Michael Werz im Gespräch mit Gary Schmitt
Die Vorgeschichte der Neokonservativen reicht dreißig Jahre zurück. Damals wurde das Committee on Present Danger in dem Glauben gegründet, die USA stünden kurz davor, von der UdSSR militärisch überflügelt zu werden. Seine Mitglieder setzten sich für hohe Militärausgaben ein, hintertrieben Rüstungskontrolle und ließen sich für den Fundamentalismus israelischer Siedler begeistern. Als 1981 Ronald Reagan Präsident wurde, begann der neokonservative Marsch durch die Institutionen. Zu Beginn der Amtszeit von George W. Bush waren viele von ihnen im Umfeld des Weißen Hauses angekommen, und nach den Anschlägen des 11. September gelang es ihnen, politische Positionen durchzusetzen, für die es unter anderen Bedingungen kaum Mehrheiten gegeben hätte.
Zum Kern der Gruppe gehörten unter anderen Paul Wolfowitz, Richard Perle, John Bolton (Undersecretary of State for Arms Control and International Security), Douglas Feith (Undersecretary of Defense for Policy), der ehemalige CIA-Chef James Woolsey und der Präsident des Center for Security Policy, Frank Gaffney. George Bush senior und seine Gefolgsleute, die Generation der abwägenden Garanten des Status Quo, versuchten das wichtigste und zugleich riskanteste Projekt der „NeoCons“ zu unterlaufen: den militärisch erzwungenen Regierungswechsel in Bagdad. Mitte August 2002 schrieb der ehemalige Sicherheitsberater von Bush senior, Brent Scowcroft, einen inzwischen legendären Beitrag für das Wall Street Journal unter der Überschrift Don't Attack Saddam.
Bedeutende publizistische Vertreter der NeoCons waren und sind Bill Kristol, Chefredakteur des Weekly Standard, Robert Kagan, Autor des viel diskutierten Beitrages Power and Weakness in der Zeitschrift Policy Review und Gary Schmitt, der führende Kopf der neokonservativen Denkfabrik Project for a New American Century (heute arbeitet er am American Enterprise Institute).
Michael Werz: Barack Obama hat sich in seiner Antrittsrede immer wieder auf Abraham Lincoln bezogen. Es folgten Passagen, in denen er entschieden für die außenpolitischen Interessen der USA eintrat. Die vielleicht wichtigste davon lautete: „Denjenigen, die versuchen, ihre Sache durchzusetzen, indem sie Terror in die Welt bringen und Unschuldige massakrieren, sagen wir: Unser Wille ist stärker und kann nicht gebrochen werden. Ihr werdet uns nicht überdauern, denn wir werden euch besiegen.“ Diese starken Worte schienen seiner Rede davon, auf Verständigung zu setzen und die USA zum „Freund der Welt“ zu machen, zu widersprechen. Wie sind diese Widersprüche zu verstehen?
Gary Schmitt: Ich hatte von Anfang an den Eindruck, dass die Erwartung, Obama sei in diesen Fragen weniger hart, irreführend ist. Es gibt Reden von ihm vom vergangenen Frühjahr, in denen er durchaus über Präventivschläge und militärische Instrumente in der Außenpolitik gesprochen hat. Die Vorstellung, er werde hier eine dramatische Kehrtwende zur Politik der Regierung Bush vollziehen, ist vermutlich falsch. Wie viele Rechtsanwälte denkt Obama wahrscheinlich, er könne gegenüber Ländern und Gruppen, die sich von der US-Politik bisher eher abgestoßen fühlten, eine Balance finden zwischen Kompromisslosigkeit und Offenheit. Der Teufel liegt hier jedoch im Detail. Seine Politik wird wahrscheinlich letztlich nicht dem entsprechen, was seine Unterstützer erwarten. Aber er ist davon überzeugt, dass er Veränderungen durchsetzen kann, die die internationale Unterstützung für die Vereinigten Staaten verbreitern und nicht verringern.
Hillary Clinton ist Außenministerin. Wie wird sich ihre Amtszeit von der ihrer Vorgängerin Condoleezza Rice unterscheiden? Und wie belastbar wird die Beziehung zu Barack Obama sein, wenn schwierige außenpolitische Entscheidungen anstehen?
Hillary Clintons Amtszeit im State Department wird sich von der von Condoleezza Rice unterscheiden – wahrscheinlich, weil sie sachlicher an die Dinge herangehen wird als Rice…
In welcher Hinsicht?
Rice hatte ganz bestimmte Erwartungen hinsichtlich des Friedensprozesses im Mittleren Osten, des Konflikts mit Nordkorea und gegenüber dem Iran - Erwartungen, die weniger pragmatisch sind als das, was Hillary Clinton sich vorstellt. Condoleezza Rice steckte so sehr in ihrer Arbeit, dass sie zuweilen darüber hinweggesehen hat, wenn Dinge nicht funktionierten. Hillary Clinton ist da pragmatischer; das ist zumindest der Eindruck, den sie als Senatorin hinterlassen hat. Sie war keine traditionelle linke New Yorker Politikerin. Im Verteidigungsausschuss des Senats etwa hat sie viele Konservative positiv überrascht.
Natürlich wird es unter Clinton Versuche geben, mit Ländern ins Gespräch zu kommen. Aber auch Condoleezza Rice hat diplomatische Mittel sehr viel aggressiver eingesetzt, als man es ihr zugestand - wenn sich auch viele dieser Bestrebungen nicht ausgezahlt haben. Hillary Clinton wird Barack Obamas außenpolitische Prioritäten umsetzen, aber, wenn die Zeit dazu gekommen ist, wird sie eine pragmatischere Kosten-Nutzen-Analyse vornehmen als Rice.
Was ihr Verhältnis zu Barack Obama angeht, so ist es nicht so schlecht wie viele denken und nicht so gut wie viele hoffen. Viel schwieriger ist, dass die neuen Sondergesandten und viele leitende Regierungsmitglieder selbst politische Akzente setzen wollen. Die drängendste Frage ist, wie dieser Prozess organisiert und bewerkstelligt werden kann. Das außenpolitische Team verfügt über eine Menge Erfahrung, aber diese politischen Schwergewichte erwarten auch viel. Es ist noch nicht abzusehen, ob unter diesen Voraussetzungen effiziente politische Entscheidungsprozesse möglich sein werden.
In Washington wird viel über den Palästinakonflikt gesprochen. Viele sagen, eine umfassende Lösung in der Region unter Einbeziehung Irans sei die einzige Option. Kann man davon ausgehen, dass die neue Regierung direkten oder indirekten Kontakt zu Akteuren in der Region suchen wird, die bisher tabu waren? Und falls das geschieht: Würde das neue Möglichkeiten eröffnen oder eher nicht?
Jeder dieser Fälle unterscheidet sich ein wenig von den anderen, und man muss sie entsprechend beurteilen. Was den Iran angeht bin ich immer skeptisch gewesen, dass sich dort eine große Übereinkunft erreichen lässt; der Iran ließe sich darauf nur unter der Voraussetzung ein, dass seine dominante Rolle in der Golfregion anerkannt wird. Das aber werden weder die Vereinigen Staaten noch die westlichen Verbündeten akzeptieren, und darum ist eine Lösung schwer vorstellbar.
Das viel unmittelbarere Problem dabei, auf Teheran zuzugehen, ist jedoch die Zeit, die Diplomatie in Anspruch nimmt. Da die Frist bis zu dem Punkt, an dem Iran nuklear bewaffnet ist, immer kürzer wird, könnte die Zeit für diplomatische Bemühungen nicht ausreichen. Angesichts dieser konkurrierenden Zeitlinien ist die Erwartung, ein Durchbruch könne erzielt werden, problematisch; dies kann überhaupt nur unter großen Schwierigkeiten erreicht werden – vielleicht ist es aber auch unmöglich.
Ich bin seit 1981 in Washington, und mit Blick auf Syrien hat seither so ziemlich jede Regierung gedacht, nun sei der Zeitpunkt gekommen, das Land aus dem Dunstkreis unserer Gegenspieler herauszulösen. Das Regime hat immer wieder gelockt aber nie geliefert. Das hängt vor allem damit zusammen, dass seine Legitimität zu einem Gutteil darauf beruht, sich im Kriegszustand zu befinden. Assads Vater schien bereit, sich von der alten Allianz zu entfernen, kappte aber letztlich nie die Rettungsleine zur Sowjetunion oder später zum Iran. Natürlich wäre es ein großer Erfolg, wenn die Vereinigten Staaten oder jemand anderes dies schaffte. Aber auch die französische Initiative der vergangenen Woche hat wenig Substanzielles erreicht.
Sie haben als Chef des „Project for a New American Century“ über Jahre im Zentrum der so genannten neokonservativen Debatten gestanden und sich auf die ein oder andere Weise unter anderem für Demokratieförderung stark gemacht. Ist dieses politische Vermächtnis nun Geschichte, oder gibt es mit der neuen Regierung eine Zukunft für solche Diskussionen?
Diese Tradition existiert ja auch innerhalb der demokratischen Partei. Man hat natürlich die Unterschiede zu George W. Bush betont, aber diese Prinzipien, nennt man sie nun neokonservativ oder Wilsonian [nach Präsident Woodrow Wilson], standen seit dem Zweiten Weltkrieg im Zentrum US-amerikanischer Außenpolitik. Viele Zuschreibungen sind auch übertrieben. 99 Prozent der Demokratieförderung wird auf eine Art und Weise praktiziert, mit der die Europäer einverstanden sind. Hinter der Fassade von Bush verbarg sich oft eine andere Praxis.
Wie werden sich die verbliebenen NeoCons, deren unmittelbarer Einfluss ja schon seit einigen Jahren nachgelassen hat, nun verhalten?
Die meisten von uns sind bereit, der Regierung Obama einen Vertrauensvorschuss zu geben - wenn sie die Politik verfolgt, die wir für die USA und unsere Verbündeten für richtig halten. Wir werden sehen, wohin das führt. Es wird sicherlich ein Punkt kommen, an dem Differenzen auftreten. Aber das war - zumindest was mich und Bob Kagan angeht - auch bei den Regierungen von Clinton und Bush nicht anders. Man muss sich ansehen, wie sich die Dinge entwickeln. Es wird Situationen geben, in denen wir die Regierung unterstützen und andere, in denen das nicht der Fall sein wird.
Welche Themen sind das?
Ich möchte ungern im Voraus urteilen. Konservative sollten nicht behaupten, sie hätten das richtige politische Programm für sich gepachtet. Die Menschen haben für Barack Obama gestimmt und auch für eine demokratische Mehrheit im Kongress. Das gibt der Politik der neuen Regierung Legitimität. Es hängt von den Inhalten ab. Viele Konservative waren gegen die Kürzungen, die die erste Regierung Clinton im Militäretat vorgenommen hat. Aber später gab es auch Unterstützung für die Intervention in Bosnien. Konservative - ob neo- oder nicht - tun sich keinen Gefallen, wenn sie den Eindruck erwecken, sie würden von Anfang an die Regierung Obama bekriegen.
Michael Werz ist Transatlantic Fellow des German Marshall Fund of the United States und Adjunct Professor am BMW Center for German and European Studies an der Universität von Georgetown in Washington DC.
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