Am 15. Juni 2005 stimmte der Bundestag dem Antrag „Deutschland muss zur Versöhung zwischen Türken und Armeniern beitragen“ einstimmig zu.
Mit dieser Entschließung bekannte sich der deutsche Bundestag zur „unrühmlichen Rolle“ des Deutschen Reiches an „den Taten der jungtürkischen Regierung des Osmanischen Reiches, die zur fast vollständigen Vernichtung der Armenier in Anatolien geführt haben“.
Weiter heißt es: „Auch Deutschland, das mit zur Verdrängung der Verbrechen am armenischen Volk beigetragen hat, ist in der Pflicht, sich der eigenen Verantwortung zu stellen.“
Daraus leitet der Bundestag den Auftrag ab, einen Beitrag zur historischen Aufklärung zu leisten und damit auch die Chance auf eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Armenien und der Türkei zu eröffnen.
Die heutige Tagung greift diesen Impuls auf. Sie bietet eine Plattform für die Auseinandersetzung mit der Rolle des Deutschen Reiches bei der Planung, Durchführung und Vertuschung des Genozids an den Armeniern. Wir wollen damit zugleich einen Beitrag zur Enttabuisierung dieses Themas in der Türkei leisten, indem die Deportation und Vernichtung der armenischen Bevölkerung als ein Ereignis von europäischer Dimension behandelt und die Mitverantwortung des Deutschen Reiches als wichtigster Verbündeter der Türkei beleuchtet wird.
Hunderte deutscher Offiziere waren als Berater und Kommandeure der türkischen Armee eingesetzt, einige waren aktiv an den Operationen gegen die Armenier beteiligt. Der damalige Reichskanzler Bethmann-Hollweg wies alle Eingaben deutscher Diplomaten und Militärs zurück, die darauf drängten, gegen die Grausamkeiten an der armenischen Volksgruppe auf diplomatischem Wege einzuschreiten: für die Reichsregierung und den Generalstab waren das Petitessen, die dem Kriegsbündnis mit der Türkei geopfert werden mussten. Im Originalton hieß das: "Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig, ob darüber die Armenier zugrunde gehen oder nicht."
Wir wollen mit dieser Tagung auch fragen, in wieweit der vom Deutschen Bundestag beschlossene Auftrag seither umgesetzt wurde:
- Inwieweit hat die Bundesrepublik in den letzten Jahren zu einer vorbehaltlosen Auseinandersetzung mit der armenischen Tragödie beigetragen?
- Inwieweit hat sie sich für die Etablierung einer Historikerkommission eingesetzt?
- Inwieweit hat sie sich dafür eingesetzt, dass die Archivmaterialien des deutschen Auswärtigen Amtes, die der türkischen Seite überreicht wurden, dort auch der breiten Öffentlichkeit zugänglich sind?
- Inwieweit hat sie sich für eine Verbesserung der türkisch-armenischen- Beziehungen eingesetzt?
Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass ohne Aufarbeitung der dunklen Kapitel der eigenen Geschichte keine demokratische politische Kultur wachsen kann. Wir wissen aber auch, dass dies ein langwieriger Prozess ist. Dabei geht es um eine möglichst breite gesellschaftliche Debatte, die nicht auf Historiker oder Expertenkommissionen beschränkt bleibt.
Gerade in Deutschland kann hierzu ein wichtiger Beitrag geleistet werden. Eine öffentliche Debatte in Deutschland, die Immigranten türkischer, kurdischer und armenischer Herkunft einbezieht, würde bis in die Türkei ausstrahlen. Der Völkermord an den Armeniern geht uns auch deshalb an, weil er ein Vorläufer der noch viel größer angelegten ethnischen Vernichtungsaktionen war, die unter dem Nationalsozialismus folgen sollten. Hitler hat darauf spekuliert, dass die Judenvernichtung nach einem deutschen Sieg ebenso schnell in Vergessenheit geraten würde wie der Genozid an den Armeniern.
Auch deshalb halten wir es für notwendig, die deutsche Rolle an der armenischen Katastrophe zu beleuchten. Diese Aufarbeitung der deutschen Mitverantwortung enthält zugleich eine klare Haltung zur Hauptverantwortung des Osmanischen Reiches an den Schrecknissen dieser Jahre.
Wir hoffen, dass diese Tagung einen Beitrag dazu leistet, die Aufarbeitung des Genozids an den Armeniern auf allen Seiten zu befördern.