Die Festnahme und Untersuchungshaft von Michail Chodorkowskij – Vorsitzender der Stiftung „Offenes Russland", ehemaliger Chef und Mitinhaber des Konzerns JuKOS – sind Ereignisse, die über die Grenzen eines juristischen Konflikts hinausgehen und zu einem Faktor der russischen Innen- und Außenpolitik geworden sind. Das zeigt sich auf an der Spaltung zwischen der öffentlichen Meinung in Russland auf der einen und der verschärften Aufmerksamkeit dem Fall Chodorkowskij gegenüber durch Politiker, Geschäftsleute und Menschenrechtler im Ausland auf der anderen Seite. In diesem Zusammenhang ist es für uns unmöglich, einer Sache keine Aufmerksamkeit zu schenken, die bei vielen Menschen in Russland und jenseits seiner Grenzen begründete Besorgnis hervorruft.
Heute gibt es völlig gegensätzliche Meinungen über die Figur Michail Chodorkowskij, über seine Handlungen und über die Umstände, die zu seiner Festnahme geführt haben.
Die Polizei- und Justizbehörden beschuldigen ihn, Wirtschafts- und Steuergesetze verletzt zu haben. Gleichzeitig unterstreichen viele Menschen, dass diese Anschuldigungen politisch motiviert seien.
Unsere grundsätzliche Position besteht darin, dass, welche politischen Umstände auch immer angeführt werden, Michail Chodorkowskij, wie jeder andere Bürger auch, nicht von seiner Verantwortung vor dem Gesetz befreit werden kann. Genauso gibt es aber auch keine wie auch immer gearteten staatlichen Interessen, die es rechtfertigen würden, gegen politische Gegner unter Missbrauch der Justiz vorzugehen.
Weil der Fall Chodorkowskij bereits solch große Aufmerksamkeit auf sich gezogen und so ernste Meinungsverschiedenheiten hervorgerufen hat, ist jede Ungerechtigkeit bei seiner Verhandlung vor Gericht dazu geeignet, die innenpolitische Situation in Russland zu verschärfen und Russlands internationalem Ruf ernsten Schaden zuzufügen.
In einer Situation, in der der Verdacht nicht zerstreut ist, dass ein juristischer Konflikt als Schirm für politische Auseinandersetzungen dient und Gesetze selektiv und nicht objektiv angewandt werden, gibt es nur einen gerechten Ausweg: Der wegen Verstößen gegen Wirtschafts- und Steuergesetze Angeklagte muss aus der Haft entlassen werden und anschließend müssen die Anschuldigungen in einem offenen und öffentlichen Gerichtsverfahren verhandelt werden.
UnterzeichnerInnen:
- Lija Achedschakowa (Schauspielerin)
- Oleg Basilaschwili (Schauspieler)
- Michail Gasparow (Philologe, Mitglied der Akademie der Wissenschaften)
- Witalij Ginsburg (Physiker, Nobelpreisträger 2003)
- Danil Granin (Schriftsteller)
- Fasil Iskander (Schriftsteller)
- Sergej Jurskij (Schauspieler)
- Alexander Jakowlew (Vorsitzender der Rehabilitierungskommission beim Präsidenten der Russischen Föderation)
- Andrej Petrow (Komponist)
- Jurij Ryschow (Ingenieur, Mitglied der Akademie der Wissenschaften)
- Boris Strugazkij (Schriftsteller)
- Ljudmila Ulizkaja (Schriftstellerin)