Die tschechische EU-Ratspräsidentschaft: Europa im Einklang?

Eva van de Rakt

27. Januar 2009
Eva van de Rakt
Von Eva van de Rakt

Prag, Januar 2009

Selten war sich die europäische Öffentlichkeit so unsicher, ob ein Mitgliedstaat die mit der EU-Ratspräsidentschaft verbundenen Herausforderungen meistern kann. Befürchtet werden vor allem Provokationen des umstrittenen tschechischen Präsidenten Václav Klaus: Der EU-Skeptiker ist bekannt für seine These, dass der menschenverursachte Klimawandel nicht existiert und spricht sich gegen die Vertiefung der Europäischen Union aus. Doch seine Rolle innerhalb der tschechischen und derzeit auch europäischen Außenpolitik wird überschätzt. Es mag ihn freuen, dass ihm im Vorfeld der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft von den internationalen Medien ein hohes Maß an Aufmerksamkeit zuteil wurde. Einfluss auf die Prioritäten und die Gestaltung der politischen Agenda der Ratspräsidentschaft hat der tschechische Präsident allerdings kaum.

Sicherlich wird Václav Klaus in den nächsten Monaten für einige Verwirrung sorgen: Der Präsident wurde 2008 für seine zweite und letzte Amtszeit gewählt und muss nicht befürchten, dass sein eigensinniges Auftreten im In- und Ausland politische Konsequenzen für ihn haben könnte. Befremdlich ist, dass der Präsident im Ausland nicht die Meinung der Regierung, sondern seine eigenen Ansichten vertritt. Eigentlich sieht die tschechische Verfassung dieses Dilemma auch nicht vor. Nach ihr bestimmt die Regierung und nicht der Präsident die Außenpolitik des Landes. Klaus vertritt auch nicht die Mehrheit der tschechischen Bevölkerung, wenn er verkündet, durch die EU drohe der Verlust nationaler Souveränität. Umfragen haben gezeigt, dass die Bevölkerung mehrheitlich pro-europäisch eingestellt ist und in der EU-Mitgliedschaft vor allem Vorteile sieht.

Ratspräsidentschaft in Krisenzeiten

Die Ausgestaltung der Politik ist während der EU-Ratspräsidentschaft in erster Linie Aufgabe des Premierministers Mirek Topolánek (ODS), des Vize-Premierministers für Europäische Angelegenheiten Alexandr Vondra (ODS) und des Außenministers Karel Schwarzenberg (parteilos, nominiert von den tschechischen Grünen).

Die Vorbereitung einer Ratspräsidentschaft ist ein langwieriger Prozess. Für die tschechische Regierung war dies besonders kompliziert: Im Juni 2009 finden die Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Das Mandat der Europäischen Kommission unter José Manuel Barroso wird während der tschechischen Ratspräsidentschaft enden. Das bedeutet, dass das Europäische Parlament nur wenige Rechtsakte verabschieden und die Kommission nur vereinzelte Entwürfe für bedeutende politische Initiativen vorlegen wird. Auch innenpolitisch ist die tschechische Regierung nicht zu beneiden: Die Regierungskoalition aus ODS, KDU-ČSL (Christdemokraten) und SZ (Partei der Grünen) ist alles andere als stabil. Mitte Januar gab Mirek Topolánek die lange angekündigten personellen Veränderungen im Kabinett bekannt: Vier Ministerinnen und Minister wurden am 23. Januar ausgewechselt. Zudem hat die Opposition wenig Bereitschaft signalisiert, innenpolitische Konflikte während der Ratspräsidentschaft zurückzustellen. Dabei muss Prag mit Blick auf das Arbeitsprogramm der Ratspräsidentschaft auf unerwartete Ereignisse schnell reagieren können. So übernahm Karel Schwarzenberg nach der Eskalation der Krise im Gazastreifen die Aufgabe, im Nahostkonflikt zu vermitteln. Parallel zu diesem Konflikt verlangte auch der russisch-ukrainische Gasstreit von dem tschechischen Kabinett Flexibilität.

20 Jahre nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs"

Die drei Prioritäten der tschechischen Ratspräsidentschaft wurden offiziell am 6. Januar bekannt gegeben: Wirtschaft, Energie und Die Europäische Union in der Welt. Das Motto lautet „Europa ohne Barrieren“, das heißt, die tschechische Regierung möchte sich für ein Europa ohne wirtschaftliche und kulturelle Barrieren einsetzen. Historisch bezieht sich die Regierung auf zwei Meilensteine des europäischen Einigungsprozesses: Tschechien übernimmt die Ratspräsidentschaft 20 Jahre nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ und fünf Jahre nach der EU-Osterweiterung.

An erster Stelle des Arbeitsprogramms der Ratspräsidentschaft werden die Verhandlungen über die Zukunft des Vertrags von Lissabon genannt. Der Vertrag wurde in Tschechien selbst noch nicht ratifiziert. Die West-Balkan-Politik im Kontext der EU-Erweiterung ist während der Ratspräsidentschaft ebenfalls von zentraler Bedeutung.

Zu den außenpolitischen Schwerpunkten der Ratspräsidentschaft gehören die östliche Dimension der Europäischen Nachbarschaftspolitik, die EU-Russland-Beziehungen nach dem russisch-georgischen Konflikt, die transatlantischen Beziehungen unter der neuen US-Regierung sowie die Nahostpolitik der EU. Hinzu kommen die Auswirkungen der globalen Finanzkrise. Im Vorfeld des UN-Weltklimagipfels 2009 in Kopenhagen wird der tschechische Umweltminister Martin Bursík (SZ) bei den Zwischenverhandlungen zu einem Kyoto-Nachfolgeabkommen eine zentrale Rolle spielen.

In Anbetracht der internationalen Krisen und Konflikte, der instabilen Regierungskoalition und im Vorfeld der Wahlen zum Europäischen Parlament ist das Arbeitsprogramm der tschechischen Ratspräsidentschaft sehr ambitioniert.
 
Interessen der Mittel- und Osteuropäer stärker einbringen 

Die EU-Ratspräsidentschaft ist für die Tschechische Republik nicht nur mit Herausforderungen, sondern auch mit der Chance verbunden, innerhalb der EU sichtbarer zu werden sowie eigene politische Akzente zu setzen. Natürlich hat die Tschechische Republik als kleiner Mitgliedstaat und aufgrund der Tatsache, dass sie zum ersten Mal eine Ratspräsidentschaft gestaltet, begrenztere Kapazitäten als die größeren und erfahrenen Mitgliedstaaten. Aber auch als kleines mitteleuropäisches Land hat Tschechien die Möglichkeit, in Zeiten internationaler Krisen und Konflikte wichtige Impulse zu geben. So zeigte Mirek Topolánek im Kontext des russisch-ukrainischen Gasstreits Verhandlungsgeschick und kommunizierte innerhalb der EU die Befürchtungen der mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten, die von einem russischen Lieferstopp besonders betroffen sind. Die tschechische Regierung stellte der Slowakei zur Kompensation des Lieferstopps eigene Gasreserven zur Verfügung.

Das Thema Energiesicherheit ist in Mittel- und Osteuropa besonders aktuell, da die Abhängigkeit von Energieimporten aus Russland sehr hoch ist. Die Slowakei und Bulgarien z.B. sind zu fast 100 Prozent von Gasimporten aus Russland abhängig. Die Diversifizierung von Importen und Energiequellen sowie die Reduzierung der Energieintensität des Wirtschaftssystems nennt die tschechische Regierung als Hauptherausforderungen im Energiesektor. Ein einheitlicher EU-Energiemarkt könne die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten in Krisenzeiten ermöglichen. 

Kunst und Politik: „Entropa“

Für Aufregung sorgte Mitte Januar die Präsentation des Kunstwerks „Entropa“ des tschechischen Künstlers David Černý (siehe Artikel auf welt.de mit Bildergalerie). Diese Installation mit dem Untertitel „Stereotypen sind Barrieren, die beseitigt werden müssen“ wurde von der tschechischen Regierung in Auftrag gegeben und wird bis Ende Juni im Brüsseler Ratsgebäude zu sehen sein. Sie zeigt 27 Länderbausteine: Spanien als betonierte Wüste; Belgien als Pralinenschachtel; Bulgarien als eine Ansammlung von Hocktoiletten; Tschechien als Display mit kontroversen Äußerungen des Präsidenten Václav Klaus; die Niederlande als überflutetes Gebiet, aus dem einige Minarette ragen; Italien als Fußballfeld mit masturbierenden Fußballspielern; Polen als Kartoffelacker mit Priestern, die das Symbol der Homosexuellenbewegung, eine Regenbogenflagge, hissen; Österreich als grüne Wiese mit vier AKW-Kühltürmen; Deutschland als Netz von Autobahnen, das den Betrachter in der Anordnung an ein Hakenkreuz erinnern kann (der Künstler wies darauf hin, dass diese Assoziation nicht beabsichtigt war und distanzierte sich von dieser Interpretation) …

David Černý ist für seine provokativen Werke bekannt. Man musste damit rechnen, dass das in Auftrag gegebene Kunstwerk für Empörung sorgen könnte. Die tschechische Regierung hatte mit dem Künstler vereinbart, dass 27 Künstlerinnen und Künstler das Werk gestalten. David Černý erfand 26 Biografien fiktiver Künstlerinnen und Künstler und gab erst kurz vor der Enthüllung bekannt, dass nur er und seine Mitarbeiter Autoren der Installation sind. Alexandr Vondra betonte während der Präsentation des Kunstwerks, dass es nicht die Sicht der tschechischen Regierung auf die EU oder einzelne Mitgliedstaaten widerspiegele und entschuldigte sich für die Irritationen, für die das Kunstwerk schon vor der Enthüllung sorgte. „Entropa“ sei ein Kunstwerk, nicht mehr und nicht weniger, und die Meinungsfreiheit sei ein grundlegender Wert demokratischer Gesellschaften. Das bulgarische Außenministerium forderte, die Darstellung Bulgariens vom Gesamtkunstwerk zu entfernen, der Länderbaustein wurde daraufhin mit einem schwarzen Tuch verhüllt. Černý erklärte, dass es nicht seine Absicht gewesen sei, jemanden zu beleidigen. „Wir wollten herausfinden, ob Europa über sich selbst lachen kann“, so der Künstler in einem offenen Brief.

Europa im Einklang?

Am 7. Januar besuchte die Europäische Kommission zum Auftakt der Ratspräsidentschaft Prag. Am Abend desselben Tages wurde die Ratspräsidentschaft im Nationaltheater feierlich eröffnet. Der Titel des Galakonzertes hat in der Übersetzung eine doppelte Bedeutung: „Wir versüßen Europa“ sowie „Wir werden Europa in Einklang bringen“. Premierminister Mirek Topolánek betonte, die Tschechische Republik habe aufgrund historischer Erfahrungen gelernt, zuzuhören und Probleme konstruktiv zu lösen. Man kann Europa nur wünschen, dass Ende Juni 2009 der Slogan der Eröffnungsveranstaltung keinen bitteren Nachgeschmack hinterlassen wird.


Eva van de Rakt leitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Prag.