Von Sigrid Lukoschus und Bastian Hermisson
Mehr als ein halbes Jahr nach dem Flugzeugabsturz von Smolensk findet sich Polen in erbitterte politische, gesellschafts- und kulturpolitische Konflikte verwickelt, die die politische Klasse spalten und die polnische Gesellschaft polarisieren.
Eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Das Kreuz mit dem Kreuz. Polen am Ende eines stürmischen Jahres“ am 29. November in der Heinrich-Böll-Stiftung führte denn auch zu einem intensiven Meinungsaustausch über die politische und gesellschaftliche Lage im Nachbarland Polen.
Agata Szczesniak (Vorstandsmitglied von Krytyka Polityczna Warschau), Piotr Buras (Deutschland-Korrespondent der Gazeta Wyborcza) und Wolfgang Templin (Leiter des Büros Warschau der Heinrich-Böll-Stiftung) diskutierten das jetzige Parteiensystem, die Politik der Regierung Tusk sowie offene soziale Fragen, die Rolle der katholischen Kirche und den Streit um Symbole.
Einig waren sich die Podiumsteilnehmer/innen in der grundsätzlichen Einschätzung der Parteien: So finde unter den etablierten Parteien in Polen derzeit keine ernsthafte Diskussion der drängenden sozialen, ökonomischen und strukturellen Fragen statt. Die Grüne Bewegung müsse sich erst noch als ernstzunehmende Alternative institutionalisieren, die auch bereit sei, sich als Partei zur Wahl zu stellen. Politisches Engagement finde außerhalb der Parteien in mehr oder weniger losen Zusammenschlüssen statt und äußere sich zunehmend auch in Demonstrationen. In diesem Zusammenhang hat sich die Krytyka Polityczna, die dem linken Spektrum zuzurechnen ist, in den letzten Jahren als politische Plattform einen Namen gemacht. Zunächst als Zeitschrift und Verlag gegründet, um neue kritische Diskurse in der polnischen Öffentlichkeit anzuregen, bietet sie zunehmend eine intellektuelle Basis für alternative Bewegungen in Warschau und in anderen Städten Polens in Form von Debatten, Aktionen, künstlerischen Präsentationen und Projekten.
Die Diskussion in Polen um nationale Symbole, verstärkt durch den tragischen Flugzeugabsturz von Smolensk und den Verlust eines großen Teils der politischen und gesellschaftlichen Elite, habe die Entwicklung in Polen zurückgeworfen. Vor dem Hintergrund einer recht stabilen wirtschaftlichen Entwicklung trotz Wirtschafts- und Eurokrise hätten Projekte zur Modernisierung Polens in der Sozial-, Bildungs- und Kulturpolitik, in der Energie- und Umweltpolitik sowie in der regionalen Strukturpolitik in Gang gesetzt werden müssen. Hier gebe es weiterhin großen Handlungsbedarf. Zu wünschen sei daher – so das Fazit der Podiumsteilnehmer/innen - eine Belebung der Parteienlandschaft im grün-linken Spektrum, die es schaffen könnte, progressive Bewegungen in reale Politik zu übersetzen.