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Zur Verurteilung von Michael Chodorkowskij und Platon Lebedew

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1. Juni 2005
Übersetzung: Jens Siegert

Das Urteil gegen Michail Chodorkowskij und Platon Lebedew ist gesprochen. Das Urteil ist demonstrativ hart, ignoriert ausdrücklich alle rechtlichen Argumente der Verteidigung, bestätigt dadurch den politischen Charakter des „Falls JuKOS" und legt so die ganze Tiefe der politischen Krise frei, in der sich Russland befindet.

Dieses Urteil bedeutet mehr als nur das Ende eines lauten Strafprozesses. Jeder, der den Prozess Chodorkowskij-Lebedew verfolgt hat, versteht, dass die Entscheidung über das Urteil hinter den Mauern des Kremls getroffen wurde und nicht im Gericht. Das versucht eigentlich auch niemand so richtig zu verbergen. Allerdings ist jedem vernünftigen Menschen auch noch etwas anderes klar: Das Urteil demonstriert die Angst der politischen Führung des Landes vor seinen aktiven Bürgern mit einer unabhängigen, von der „Linie der Machthaber" abweichenden Meinung zur Zukunft Russlands. Die Machthaber vermögen mit ihren Kritikern nach wie vor nur von einer Position der Stärke aus zu sprechen.

Das Urteil hat im Land endgültig ein System doppelter Standards etabliert. Aus dem Mund des ersten Menschen im Staat ertönen Worte über Demokratie, Rechtsstaat und Zivilgesellschaft – und gleichzeitig spüren Gesellschaft und Wirtschaft einen immer stärker werdenden Druck von Seiten einer korrumpierten Bürokratie insgesamt und von ihrer „Kampfabteilung", den Justiz-, Polizei- und Geheimdienstorganen der Russischen Föderation. In erster Linie diese Kräfte machen das politische und wirtschaftliche Klima im Land. Heute wurden die letzten Zweifel daran zerstreut.

Die Entscheidung des Meschtschanskij-Gerichts wird langfristige Folgen haben, die jetzt noch schwer abzusehen sind. Aber die kurzfristigen Folgen sind bereits offensichtlich. Ein solches Urteil sagt den Bürgern Russlands, der Weltgemeinschaft und potenziellen Investoren in die russische Wirtschaft mehr als Dutzende schöner Reden von Beamten egal welchen Ranges, den Präsidenten eingeschlossen.

Eine Staatsmacht, die, welcher Rhetorik sie sich dabei auch immer bedient, einen Kurs der Unterdrückung kleinsten Aufflammens unabhängiger politischer und gesellschaftlicher Aktivität einschlägt, stößt die Institute der Zivilgesellschaft und die Bürger selbst von sich ab und erzeugt damit selbst jene oppositionelle Stimmung, die sich so fürchtet.

Wenn die Präsidentenadministration und die Regierung wirklich eine Verantwortung für die Zukunft des Landes verspüren, dann müssen sie über die möglichen Folgen des Urteils gegen Michail Chodorkowskij und Platon Lebedew nachdenken.

Was die Verurteilten selbst anbelangt, so hat das Urteil des Meschtschanskij-Gerichts ihre Namen in die politische Geschichte des neuen Russland geschrieben. Von nun an muss die Staatsmacht damit rechnen.

Eine demokratische Entwicklung des Landes ist mit solch einer Justiz, mit der außerrechtlichen Umverteilung von Eigentum, der Unterdrückung der Redefreiheit, der „gelenkten Demokratie" und einem ausgehöhlten Parlamentarismus nicht vereinbar. Wir sind davon überzeugt, dass Russland ein prinzipiell anderes Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft braucht. Wir sind davon überzeugt, dass die Zukunft Russlands davon abhängt, ob die Gesellschaft eine aktive, zivilgesellschaftliche Position einnimmt oder ob sie es zulässt, von politischen Kräften manipuliert zu werden, die sich in allen Aspekten kompromittiert haben.

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