Der „Augenblick O“
Die tschechischen Medien sprachen vom „Tag O“, vom „Augenblick O“ und versuchten damit, die historische Bedeutung des Besuches in Worte zu fassen. Die Ankunft des amerikanischen Präsidenten wurde mit Spannung erwartet. Das tschechische Fernsehen sendete ohne Unterbrechung und analysierte jedes Detail.
Am 5. April hielt Obama die von Mirek Topolánek wochenlang angekündigte „Europa-Rede des Jahres“ und hätte sich dafür keine idyllischere Kulisse wünschen können: Zehntausende überwiegend junge Zuschauerinnen und Zuschauer versammelten sich in den frühen Morgenstunden auf dem Platz vor der Prager Burg. Der Präsident hielt seine Rede über den Dächern von Prag und stand dabei neben der Statue von T.G. Masaryk, dem von 1918 bis 1935 ersten Präsidenten der Tschechoslowakei. Obama ging zu Beginn auf die historische Rolle Tschechiens ein. Er erwähnte die Ereignisse von 1968 und 1989 als wichtige Meilensteile auf dem Weg zu einem friedlichen, vereinten und freien Europa und betonte, dass die Samtene Revolution uns viele Dinge gelehrt habe: Sie habe gezeigt, dass friedlicher Protest eine Weltmacht in den Grundfesten erschüttern und die Leere einer Ideologie entblößen könne. Auch kleine Länder könnten eine ausschlaggebende Rolle in Bezug auf Weltereignisse spielen. Damit eroberte Obama im Sturm die Herzen des Publikums.
Zukunft von Atomwaffen im 21. Jahrhundert
Im Mittelpunkt der Rede stand die „Zukunft von Atomwaffen im 21. Jahrhundert“. Der Kalte Krieg, so Obama, sei überwunden, aber Tausende Atomwaffen seien nicht verschwunden. Er betonte, dass die Gefahr eines Atomkrieges gesunken, das Risiko eines nuklearen Angriffs allerdings gestiegen sei: Mehrere Länder seien im Besitz von Atomwaffen, Atomwaffentests gehörten nicht der Vergangenheit an, und der Schwarzmarkt für nukleares Material wachse. Die USA hätten, als die einzige Weltmacht, die Atomwaffen je eingesetzt habe, die moralische Verantwortung zu handeln. Eine atomwaffenfreie Welt sei möglich. Um die Sprengköpfe und Waffenarsenale zu reduzieren, werden die USA noch in diesem Jahr mit Russland über einen neuen Abrüstungsvertrag für strategische Waffen verhandeln.
Das Denken des Kalten Krieges übwerwinden
Auch wenn die Vision fern sei, so sollte gerade Prag ein Ort sein, der zeige, dass Visionen wahr werden können. Obama machte allerdings deutlich, dass die USA bis zur Realisierung der Vision ein eigenes Atomwaffenarsenal aufrechterhalten werden. Obama äußerte sich auch zum geplanten Raketenabwehrsystem in Mitteleuropa. Die Pläne für ein „kosteneffektives und bewährtes“ Raketenabwehrsystem würden so lange Bestand haben, wie eine Sicherheitsgefahr aus dem Iran drohe. Er glaube - hier unterscheidet sich Obama von seinem Vorgänger - an den Dialog und wolle daher auch einen sicherheitspolitischen Dialog mit dem Iran führen. Damit bleibt die Frage, ob es zu Stationierung des Raketenabwehrsystems in Tschechien kommen wird, weiterhin ungeklärt.
Als weitere wichtige Herausforderungen für die Weltgemeinschaft nannte Obama die globale Wirtschafts- und Klimakrise. Als Obama verkündete, die USA werden die Führungsrolle beim Einstieg in die weltweite Energierevolution übernehmen, bekam er großen Applaus. Die Fernsehkameras zeigten in diesem Augenblick leider nicht den Gesichtsausdruck von Václav Klaus - erfreut wird er wahrscheinlich nicht gewesen sein, musste er doch erkennen, dass er in diesem Bereich weder politische Verbündete noch Rückhalt in der Bevölkerung hat.
EU-Mitglied Türkei?
Beim anschließenden EU-USA-Gipfel standen transatlantische Freundschaft und verstärkte Kooperation im Mittelpunkt. Betont wurden gemeinsame Werte und die Notwendigkeit, internationale Antworten auf die globalen Herausforderungen zu formulieren. Die europäischen Staats- und Regierungschefs signalisierten die Bereitschaft, die USA bei der Auflösung von Guantanamo zu unterstützen. Sie betonten zudem die Wichtigkeit, gemeinsam eine Führungsrolle im internationalen Klimaschutz zu übernehmen. Während die tschechische Regierung sich mit den Ergebnissen des Gipfels sehr zufrieden zeigte, reagierten einige europäische Staats- und Regierungschefs kritisch auf die Forderung Obamas nach einer EU-Mitgliedschaft der Türkei.
Obamas Besuch in Prag war eine angenehme Abwechslung zum tristen tschechischen Politiktheater der letzten Wochen. Die tschechische Bevölkerung sah mit eigenen Augen, dass Politik auch anders sein kann. Man kann nur hoffen, dass etwas von Obamas Glanz und Größe auf die hiesige politische Szene abfärbt. Ein Bruchteil würde schon genügen.
Eva van de Rakt leitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Prag, Anka Dobslaw ist dort Programmkoordinatorin für Energie- und Klimapolitik.