Übersetzung: Jens Siegert
In diesen Tagen der Trauer über die Opfer der Tragödie von Beslan trauern wir zusammen mit den Verwandten und Angehörigen der Umgekommenen, zusammen mit allen Bürgern Russlands. Es gibt keine Worte, die unseren Schmerz und unsere Wut ausdrücken könnten. Durch die Serie von Terroranschlägen Ende August-Anfang September starben Hunderte von Menschen. Der Mord an Zivilisten, umso mehr der Mord an Kindern kann und darf niemals gerechtfertigt werden.
Während wir die Verstorbenen beweinen und mit ihren Familien mitleiden, fordern wir von der Staatsmacht, endlich reale Schritte zum Schutz der Einwohner Russlands vor dem Terrorismus zu unternehmen.
In seiner Erklärung vom 4. September hat Präsident Putin erklärt, dass prinzipiell neue Zugänge zur Arbeit der Sicherheitsorgane notwendig seien. Wir sind der Meinung, dass die Ausarbeitung dieser Zugänge und ihre Umsetzung für die Öffentlichkeit möglichst transparent gestaltet werden muss. Unter anderem halten wir es für notwendig eine Parlamentskommission zur Untersuchung der Vorgänge in Beslan einzurichten und ihre Ergebnisse unbedingt zu veröffentlichen. Das Land braucht nicht die nächste Versetzung von Beamten, sondern eine ernsthafte Reform der Sicherheitsorgane, die gegenwärtig nicht in der Lage sind, das Recht der Bürger auf Leben zu schützen.
Die Ausarbeitung einer nationalen Antiterror-Politik bedeutet in erster Linie eine breite und offene gesellschaftliche Diskussion und genaue gesellschaftliche Kontrolle. In diesem Zusammenhang begrüßen wir die von Präsident Putin geäußerte Entschlossenheit, den Rahmen der russischen Verfassung nicht zu verlassen. Nur die Beachtung der demokratischen Prinzipien und der fundamentalen Menschenrechte, auf denen unser Grundgesetz fußt, werden unseren Sieg über den Terror möglich machen.
Aber die Reform der Sicherheitsorgane und stärkere Sicherheitsmaßnahmen reichen nicht aus. Es ist an der Zeit die Verbingung zwischen dem Anwachsen des Terrorismus und der Situation in Tschetschenien und in den benachbarten Gebieten anzuerkennen. Nur wenn die Sicherheitsorgane sich in Zukunft an Recht und Gesetz halten und diejenigen, wer auch immer sie seien, zur Verantwortung gezogen werden, die schwerste Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung begangen haben, und nur wenn wirklich und nicht nur zum Schein die politische und wirtschaftliche Lage in Tschetschenien normalisiert wird, nur dann wird es möglich sein, die Basis des Terrors zu verkleinern.
Gegenwärtig ist es sehr wichtig, dass sich Staat und Gesellschaft nicht provozieren und zu einfachen Antworten auf schwierige Fragen hinreißen lassen, indem sie den Terrorismus als interethnische oder interreligiöse Konfrontation interpretieren. Solch eine Interpretation spaltet die Gesellschaft nicht nur moralisch und führt zu Verletzungen der Bürgerrechte und zu neuen Gewaltausbrüchen, sondern vervielfacht reale Konflikte und verringert die Effektivität des Kampfs gegen den Terrorismus.
Das in seinem Zynismus und seiner Grausamkeit beispiellose Verbrechen der Terroristen in Beslan ist ein mehr als ausreichender Grund, eine wirklich effektive Antiterror-Politik zu formulieren und zu realisieren, eine Politik, die in der Lage ist das fundamentalste Menschenrecht zu schützen, das Recht auf Leben.
UnterzeichnerInnen:
- Andrej Blinuschow (Memorial Rjasan)
- Alexander Werchowskij (Analytisches Informationszentrum „Sowa")
- Jurij Dschibladse, Anna Sewortjan (Zentrum zur Entwicklung von Demokratie und Menschenrechten)
- Tatjana Lokschina, Sergej Lukaschewskij (Zentrum „Demos")
- Natalja Samower, Historikerin
- Julia Sereda (Russische Geschichts- und Menschenrechtszeitschrift „Karat")
- Natalja Taubina (Stiftung „Für Zivilgesellschaft")
- Arsenij Roginskij, Alexander Daniel, Oleg Orlow, Alexander Tscherkassow (Memorial)
Diese Erklärung steht auf der Website „Menschenrechte in Russland" (http://www.hro.org/) und wurde bis zum 7.9., 19 Uhr Moskauer Zeit von 35 weiteren Personen unterzeichnet. Sie steht für weitere UnterzeichnerInnen offen.