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Rede in West Point: Obama will mehr Truppen nach Afghanistan schicken

Nach seiner Rede über Afghanistan an der US Military Academy in West Point grüßt Präsident Barack Obama Kadetten der US Army. Foto: Pete Souza. Lizenz: United States Government Work.

2. Dezember 2009
Von Klaus Linsenmeier

Lange haben Unterstützer und Gegner der Regierung auf diese Rede (Videos auf whitehouse.gov) warten müssen. Am Dienstag, dem 1. Dezember und abends zur besten Sendezeit, hat Präsident Obama seine künftige Strategie zum weiteren Vorgehen der US-Regierung in Afghanistan verkündet.  In der Bundesrepublik wird die Rede im Vorfeld der Abstimmung im Bundestag über das Afghanistan-Mandat der Bundeswehr die Debatte sicherlich mitbestimmen.

Obama kommt der Bitte des NATO-Kommandeurs General McChristal weitgehend nach, der bereits vor einiger Zeit 40.000 neue Soldaten gefordert hatte. Sicherheitskreise in Washington sagen schon länger, dass die US-Truppe in Afganistan personell unzureichend besetzt ist. Eine vom demokratischen Senator John Kerry in Auftrag gegebene Studie, die Anfang Dezember veröffentlicht wird, macht die mangelnde Personalstärke der Truppe auch dafür verantwortlich, dass Osama bin Laden nicht bereits 2001 gefangen wurde, als ihm US-Truppen beim Grenzübergang zu Pakistan dicht auf den Fersen waren.


Auch andere NATO-Länder sollen Truppen aufstocken

Allerdings ist die US-Regierung nur bereit, 30.000 Soldaten zu schicken. Die übrigen 5 bis 10.000 Soldaten sollen die anderen NATO Mitglieder und Verbündeteten aufbringen. Ohne diese Forderung in seiner Rede ausdrücklich zu nennen, liegt liegt sie nun öffentlich auf dem Verhandlungstisch. Nach der ersten Aufstockung zu Beginn des Jahres um 22.000 Soldaten umfasst das US-Kontingent in Afghanistan dann fast 100.000 Soldaten, doppelt so viele wie zu Zeiten der Regierung von George W. Bush.

Kern der neuen Strategie ist eine durch Truppenaufstockung bewirkte Eskalation des Krieges verbunden mit einem zeitlich offenen, aber dennoch absehbaren militärischen Rückzug der Kampftruppen. Bereits Mitte 2011 soll mit einer schrittweisen Übergabe der Verantwortung an die Afghanen und mit dem Abzug der Truppen begonnen werden. Regional soll die Verstärkung vor allem dazu dienen, die im Grenzgebiet zu Pakistan operierenden Taliban zu vertreiben.

Die Forderung nach Truppenaufstockungen setzt nun die übrigen NATO-Mitglieder unter erheblichen Druck. Im Gegensatz zur Regierung Bush hat die derzeitige Administation die Verbündeten im Vorfeld zur Rede allerdings intensiv unterrichtet. Die Niederlande und Kanada, die lange Zeit der militärischen Strategie der Amerikaner die Treue gehalten haben, diskutieren seit einiger Zeit den Rückzug der eigenen Truppen aus Afghanistan. Die Situation in den anderen europäischen Staaten, allen voran Deutschland und Frankreich, die mit sinkenden Zustimmungsraten zu diesem in zunehmendem Maße unbeliebten Krieg zu kämpfen haben, sieht nicht viel günstiger aus. Einzig Großbritannien und Italien haben bislang signalisiert, gegebenenfalls mehr Truppen zu entsenden. Inzwischen will auch die Kaukasusrepublik Georgien ihr Kontingent aufstocken und könnte so im kommenden Jahr der größte Truppensteller ausserhalb der NATO werden. Unterstützung ist auch von Australien zu erwarten, dessen Premierminister Kevin Rudd sich kommende Woche in Washington aufhält.


Zustimmung für Einsatz nimmt weltweit ab

Auch den USA nimmt die Zustimmung zum Aghanistan-Einsatz kontinuierlich ab. Mehr als die Hälfte der Amerikaner halten den Krieg für nicht erfolgreich. Allerdings ist dies das einzige wichtige Themenfeld, in dem sich Präsident Obama einer Mehrheit der Republikaner sicher sein kann. Diese folgen, wenn es um die nationale Sicherheit geht, auch einem demokratischen Präsidenten. Etwa die Hälfte der Republikaner unterstützt die Truppenaufstockung.

Kritik kommt vor allem aus den eigenen, demokratischen Reihen, wo die Zustimmungsrate zur Intensivierung des Einsatzes inzwischen auf 21% geradezu abgestürzt ist. Die Liste der Kritik ist lang: Die Truppenaufstockung wird die militärischen Kosten auf etwa 70 Mrd Dollar pro Jahr erhöhen, in einer Zeit in der die Arbeitslosenquote bei 10,2% liegt, so hoch wie seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr. Besorgt machen auch die unsicheren Erfolgsaussichten des Einsatzes, bei dem sich viele an die fatalen Entscheidungen von Präsident Johnson erinnert fühlen, der immer mehr Truppen in den aussichtlosen Vietmankrieg geschickt hat. Kurz vor der Rede hat deshalb das Center for American Progress, ein einflussreicher liberaler Think Tank, die Forderungen eines Teils der Demokraten für den Fall einer Truppenaufstockung aufgelistet. Diese finden sich weitgehend auch in der neuen Strategie wieder.


Flexibler und verbindlicher Rückzugsplan

Definiert wird ein flexibler, aber dennoch verbindlicher Zeitplan für den Rückzug der US-Truppen aus Afghanistan. Die Verstärkung der Ausbildung von afghanischer Polizei und Militär sind wesentliche Voraussetzungen für die angestrebte zeitliche Begrenzung des Engagements der Allierten.

Diese Nachricht wird die demokratische Anhängerschaft beruhigen, provoziert aber Fragen nach dem mittelfristigen Engagement der USA in der Region. Insbesondere Pakistan, zu dem die USA in der Vergangenheit eine wechselvolle Beziehung gepflegt haben, wird auf längere Sicht auf amerikanische Unterstützung angewiesen sein. Dem Land wird deshalb eine strategische Partnerschaft angeboten, auch über die Zeit des Afghanistganfelzuges hinaus. Zugleich soll Druck auf Pakistan ausgeübt werden, das eigene Terrorproblem konsequenter anzugehen.

Erhalten werden soll der internationale Charakter des Einsatzes, den die USA nicht alleine bewältigen können. Auch die liberalen Demokraten unterstützen deshalb die Forderung an die Europäer nach einer Aufstockung ihrer Truppen und zivilen Leistungen, fordern aber zugleich eine verstärkte Konsultation und Kooperation mit den Allierten. Diese sind im Vorfeld ausführlich informiert worden. Außenministerin Clinton fliegt am Monatag nach Brüssel zu Beratungen mit den anderen Mitgliedern der NATO. Für die Regierungen, die sich zu einer Truppenverstärkung nicht in der Lage sehen, stellt sich hier die Herausforderung, wie ernsthaft sie ihr ziviles Engagement fortführen und vor allem erweitern können.


Innere Reformen in Afghanistan


Schliesslich macht sich Obama die Forderung seiner liberalen Anhänger zu Eigen, die innere Reformen in Afghanistan selbst und eine Bekämpfung der Korruption fordern. Die US-Regierung hatte lange gebraucht, um die Wiederwahl von Präsident Karzai zu akzeptieren, nach einem Wahlkampf den Beobachter_innen als weder frei noch fair beurteilt hatten. Nachdem die US-Regierung eine Wiederholung der Wahlen durchgesetzt hatte, entging Karzai dem zweiten Urnengang nur dadurch, dass sein Kontrahent auf eine wiederholte Kandidatur verzichtet hatte. Nun hat die US-Regierung eingelenkt: Demonstriert wurde die neuerliche Unterstützung Karzais mit der Teilnahme der amerikanischen Aussenministerin Hillary Clinton an den Feierlichkeiten zur Amtseinführung des alten und neuen Präsidenten.

Der Bekämpfung der Korruption und die Stärkung guter Regierungsführung werden als Ziele erheblich aufgewertet. Weder den amerikanischen Wählern noch der afghanischen Bevölkerung ist ein Krieg zur Unterstützung eines durch Korruption delegitimierten Regimes zu vermitteln. Im Mittelpunkt steht die Beseitigung von sogenannten „warlords“ aus Regierungsämtern. Ansonsten bleibt die Regierung recht vage, wie diese Reformen konkret aussehen und vor allem wie die Forderungen der Alliierten durchgesetzt werden sollen. Die Aussichten auf ein erfolgreiches State- und Nationbuilding werden im politischen Washington wie auch in der Bevölkerung kritisch gesehen. Afghanistan ist inzwischen der größte Empfänger amerikanischer Auslandshilfe. Ohne einschneidende Reformen werden diese Mittel aber auch weiterhin nicht sinnvoll eingesetzt werden können.

Angesichts von Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit ist die Finanzierung des Krieges ein weiterer kritischer Punkt der amerikanischen Afghanistanpolitik. Bei einem Schuldenberg von 12 Trillionen Dollar, wächst die Versuchung, die Finanzierung in Nebenhaushalten zu verstecken. Der kosmetische Trick kann dennoch nicht verhindern, dass der künftigen Generation weitere Schuldenberge aufgelastet werden.

Presse und Think Tanks spekulierten seit Wochen, warum die Entscheidung so lange gedauert hat. Die Gründe mögen in der außenpolitischen Unerfahrenheit des Präsidenten liegen, ebenso wie in der nicht immer optimalen Abtimmung seiner Sicherheitsberater. Hinzu kommt, dass das politische Washington eine der amititoniertesten innenpolitischen Reformagenden abarbeitet. Auffallend ist, dass Obama in einer ganzen Reihe von ebenso ausführlichen wie hochrangigen Beratungen im Weißen Haus, die Entscheidung intensiv vorbereitet hat. Über zwanzig Stunden hat er mit den wichtigsten Sicherheitsberatern an der neuen Strategie gearbeitet. Der Prozess war Teil einer breiteren Diskussion über die künftigen außenpolitischen Prioritäten der Regierung. Dies spricht dafür, dass er diese Entscheidung bewußt nicht an seinen Sicherheitsstab delegiert hat, sondern mit der ganzen Autorität des Präsidentenamtes selbst trägt. Sein unmißverständliches Ziel, den Krieg erfolgreich zu Ende zu führen, kontrastiert bewußt die ihm von Konservativen unterstellte Führungsschwäche in Fragen der nationalen Sicherheit und der Verteidigung amerikanischen Interessen.


Rede in Westpoint


Präsident Obama hat die Rede vor Soldaten der Militärakademie in West Point, der traditionsreichsten Ausbildungsstätte für Amerika’s militärische Elite, gehalten. Sprecher des Weißen Hauses wurden nicht müde zu erläutern, dass dieser Ort gewählt wurde, um das Engagement und die Opfer des Militärs im Irak und in Afghanistan zu würdigen. Am gleichen Ort hat 2002 der ehemalige Präsident Georg W. Bush seine Doktrin des präemtiven Angriffs verkündet, hier hat er 2008 diese Doktrin wiederholt. Obama hat nun die Gelegenheit genutzt, an diesem Ort außenpolitisch neue Akzente zu setzen.

Ausführlich wiederholt hat Präsident Obama die weitgehend bekannten Argumente, warum aus seiner Sicht der Afganistankrieg der richtige ist, der Irakeinsatz dagegen der falsche Krieg war, der unnütz Menschenleben, Ressourcen und Zeit gekostet hat. Der Irakkrieg, so Obama, hat bis zu 165.000 Soldaten gebunden, die für den Einsatz in Afghanistan nicht zur Verfügung standen. Die ersten Passagen der Rede, in der er die Geschichte und Begründung des Afghanistganeinsatzes beschwor, waren geradezu ein Appell an die zweifelnde Basis der Demokraten. Zugleich hat er die Gelegenheit genutzt, die Afghanistan-Strategie in einen größeren Zusammenhang zu seiner Außenpolitik zu stellen. Mit der Orientierung auf Abrüstung, Multilateralismus und der Verteidigung der universellen Werte, versuchte er die Amerikaner auf eine neue Rolle der USA in der Weltpolitik festzulegen.

Ort und Tenor der Rede lassen Elemente der Kontinuität aber auch des Wandels in der amerikanischen Außenpolitik aufscheinen. Die Priorität amerikanischer Sicherheit, gute Regierungsführung und Demokratie spielen eine wichtige Rolle in der Legitimierung des Krieges, auch wenn die Zweifel an der Durchsetzung demokratischer Verhältnisse in Afghanistan zunehmen. Vom Eifer der Durchsetzung der Demokratie mit allen Mitteln, von der die Außenpolitik von Präsident Bush’s zweiter Amtszeit geprägt war, ist nichts mehr zu spüren. Vielmehr mehren sich die Stimmen, die auf eine stärkere Konzentration auf die sicherheitspolitische Pragmatik, also Terrorbekämpfung und Stabilisierung, drängen – zwei Ziele, die in sich genügend Widersprüchlichkeit bergen. Diese Prioritäten ergeben sich allein schon aus dem engen Zeitplan. In jedem Fall setzt die Regierung von Barack Obama auf eine Befriedung und Stabilisierung, verbunden mit verstärkten Aufbauanstrengungen. Die Republikaner werden die militärische Strategie sicher mittragen, die Beschwörung der Einheit der in weiten Teilen gespaltenen amerikanischen Nation werden die Konservativen aber weiterhin ignorieren. Die neue amerikanische Außenpolitik ist dagegen eine eindeutige Einladung an die Europäer. Sie sollten die Chance der Zusammenarbeit nutzen.


Wer hat die Deutungshoheit?


Die Rede, beziehungsweise wesentliche Elemente, die gewollt oder ungewollt vorab durchgesickert sind, wurde in den Medien im Vorfeld bereits breit diskutiert. Auch bei der Nachbereitung überlassen Gegner wie Befürworter der Regierung nichts dem Zufall. Schließlich ist die Bewertung der Rede, die über die wichtigsten Fernsehstationen verbreitet und von allen relevanten Talkrunden begleitet wurde, durch die meinungsmachenden Medien ebenso wichtig wie die Rede selbst. Während andere Think Tanks Briefings schreiben, bloggen oder twittern, haben das liberale Center for Amerian Progress (CAP) und das konservative American Enterprise Institute (AEI) zu Telefonkonferenzschaltungen eingeladen, um die Rede vorab oder unmittelbar im Anschluss zu bewerten. Die Deutungshoheit in Fragen der nationalen Sicherheit ist für jede amerikanische Regierung überlebenswichtig.

Klaus Linsenmeier ist Leiter des Nordamerika-Büros der Heinrich Böll Stiftung in Washington D.C.


Links zum Thema:

Slideshow vom White House Flickr Profil

Quelle: Flickr. Lizenz: United States Government Work. Für Bildinformationen auf das Foto klicken.