In Griechenland ist in den letzten drei Jahren das Bruttosozialprodukt um 60 Milliarden auf jetzt 190 Milliarden Euro gefallen. Aus wessen Tasche wurde das bezahlt? Bislang haben hauptsächlich Rentner und Angestellte in der Privatwirtschaft die Zeche bezahlt – in der Privatwirtschaft gingen die Gehälter nominal um 12 Prozent, real um 25 Prozent zurück. Hinzu kommt eine Arbeitslosenrate von mittlerweile 25 Prozent. Tiefe Einschnitte mussten auch Kleinunternehmer hinnehmen. Insgesamt sind seit 2009 600.000 Unternehmen verschwunden, weitere 700.000 Selbständige stehen vor dem Aus. Vor der Krise stellten die 1,8 Million Kleinunternehmer die Mehrheit der wirtschaftlich Aktiven im Land – ein Drittel mehr als die Zahl der Beschäftigten in der Privatwirtschaft. Griechenland ist damit, was die Zahl der Selbstständigen angeht, unter den OECD-Staaten die absolute Ausnahme. Die Hauptgründe für das Sterben der kleinen Unternehmen sind, dass Kunden ausbleiben und die Banken kaum mehr Kredite vergeben.
Das Ausbleiben von Krediten und die Rezession macht auch großen Firmen zu schaffen – und zwar sowohl gesunden wie auch kränkelnden Unternehmen. Der wichtigste griechische Importeur japanischer Autos sah sich beispielsweise gezwungen, seine Konten nach Belgien zu verlagern, da die japanischen Lieferanten Kreditbriefe von griechischen Banken nicht mehr akzeptieren.
Anpassungskosten im Vergleich: privater und öffentlicher Sektor
Insgesamt kalkuliert das griechische Wirtschaftsministerium, der private Sektor habe etwa 35 Milliarden Euro für die Anpassung bezahlt. Im öffentlichen Dienst scheint die Rechnung komplizierter. Auf dem Höhepunkt beschäftigte der griechische Staat etwa 970.000 Angestellte und Beamte, Gemeinden und staatlich kontrollierte Unternehmen nicht eingerechnet. Allein die Zahl der sogenannten „Stagiers“, das sind junge Menschen, die im Rahmen der STAGE-Programmen im öffentlichen Dienst beschaftigt wurden, belief sich auf 55.000. Zur Erinnerung: Die STAGE-Programme wurden von Brüssel eingerichtet, damit junge Menschen leichter Arbeit in der Privatwirtschaft finden können. Die konservative ND-Regierung hat dieses Instrument missbraucht, und zwar massiv, um Menschen auf Pump staatlich zu beschäftigen.
Bei Niederschrift dieser Zeilen, Ende November 2012, beschäftigt der griechische Staat immer noch 620.000 Angestellte und Beamte. Zum Vergleich: In Deutschland arbeiten 4,6 Millionen, das heißt etwa 11 Prozent der 41 Millionen ökonomisch aktiven Einwohner, für den Staat; in Griechenland beläuft sich diese Quote auch heute noch auf etwa 15 Prozent. Da hier Gehälter und Zuschüsse radikal (im Durchschnitt um 40 Prozent) gekürzt wurden, fliehen Beamte und Angestellte mittlerweile massiv aus der einst sicheren Schutzburg des Staates – und stellen Rentenanträge. Das Rentensystem kommt so in Schwierigkeiten, denn die vorhandenen Ressourcen reichen nicht länger aus, insbesondere nach dem Haircut und dem Verlust von über 12 Milliarden Euro aus den Rentenkassen. Bürgerinnen und Bürger, die heute einen Rentenantrag stellen, müssen ungefähr zwei Jahren auf die Auszahlung warten.
Dies ist nicht unbedingt ungerecht. Wie der ehemalige Energieminister Jiannis Maniatis (PASOK) einräumte, habe die heutige Rentnergenerationen jahrzehntelang auf Kosten der Jüngeren gelebt – was auch für die heute 50- und 60-jährigen gilt. Soll Griechenland eine Zukunft haben, muss damit begonnen werden, von den Älteren hin zu den Jüngeren umzuverteilen. Versuche, den wuchernden staatlichen Sektor zu beschneiden, begannen sehr spät. Erst als die Privatwirtschaft an die Wand gefahren war und Anfang 2012 die Arbeitslosigkeit im nicht-staatlichen Bereich die Ein-Millionen-Marke überschritt, erzwang die Troika der Kreditgeber einen Paradigmenwechsel: Der aufgeblähte staatliche Sektor sollte beschnitten werden. Anfangs war von 15.000 Stellenstreichungen die Rede, woraus dann 40.000 wurden, und mittlerweile soll die Zahl der Beamten über die nächsten drei Jahre um 150.000 reduziert werden.
Die Einsparungen, die sich so erzielen lassen, belaufen sich zwar auf weniger als 250 Millionen Euro (bei Einsparungen von insgesamt 17 Milliarden Euro), die Vertreter der drei Kreditgeber hoffen jedoch, dass durch solche Reformen der schwerfällige Staat verschlankt und effektiver gemacht werden kann.
Klientelpolitik bis an den Rand des Abgrunds
Dieser Gedanke ist nicht abwegig. In den ersten zwei Jahren des „Anpassungsprozesses“ waren die beiden großen Parteien, die sozialistische PASOK und die konservative ND, wenig gewillt, „ihre eigenen Leute“ in der Verwaltung zu opfern. Auch als sich Griechenland für insolvent erklärte und im Mai 2010 die Hilfe der EU/EZB/EWF beantragte, betrieben die beiden Parteien ihre Klientelpolitik, die das Land an den Rand des Abgrunds gebracht hatte, weiter. Die mächtigen Gewerkschaften im Bereich des öffentlichen Dienstes, eng mit der sozialistischen PASOK verbunden, weigerten sich, an Gesprächen über einen Stellenabbau teilzunehmen, und setzten stattdessen auf eine Blockadehaltung. Die damals oppositionelle ND beteiligte sich an diesem Spiel, wollte sie doch ihre eigene Klientel schützen. Mittlerweile hat die linke SYRIZA-Partei diese Rolle übernommen und versucht die „Opfer“ der Klientelpolitik zu verteidigen.
Der Größe des öffentlichen Dienstes wegen hat die SYRIZA mit dieser Politik einigen Erfolg, indirekt trägt dies aber dazu bei, dass die Beschäftigten in der Privatwirtschaft einen großen Teil der Anpassungsmaßnahmen mittragen müssen.
Tasos Teloglou ist griechischer Journalist und lebt in Athen.