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Diary of Change: ein Tagebuch zum Wechsel in Washington

Ralf Fücks

Und jedem Anfang liegt ein Zauber inne…

19. Januar 2009
Von Ralf Fücks
Von Ralf Fücks

Selten hat ein amerikanischer Präsident sein Amt inmitten solcher Turbulenzen angetreten. Und selten wurde er von einem solchen Übermaß an Hoffnungen und Erwartungen begleitet.

Barack Hussein Obama übernimmt das mächtigste Amt der Welt in einer der schwierigsten Stunden Amerikas. Nicht genug damit, dass das Land inmitten einer schweren Wirtschaftskrise steckt, die sich von Wall Street um die Welt ausgebreitet hat. Auch die ebenso riskanten wie kostspieligen Kriege im Irak und in Afghanistan sind eine schwere Bürde. Mehr noch: Obama übernimmt die Macht in einem Moment, da die politische und moralische Autorität Amerikas auf einem Tiefpunkt ist. Acht Jahre George W. Bush haben das demokratische Amerika korrumpiert, gespalten und isoliert. Aus dem Leuchtturm der Freiheit ist ein Land geworden, das mit Folter, Manipulation, Missachtung des Völkerrechts und Arroganz gegenüber dem Rest der Welt identifiziert wird. Auch wenn das längst nicht die ganze Wahrheit über Amerika ist, liegt hier die größte Herausforderung für den neuen Präsidenten: die Glaubwürdigkeit der USA als demokratische Vormacht wieder herzustellen.

Die Glaubwürdigkeit der USA wieder herstellen

Weil Bush die Maßstäbe so tief gelegt hat, wird Obama schon durch einen veränderten Ton, einen veränderten Stil viel Boden gutmachen können. Allein die Bereitschaft, zuzuhören und auf andere zuzugehen, statt sie bei jeder Gelegenheit vor den Kopf zu stoßen, wird das politische Klima verändern. Auch wird ihm helfen, dass er nach Herkunft und Werdegang nicht das etablierte, weiße, mächtige Amerika verkörpert. In dem märchenhaften Aufstieg des Sohns einer Amerikanerin und eines Kenianers scheint ein anderes Amerika auf: ein Land der grenzenlosen Möglichkeiten, in dem sich Menschen aus aller Welt wieder erkennen können. Der erste afroamerikanische Präsident in der Geschichte der USA hat die Chance, in allen Kontinenten und Kulturen Gehör zu finden, wenn er die Beziehungen Amerikas zur Welt neu definiert.

Die innen- und außenpolitischen Herausforderungen, vor denen er und sein Team aus Hochkarätern steht, sind gewaltig. Wie erfolgreich die neue Administration sein wird, ist über Amerika hinaus bedeutsam. Denn auch wenn die USA wirtschaftlich und politisch an Gewicht verloren haben und sich künftig mit neuen Mächten arrangieren müssen, bleiben sie doch die „indispensable power“. Ohne sie geht wenig bis nichts, weder im Nahen Osten noch bei der Neuordnung der Finanzmärkte oder der internationalen Klimapolitik.

Obamas hochkarätiges Team

Der Kreis von Frauen und Männern, mit denen sich Obama umgibt, lässt hoffen: von seiner Ex-Rivalin Hillary Clinton bis zum Physik-Nobelpreisträger Steven Chu. Es ist eine Mischung aus erfahrenen politischen Schwergewichten, Quereinsteigern und jungen Talenten, brillante Köpfe allesamt. Mit Carol M. Browner als Koordinatorin für Klima- und Energiepolitik, Lisa P. Jackson als Chefin der Nationalen Umweltagentur, Steven Chu als Energieminister und dem neuen Agrarminister Tom Vilsack steht ein viel versprechendes Quartett am Start, um die USA vom Bremser zu einem Vorreiter in der Umweltpolitik zu machen. Aus der Verknüpfung von erneuerbaren Energien, „grünen Jobs“ und einem Zugewinn an nationaler Sicherheit könnte ein Erfolgsmodell entstehen, das über Amerika hinaus ausstrahlt.
 
Auch für Europa hängt viel davon ab, wie sich die Dinge in Amerika entwickeln. Die USA sind immer noch - und auf lange Sicht - unser wichtigster Partner. Mit niemandem sind ökonomische Verflechtung und kultureller Austausch enger. Nach wie vor hängt die Sicherheit Europas maßgeblich am militärischen Bündnis mit den Vereinigten Staaten. Und in vielen weltpolitischen Fragen kann Europa nur gemeinsam mit den USA erfolgreich handeln. Deshalb kommt es entscheidend darauf an, dass die transatlantischen Beziehungen nach Jahren der Entfremdung jetzt wieder einen neuen, frischen Impuls erhalten - nicht nur in Washington, sondern auch in den europäischen Hauptstädten.

Frische Impulse auch aus Europa nötig

Für die Heinrich-Böll-Stiftung ist der transatlantische Dialog ein zentrales Element unserer Arbeit. Wir haben über die Jahre hinweg ein enges Netz von Gesprächskontakten und Kooperationen geknüpft, und unser Büro in Washington ist zu einem Anlaufpunkt für Partner aus aller Welt geworden. Es lag deshalb nahe, den Amts- und Politikwechsel in Washington aus der Nähe zu beobachten und zu kommentieren. Wir haben dafür eine vielfältige Gruppe von Autorinnen und Autoren gewonnen, Deutsche und Amerikaner mit unterschiedlichem professionellen und politischen Hintergrund. Sie werden jeweils für mehrere Tage vor Ort beobachten und berichten, wie sich der lang erwartete Wandel vollzieht, welche politischen Weichen schon in den ersten Wochen gestellt werden und welchen Stil der neue Präsident und sein Team praktizieren. Wir erhoffen uns davon Einblicke und Anregungen, die über den Tag hinaus wirksam bleiben.

Ralf Fücks
Vorstand Heinrich-Böll-Stiftung

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.