen Regierung mit aller Klarheit den Willen der Bürger, die ja diese Regierung gewählt hatten, zu demonstrieren.

Die Vorbereitung

Die Bürgerinitiative zur Vorbereitung des Referendums und die gesellschaftliche Organisation Ecodefense! setzten sich seit September 2004 aktiv für die Durchführung des Referendums ein. Gleichzeitig zogen die Gegner des Referendums zwei Mal vor Gericht, um die Durchführung zu verhindern. Die Richter entschieden jedoch zu Gunsten der Bevölkerung.

Weder die Stadtregierung, noch die Abgeordneten des Stadtrates setzten sich in nennenswerter Weise für das Referendum ein. Die Wahlkommission, deren Aufgabe es war, die Bevölkerung in Kenntnis zu setzen und eine 50-prozentige Wahlbeteiligung zu erreichen, ist ihren gesetzlichen Verpflichtungen praktisch nicht nachgekommen. So waren in den Wahlaufrufen, die die Wahlkommission an die Bürger des Kreises verteilte, nicht einmal die zur Abstimmung stehenden Fragen aufgeführt. Neben diesen Aufrufen veröffentlichte die Kommission lediglich einige kurze Mitteilungen in der örtlichen Zeitung, deren Auflage angesichts der Einwohnerzahl des Kreises hierfür kaum ausreichend ist.

Dies alles wäre nicht so schlimm gewesen, da die Bürgerinitiative und Ecodefense! eine eigene Kampagnie unternahmen, um die Bevölkerung auf ihre Rechte und den Sinn des Referendums aufmerksam zu machen. Doch ging bei den Aktivisten bereits Anfang Mai ein Schreiben der Wahlkommission ein, in dem eine Öffentlichkeitsarbeit dieser Art untersagt wurde, andernfalls drohe die Absage des Referendums. Dieses Verbot entsprang einer falschen Auslegung der Gesetzeslage, doch war es für die Aktivisten zu spät, gegen das Vorgehen der Kommission vor Gericht zu ziehen.

Die Gegner des Referendums riefen zum Boykott der Abstimmung auf, da ihnen klar war, dass sie die Öffentlichkeit von der Umweltverträglichkeit der Ölprojekte nicht würden überzeugen können. Erst nach dem Referendum wurde deutlich, dass die Ölfirmen hierzu 'administrative Ressourcen' angezapft hatten: Militärangehörigen und den Mitarbeitern einiger Betrieb war durch Vorgesetzte in befehlsartiger Form 'empfohlen' worden, nicht am Referendum teilzunehmen. Zudem berichteten Beobachter und die Polizei, dass am Tag der Abstimmung in mehreren Dörfer in der Nähe von Swetly, in denen das Referendum ebenfalls abgehalten wurde, Agitatoren erschienen. Diese waren von den Ölfirmen angeheuert worden und dort versuchten, die Leute zum Wodka einzuladen.

Das Referendum wird nicht anerkannt

Am Sonntag, den 22. Mai 2005 begaben sich rund 60% der Bürger von Swetly in die Stimmlokale. In der Stadt leben etwa 18 000 Menschen, von denen über 10 000 an der Volksabstimmung teilnahmen. 98% stimmten gegen die Ölfirmen.

Die Aktivisten, die als Beobachter in den Stimmlokalen tätig waren, konnten sich noch am Morgen des 22. Mai kaum vorstellen, dass die Beteiligung derart hoch ausfallen würde. Die optimistischsten Prognosen hatten mit 30-40% gerechnet.

Eine so hohe Beteiligung hatte es bei keiner Wahl der letzten Jahre gegeben, die Präsidentenwahlen eingeschlossen. Zum Vergleich: An den Stadtratswahlen beteiligten sich 25%, bei den Bürgermeisterwahlen 38%.

Es ist überraschend, dass es den Umweltaktivisten trotz der Verbote, die Bürger zu informieren, gelang, über 10 000 Menschen zur Teilnahme am Referendum zu bewegen. Wenn man weiß, wie sehr die Leute der verschiedenen Abstimmungen müde sind, und wie enttäuscht von den Methoden der politischen Auseinandersetzung, ist dies ein fast unglaubliches Ergebnis. Um so mehr, wenn man den Einsatz der 'administrativen Ressourcen' zum Boykott des Referendums berücksichtigt.

Fest steht, dass in Swetly die Bevölkerung zu großen Teilen am Referendum teigenommen hat, aber ... das Referendum wurde für ungültig erklärt.

Laut Gesetz muss die Beteiligung mehr als 50% betragen. Auf Grund der – überaus strittigen – Verwaltungsgliederung wurde das Referendum nicht nur in der Stadt Swetly, sondern auch in einigen umliegenden Dörfern durchgeführt. Berücksichtigt werden müssen hierbei – neben dem Umstand, dass in den Dörfern die Probleme von Swetly kaum wahrgenommen werden – auch die besonderen, bereits in der Sowjetzeit traditionell kühlen Beziehungen zwischen Stadt- und Landbevölkerung. Die 'administrativen Ressourcen' wurden vor allem in diesen Dörfern eingesetzt, so dass dort die Beteiligung kaum 20% betrug. So fehlten schließlich – ungeachtet der sehr hohen Beteiligung in der Stadt - 333 Stimmen bzw. 1,5% der Stimmberechtigten, um das Referendum für gültig zu erklären.

Worin bestand nun das entscheidende Moment bei diesen Ereignissen?

Die Wahlkommission hat sich weder der Informierung der Bürger gewidmet, noch den Seeleuten, die auf großer Fahrt waren, eine Stimmabgabe ermöglicht. Andererseits hat sie das Referendum auch in den Dörfern, wo die Bevölkerung an den Problemen der Stadt absolut desinteressiert ist, zur Abstimmung eröffnet. An dieser Stelle muss eine Besonderheit der Region erwähnt werden. Es ist eine Region, in der viele Seeleute leben, von denen sich viele am 22. Mai auf halbjähriger Fahrt befanden. Die Wahlkommission hätte ihnen die Gelegenheit geben müssen, per Funk abzustimmen, was sie jedoch unterließ.

Darüber hinaus studiert ein beträchtlicher Teil der jüngeren Bevölkerung in den russischen Großstädten, ist aber gleichwohl in Swetly gemeldet. Auch diesen Studenten wurde keine Möglichkeit zu Stimmabgabe gegeben, etwa per Post. Wäre die Wahlkommission ihren unmittelbaren gesetzlichen Pflichten nachgekommen – das Referendum wäre gültig gewesen. Offensichtlich lag dies jedoch nicht im Interesse der Regierung. Wäre es um Wahlen gegangen, hätte die Wahlkommission im Schweiße ihres Angesichts alles versucht, um die notwendige Wahlbeteiligung zu erreichen.

Ich habe als Beobachter den Eindruck gewonnen, dass nahezu alle handlungsfähigen Bürger der Stadt Swetly am Referendum teilgenommen haben. Man muss gesehen haben, wie sich die Stadt auf das Referendum vorbereitete, wie die Menschen die anstehenden Fragen auf der Straße und in den Cafés diskutierten. Niemand hätte in dieser Situation das Geschehen ignorieren können. Die 10 000, die am 22. Mai ihre Stimme abgaben, repräsentieren tatsächlich die gesamte Bevölkerung. Oder besser gesagt: fast die gesamte Bevölkerung – bis auf die Seeleute auf großer Fahrt, die auswärts Studierenden und jene 'Unfreien', denen die Vorgesetzten befohlen hatten, nicht am Referendum teil zu nehmen.

Die Folgen

Obwohl das Referendum wegen der fehlenden 333 Stimmen offiziell für ungültig erklärt wurde, enstspann sich bereits am Tage nach der Abstimmung eine radikal veränderte Situation. Zunächst erklärte der Vorsitzende der Wahlkommission des Kaliningrader Gebietes, dass er seit langem keine derart hohe Beteiligung gesehen habe und, dass angesichts der Ergebnisse (10 000 Stimmen gegen die Ölterminals) Behörden wie Investoren darüber nachdenken sollten, ob es sich wirklich lohnt, die Projekte in Swetly weiter zu verfolgen. Am Abend des 23. Mai erklärte der Bürgermeister von Swetly, dass er sich weigern werde, dem Bau der Ölterminals zuzustimmen, und zwar, weil seine „Wähler mit überwältigender Mehrheit dagegen gestimmt haben." Interessant ist hierbei der Umstand, dass in absoluten Zahlen am 22. Mai einige Tausend Bürger mehr gegen die Ölterminals gestimmt haben als der Bürgermeister seinerzeit Stimmen erhalten hatte.

Falls der Bürgermeister Wort hält, sich also praktisch verhalten wird, als wäre das Referendum gültig, dann bedeutete dies für die Stadtoberen einen sehr weisen Schritt und einen mächtigen Anstoß für die Entwicklung der lokalen Demokratie. Denn schließlich ist genau dies Sinn und Zweck eines Referendums: die Meinung der Wählermassen zu erfragen, die ja für die Politiker das richtungsweisende Moment darstellen. Vorausgesetzt natürlich, dass diese ihren Wählern gegenüber verantwortlich sind.

Zum wichtigsten Ergebnis des Referendums in Swetly könnte also weniger ein mögliches Bauverbot für die Ölterminals werden (falls es soweit kommen sollte), sondern vielmehr, dass die Regierung begreift, dass sie die Bürger hören und im Einklang mit deren konsolidierter Meinung handeln muss. Die Bürger von Swetly haben heute die Chance, sich eben diesen einzigartigen Erfolg ihrer langen Protestkampagnie zu sichern. Und wenn das gelingt, wäre dieser fundamentale Schritt in Richtung Demokratie kaum zu überschätzen.


Wladimir Sliwjak
ist Ko-Vorsitzender der Gruppe Ecodefense!, an der Kampagne gegen den Bau der Ölverladeterminals in Swetly beteiligt und war offizieller Beobachter beim Referendum vom 22. Mai.

Dossier

Demokratie in Russland

Demokratie in Russland ist für ein friedliches und demokratisches Europa unabdingbar. Nur ein demokratisches Russland wird ein verlässlicher und berechenbarer Nachbar sein.