Der Energiesektor der Ukraine ist auf vielfältige Weise mit dem der Europäischen Union und Russlands verflochten. So erfolgen fast 80 Prozent der Energieimporte der EU aus Russland durch das ukrainische Pipeline-Netz. Der einheimische Energiebedarf der Ukraine selbst wurde 2007 zu 55 Prozent aus Importen von fossilen Energieträgern – meist aus Russland - gedeckt. Sowohl die EU als auch die Ukraine sind jedoch bestrebt, ihre Importabhängigkeit im Energiebereich zu verringern.
Die EU hat mit der im November 2009 verabschiedeten Strategie für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung „EU 2020“ Innovation im Energiebereich und grünes Wachstum in den Mittelpunkt ihres Plans für mehr Wettbewerbsfähigkeit gestellt. Hindernisse auf dem Weg zu einem „Green New Deal“ in der Ukraine sind bisher die mangelnde Transparenz der Energiepolitik auf nationaler wie auf kommunaler Ebene und die erheblichen Eigeninteressen der politischen Elite des Landes in der Energiewirtschaft.
Auf den Fünften "Kiewer Gespräche" diskutierten Fachleute und Politiker aus Deutschland und der Ukraine die Chancen für die Umsetzung einer effizienten und nachhaltigen Energiepolitik in beiden Ländern. Die Gespräche fanden in Kooperation der Heinrich-Böll-Stiftung mit dem Europäischen Austausch, der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, Pauci und anderen statt.
Im Folgenden finden Sie einen ausführlichen Bericht über die diskutierten Themen.
Rebecca Harms: Charkiwer Verträge nicht überraschend
Im Eröffnungspanel „Die energiepolitische Bedeutung der Ukraine für Europa“ erinnerte Rebecca Harms, MEP, zu Beginn an den Reaktorunfall von Tschernobyl vor 24 Jahren. Sie führte aus, dass die Charkiwer Verträge für die, die die ukrainische Energiepolitik verfolgt haben, nicht wirklich überraschend gekommen seien. Schon unter der Regierung Tymoschenko habe es Pläne zur verstärkten Kooperation mit Russland im Atomenergiebereich gegeben.
Das Problem von europäischer Seite sei, dass es keine abgestimmte europäische Energiepolitik gäbe. Die zentralen Herausforderungen für die ukrainische Energiepolitik seien es, Wege weg von der Energieverschwendung zu finden und zu verhindern, dass erneut in die Hochrisikotechnologien investiert wird. Unumgänglich sei dafür Transparenz in der Energiepolitik, eine gesellschaftliche Debatte über nachhaltige Energiestrategien, eine Verringerung der Abhängigkeit von niedrigen Energiepreisen und Verträgen zur Atomenergie von ukrainischer Seite. Auf europäischer Seite muss darüber hinaus verstanden werden, dass Europa nicht zur Sicherheit ukrainischer Atomkraftwerke beitragen kann. Der Sarkophagbau am Tschernobylreaktor sei der Versuch, zu suggerieren, man habe die Katastrophe im Griff und der Versuch, das Scheitern der Politik zu bemänteln. Eine offene Debatte über den Sinn der enormen Investitionen wird nicht geführt.
Gerhard Sabathil: Tschernobyl-Sarkophag alternativlos
Gerhard Sabathil, Direktor für außenpolitische Strategie, Koordination und Analyse, Europäische Kommission, gab einen Überblick über die europäischen Förderungen in der Ukraine: mit 165 Millionen Euro jährlich steht die Ukraine an 12. Stelle, die EU Delegation in Kiew sei mit 100 Mitarbeitern die achtgrößte weltweit. Im Energiebereich werden 300 Millionen Euro für Atomsicherheit und 100 Millionen Euro für Energieeffizienzmaßnahmen zur Verfügung gestellt. Weitere Förderungen erfolgen im zentralen Bereich des Gastransits. Die in Charkiv verhandelten Verträge eröffnen der ukrainischen Regierung Handlungsspielraum durch die 30-prozentige Senkung des Gaspreises und eine Erleichterung des ukrainischen Haushalts um ca. 40 Milliarden Euro jährlich. Der Bau des Sarkophags um den Tschernobylreaktor wird von Sabathil als alternativlos bezeichnet, um die notwendigen Reparaturarbeiten erst ausführen zu können - auch wenn in der Tat die Baukosten sich schon um 400 Prozent erhöht hätten und mehrere Firmen daran gescheitert seien. Die EU ist an dem Bau zu 25 Prozent beteiligt. Der Weg zu Energieeffizienz in der Ukraine sei noch lang. Überzogene Forderungen der Ukraine an die EU seien nicht hilfreich, solange das Land seine inneren Probleme – vor allem im Bereich der Korruption – nicht lösen wird.
Andri Veselovsky: Ukraine hätte nach der Orangenen Revolution Marshall-Plan der EU gebraucht
Andri Veselovsky (Botschafter der Vertretung der Ukraine bei der Europäischen Union) Brüssel wies auf die Brüsseler Deklaration hin, die die Modernisierung des ukrainischen Gastransitsystems vorsieht, und auf die europäischen Unterstützungen zur Steigerung der Energieeffizienz in der Ukraine. Darüber hinaus bemerkt Veselovsky, dass die EU vor allem ein Interesse an der Ukraine als Energietransporteur habe. Eine einheitliche europäische Energiepolitik ist im Lissabonner Vertrag zwar vorgesehen, werde aber noch nicht praktiziert.
Politiker wie Rebecca Harms, die die Ukraine kritisch, kenntnisreich und konstruktiv begleiten seien hilfreich. Von Moderator Wilfried Jilge auf die schleppenden Reformen, Korruption und Intransparenz der ukrainischen Energieunternehmen angesprochen, bemerkte er, dass 2005 ein Marshall Plan für die Ukraine notwendig gewesen wäre, der den Weg in die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geebnet hätte. Die anschließende Diskussion drehte sich um die Ansprüche der ukrainischen Seite nach internationaler Unterstützung bei gleichzeitigem Reformstau und um Versäumnisse der EU bei der Förderung der demokratischen Transformation nach der Orangenen Revolution.
Claudia Kemfert: Effizienz muss wichtigstes Ziel der Energiepolitik der Ukraine sein
Kiril Savin, Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew, moderierte die Diskussion um „Szenarien für eine nachhaltige Energiepolitik in der Ukraine“. Er eröffnete die Runde mit der Frage, ob die Ukraine überhaupt eine Energiestrategie habe und inwiefern sie nachhaltig sei angesichts des Vorhabens bei fehlender Technologie und Finanzen 16 neue AKWs bis 2030 zu errichten.
Claudia Kemfert, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), unterstrich,, dass die europäischen Erwartungen an die Ukraine in erster Linie eine sichere Energieversorgung betreffen, und dass in der Ukraine selbst Energieeffizienz das A und O jeder Energiepolitik sein müsse. Pro Kopf habe die Ukraine einen doppelt so hohen Energieverbrauch wie die EU. Besorgniserregend sei, dass das Abkommen von Charkiw zwar kurzfristig zu wirtschaftlicher Entspannung führt, langfristig aber nicht zur Energieeffizienz beitragen würde. Volkswirtschaftlich sinnvoll seien nicht in erster Linie niedrige Energiepreise sondern Wachstumssteigerungen, die durch Investitionen in Schlüsselbereiche für die Energieeinsparung wie die Baubranche erzielt werden. Im Gasbereich seien dezentrale Kraft-Wärmekopplungen effizienter als große Fernwärmeverbände. Diese sollten in Deutschland wie in der Ukraine häufiger genutzt werden. Deutschland hat derzeit einen Weltmarktanteil von 16 Prozent an erneuerbaren Technologien. Erneuerbare Energien seien zwar teurer in der Installation aber langfristig billiger. Claudia Kemfert empfahl die jetzt durch den Charkiwer Vertrag eingesparten Mittel in die erneuerbare Energien und Energieeffizienzprojekte zu investieren.
Wolodymyr Saprykin: Kohlenutzung massiv einschränken
Wolodymyr Saprykin, Razumkov Zentrum Kiew, führte aus, dass die ukrainische Wirtschaft die energieintensivste der Welt sei und eine Senkung des Energieverbrauchs um 30 Prozent nötig sei. Als Haupthindernis für erfolgreiche Reformen im Energiesektor machte Saprykin die hohe Dichte illegaler Geschäfte in der Energiewirtschaft aus. Derzeit machen die ukrainischen Stromerzeuger wegen der aus politischen Gründen niedrigen Strompreise enorme Verluste.
Zur Atomkraft sah Saprykin in der Ukraine keine Alternative: derzeit stammen 50 Prozent des Stroms aus Atomkraft. Bis 2020 sollten vier neue Blöcke errichtet werden, nicht aber 16 wie in der staatlichen Energiestrategie festgelegt. Der Kohleabbau wird stark subventioniert und ist gegenüber 2008 rückläufig. „Je mehr Geld die Kohlegruben erhalten, desto weniger fördern sie“. Die Qualität der ukrainischen Kohle sei generell nicht gut. Nötig seien neue Gesetze für die Kohleförderung, eine Reduzierung der Subventionen, realistische Preise und die Schließung von an die 100 unrentablen Kohlegruben und Kohlekraftwerken. Die Charkiwer Verträge interpretierte Saprykin ähnlich kritisch wie seiner Vorredner. Politisch sind sie als eine Überrumplung der Ukraine durch Russland zu werten, die das Land faktisch zu einem Satelliten macht. Wirtschaftlich bremsen sie die dringend notwendigen Reformen im Gassektor (Transparenz vor allem in der Tarifpolitik) aus. Kredite des IWF sollten ohne Reform des Gassektors nicht vergeben werden. Es stellt sich daher die Frage, warum die Ukraine Millionen in den Bau von AKWs und die Subventionierung der Kohlegruben investiert und wer die Reform im Gassektor blockiert.
Tobias Münchmeyer: Fehlgeleitete Subventionen, unbeachtete Alternativen
Tobias Münchmeyer, Politischer Vertreter von Greenpeace in Berlin, legte vier Thesen vor. Erstens habe Tschernobyl die Energiepolitik in der Welt verändert. Der Knick in der Nutzung der Atomenergie kam weltweit schon 1987. Nicht aber in der Ukraine, wo weiter AKWs geplant und gebaut werden.
Zweitens war die Orangene Revolution politisch wie energiepolitisch eine Chance gewesen, die verspielt worden sei. Die Energiestrategie der Ukraine aus dem Jahr 2006 sei ein Rückgriff auf die von 2001 und unter Nachhaltigkeitsaspekten als katastrophal einzustufen. Sie sieht eine Verdoppelung der Kohleförderung und den Bau von neuen AKWs vor. Das vorgebliche politische Ziel der Unabhängigkeit von Russland könne damit nicht erreicht werden.
Drittens habe die Ukraine nach dem Kongo die höchste Energieintensität weltweit. Diese Tendenz werde sich nach den Charkiwer Verträgen nicht ändern. Zumal eine Nuklearholding mit Russland in Planung sei. In der Ukraine bestünde noch kein Bewusstsein für das Potential erneuerbarer Energien: schon heute wird in Deutschland mehr Energie aus erneuerbaren Technologien gewonnen als in der Ukraine aus der Nukleartechnik. Erneuerbare Energien sind eine neue Wirtschaftsbranche mit enormen Wachstumspotentialen. Diese Entwicklung ist an der Ukraine bisher vorbei gegangen.
Vierte These: „Kto vinovat?“ (Wer ist schuld). Die Ukraine verfolgt seit Jahren eine falsche Preis- und Subventionspolitik. Korruption und intransparente Strukturen verhindern Änderungen. Dabei wären Alternativen vorhanden: Biomasse und Windparks wie auf der Krim können in der Ukraine aus der Abhängigkeit von Kohle, Gas und Atom führen. Die EU vertritt zu oft die Interessen industrieller Großprojekte. Dezentrale, innovative Kleinprojekte im Energiebereich sind eine effizientere und vor allem korruptionsresistente Alternative, die von der EU zu oft vernachlässigt wird.
Michail Gontschar: Oligarchen bedienen sich im Energiesektor
Michail Gontschar vom Forschungszentrum NOMOS bezog sich in seinem Vortrag auf die häufig gestellte Frage wer die Modernisierung in der Ukraine blockiert. Er stellte dar wie sehr die ukrainische Wirtschaft auf oligarchischen Strukturen basiert und verdeutlichte dies am Beispiel des 2005 vom damaligen (und heutigen) Energieminister Bojko mit Russland abgeschlossenen Gasvertrags. Der Vertrag zeigt wie durch transnationale intransparente Transaktionen unausgewiesene Gewinne für die beteiligten Parteien erwirtschaftet werden. Neben den ukrainischen Oligarchen-Politikern Firtasch, Bojko und Khoroshkovski (seit März 2010 Leiter des ukrainischen Geheimdiensts) seien an den Geschäften auch russische und westliche Strukturen und Profiteure beteiligt. Ein Zentrum dieser transnationalen intransparenten Geschäfte befindet sich in der Schweizer Stadt Zug. Solange es keine internationale Kontrollinstanz gibt wird diese Art der internationalen Korruption weiterhin die Reformen in der Ukraine verunmöglichen. Auch Gontschar unterstrich, dass Investitionen in kurzfristige Großprojekte für Korruptionsgeschäfte vorteilhafter sind als innovative Kleinprojekte.
Petra Opitz: Effizienzreserven vor allem bei Fernwärme und Wärmedämmung
Die Diskussion zu Energieeffizienz wurde von Petra Opitz vom DIW econ mit einer Darstellung der ukrainischen Potentiale zur Effizienzsteigerung eröffnet. Diese lägen zum einen in einer Restrukturierung der Fernwärmeversorgung wo es durch veraltete Leitsysteme zu erheblichen Energieverlusten kommt. Zum anderen im Bereich der Gebäudesanierung und Wärmedämmung. Hier sind jedoch Investitionen nötig, die solvente Wohnungsgenossenschaften voraussetzen. Im Bereich der industriellen Energienutzung steht die Ukraine besser da als Russland, vor allem in der Schwerindustrie gibt es aber immer noch große Einsparpotentiale. Im Energiesektor selbst gibt es hohe Verluste vor allem bei der Stromversorgung und im Gassektor. Das Unternehmen Naftogaz ist ein hoch intransparenter Akteur, der enorme Verluste schreibt.
Valeri Borovyk: Leuchttürme alternativer Energietechnik
Valeri Borovyk von der Ukrainischen Allianz für neue Energien stellte die Arbeit der Allianz vor, die aus Unternehmern und Wissenschaftlern besteht. Ziel der Allianz sei eine im Energiebereich unabhängige Ukraine.
Den Thesen von Petra Opitz schließte Borovyk sich weitgehend an. Er ergänzte aber, dass die Ukraine ein Gesetz zu erneuerbaren Energien verabschiedet hat, das nach deutschem Vorbild entstanden ist. Die Allianz habe die Verabschiedung dieses Gesetzes mit unterstützt. Zuletzt stellte er die Hauptprojekte der Allianz vor: Energiegewinnung aus Erddrehung, Gezeitenkraftwerke, Windparks auf der Krim und in den Karpaten, Erdwärme. In technologischen Zentren für Zukunftsenergien „business incubatoren“ werden die entsprechenden Techniken und Anwendungen entwickelt.
Der zukunftsorientierte Vortrag schloss mit der Perspektive: „In der Ukraine wird sich alles ändern, die Ukraine wird alle überholen“.
Oleksandr Mazurchak: Erhöhung von Energiepreisen ist notwendige Voraussetzung für Modernisierung und Effizienz
Oleksandr Mazurchak, Vizeminister für Wohn- und Kommunalwesen, formulierte als Ziel die Reduzierung des Gasverbrauchs um 30 Prozent in vier Jahren. Dazu seien der politische Wille, Finanzmittel und gesellschaftliche Unterstützung des Anliegens nötig. Zum politischen Willen sei zu bemerken, dass es wegen der andauernden Wahlkämpfe bisher keine Erhöhung der Energietarife gegeben habe. Ohne Anhebung der Energiepreise für die Endverbraucher sei jedoch kein Anreiz zum Energiesparen gegeben. Bezüglich der Finanzmittel gibt es kaum solvente Hauseigentümer oder Eigentümergenossenschaften, die Kredite zur Wärmedämmung aufnehmen könnten oder entsprechende Mittel von der EU erhalten könnten. Die Kredite die es gibt seien nicht erschwinglich. Schließlich sei die Gesellschaft für die Notwendigkeit der Energieeinsparung nicht ausreichend sensibilisiert.
Elena Hoffmann: Mentalitätswechsel noch nicht vollzogen
Elena Hoffmann, Vorstandsmitglied des Deutsch-Ukrainischen Forums, ergänzte als Problemfeld die vielen ungeklärten Eigentumsfragen und Zuständigkeiten im kommunalen Sektor. Zudem hätten Leiter von Kraftwerken keine Anreize zur Energieeinsparung. Sie schloss sich Mazurchaks Einschätzung an, dass die Gesellschaft den Mentalitätswandel von Energieverschwendung zu Energiesparen noch nicht vollzogen habe. Diejenigen, die dennoch Eigeninitiative entwickeln würden eher gebremst als ermutigt.
Die Erfahrung in der DDR habe aber gezeigt, dass ein gesellschaftlicher Bewusstseinswandel sich unter entsprechenden Bedingungen sehr schnell und radikal einstellen könne. Wenn man den intensiven Gesetzgebungsprozess in Deutschland zur Energiereform betrachtet, würde deutlich wie viel in diesem Bereich in der Ukraine noch zu tun sei. Aufklärung der Gesellschaft, Gesetzgebungsprozesse für den Energiewandel und Finanzierungsmöglichkeiten für neue Technologien seien jetzt von Nöten.
Günther Burger: Standortvorteil Effizienz
Günther Burger, Leiter des Referats Internationale Kontakte der Stadt Freiburg , beschrieb den Weg Freiburgs zu einer der im Bereich der erneuerbaren Energien führenden Kommunen in Deutschland. Ein Weg der mit den starken Bürgerprotesten gegen das in den 70er Jahren geplante AKW Wyhl begann. Heute sind in Freiburg 10.000 Menschen im Bereich erneuerbare Energien beschäftigt. Für Firmen, die sich in Freiburg ansiedeln wollen, stellen die Energieeinsparungen, die durch das kommunale Energiesystem möglich sind, einen Standortvorteil dar. Die Stadt bietet günstige Finanzierungsmodelle für Hausbesitzer und unterstützt energieeffizientes Bauen jährlich mit 3,5 Millionen Euro. Ziel ist es, alle städtischen Gebäude im Lauf von 10 Jahren auf Passivhausstandard zu bringen.
Anatoli Kopec: Fehlen von Gesetzen eröffnet Spielräume für Kommunen
Die von Anatoli Kopec vertretene Assoziation der energieeffizienten Städte vereinigt 20 ukrainische Städte, von denen sich 12 verpflichtet haben bis 2020 20 Prozent erneuerbare Energien zu nutzen. Die Assoziation stellt entsprechende Zertifikate für die teilnehmenden Städte aus. Die Gesetzeslage sei für ukrainische Kommunen, die eine energieeffiziente Politik einführen wollen, zwar nicht ausreichend, die Gesetzeslücken böten aber auch Handlungsfreiheit.
In der folgenden Diskussion wurden Beispiele genannt, wie Bürgerinnen und Bürger von Lemberg, die Sonnenenergie nutzen wollten, von der Seite der Stadt aber behindert wurden. Korruption sei das Haupthindernis für Bürgerinnen und Bürger, die in ukrainischen Städten energieeffizient wohnen und leben wollten. Die unterschiedlichen Tarife für Haushalte und Betriebe und die Schwierigkeit genaue Zähler einzurichten, seien eine Hauptquelle für Korruption und Betrug. Die Notwendigkeit, Sozialpolitik und Energiepreise zu entkoppeln und eine realistische Preispolitik zu betreiben, wurde als weiteres Problem genannt.
Hryhory Geletukha: Viele Brachflächen – großes Potential für Biomasse
Die AG „Nutzung von Bioenergie“den Umfang der bereits genutzten Bioenergie. In Pilotprojekten passiert zwar schon viel, wie kann man aber über die Pilotphasen herauskommen? Welche Voraussetzungen, welche Finanzierungen sind nötig, welche Märkte, Investoren, welche Regierungspolitik ist nötig?
Als Modellprojekt wurde die Initiative der Stadtwerke Uelzen vorgestellt, die in der Westukraine Rohstoffe für die kommunalen Pflanzenölkraftwerke produzieren. Hryhory Geletukha vom Zentrum für Biomasse, Kiew führte aus, dass Bioenergiewirtschaft auf Grund der vielen Brachflächen in der Ukraine ein interessantes Potential bildet und damit keine Konkurrenz zur Nahrungsproduktion bestehe. Es gebe derzeit gute gesetzliche Grundlagen für erneuerbare Energien, aber Unschärfen in der Definition und in der Umsetzung des grünen Tarifs, das Umsetzungsverfahren sei umständlich und bürokratisch.
Hans-Jochen Luhmann: Großes Absatzpotenzial für Biomasse auf EU-Markt
Herr Luhmann vom Wuppertal Institut für zukünftige Energie, referierte zum gesamtpolitischen Rahmen und der europäischen Energiepolitik: Man solle sich von der Frage lösen, wie die Ukraine Anträge bei der EU stellen kann und sollte stattdessen versuchen, funktionierende Marktmechanismen zu entwickeln und die Ukraine als „low carbon society“ zu positionieren. Die Ukraine könne Produzent erneuerbarer Energien für den EU-Markt werden und dadurch in eine Win-Win Situation mit der EU geraten. Finanzierungsinstrumente der Eastern Partnership für Pilotprojekte wurden ebenfalls diskutiert. Der Bedarf an Kreditinstrumenten für das große Potential an erneuerbaren Energien wurde vermerkt. Anreize zur Umsetzung werden bei den niedrigen Energiepreisen aber ausbleiben.
Keine Diskussion um Alternativen zur Atomkraft in der Ukraine
Die AG „Atomkraft nach Tschernobyl?“ führte nach Moderator Walter Mossmann Teilnehmer aus zwei verschiedenen Welten zusammen: Zum einen Teilnehmer aus einer Welt in der die Atomkraft mit enormen gesellschaftlichen Folgen diskutiert wird, zum anderen Teilnehmer, die in der Sowjetunion mit der Atomtechnik lange mit dem Bewusstsein einer „Erlösungstechnologie“ gelebt haben. Dabei sei aber eine sehr produktive und lebendige Diskussion entstanden, in der beide Seiten viele ihrer Erfahrungen und Einschätzungen preisgegeben haben und lebhaft diskutiert haben. Kritik an der Atomindustrie war auch in Deutschland lange ein absolut marginales Denken, das dann – noch vor Tschernobyl – zu einem gesellschaftlich breit diskutierten Thema, jenseits der „German Angst“ wurde. Das sei kein deutscher Sonderweg gewesen, sondern in den 70er Jahren in ganz Westeuropa verbreitet. Die ukrainische Seite bedauerte dabei, dass es in der Ukraine bis heute kaum eine öffentliche Diskussion um Alternativen zur Atomtechnologie gebe.
Oleksandr Todiychuk: Unabhängigkeit von Russland durch Effizienz und alternative Energien
Die Abschlussdiskussion wurde von Oleksandr Todiychuk vom Institut für Energieeffizienz am Kiewer Institut für Management eröffnet. Neben dem Nachdenken über die internationalen Verträge und die zwischenstaatliche Politik sei es wichtig, die gesellschaftlichen Entwicklungen und die Politik der kleinen Schritte zu verfolgen, die oft zielführender sei. In der Ukraine bestehe derzeit eine geringe Bereitschaft, die Energiestrategien ihrer EU-Nachbarstaaten zu studieren. Europa müsse bedenken, was teurer sei: wenn die Ukraine unter den energiepolitischen und wirtschaftlichen Einfluss Russlands gerate oder wenn die Ukraine assoziiertes Mitglied der EU wäre. Die Ukraine müsse sich bemühen, im Energiebereich von Russland unabhängig zu werden, was durch alternative Energien und Energieeffizienz auch möglich sei.
In der Abschlussdiskussion ging es um die Voraussetzungen für Energieeffizienz und Energiesparen in der Ukraine, in der die während der Konferenztage genannten Empfehlungen wiederholt, vertieft und variiert wurden. Einigkeit bestand in der zentralen Rolle von Transparenz und gesellschaftlich-politischer Kontrolle, ohne die die weitere Verschleppung notwendiger Reformen im ukrainischen und damit gesamteuropäischen Energiesektor vorgegeben sei. Das Vorhaben, die kommenden sechsten „Kiewer Gespräche“ dem Thema Transparenz, Zugang zu Informationen und öffentlicher Kontrolle“ zu widmen wurde positiv kommentiert.
Weiterführende Links:
- Eröffnungsrede von Ralf Fücks
- Programm der Tagung (PDF, 4 Seiten, 152 KB)
- Webseite der Kiewer Gespräche
Ausführliches Protokoll der Arbeitsgruppe 1
In der ersten Arbeitsgruppe am 28.04.2010 von 11.30 – 13.30 Uhr wurde mit Herrn Geletukha vom Zentrum für Biomasse aus Kiew, Hans-Jochen Luhmann vom Wuppertal Institut für zukünftige Energie, Falk-Wilhelm Schulz von den Stadtwerken Uelzen und Geschäftsführer der Sustainable Bioenergy GmbH Holding über die Nutzung von Bioenergie in der Ukraine und in Deutschland diskutiert.
Herr Schulz erläuterte in seinem Eingangsbeitrag das Projekt, welches die Stadtwerke Uelzen in der Ukraine ins Leben gerufen haben. So haben sie nach einer fünfjährigen Testphase im Jahr 2006 einen Motor auf Pflanzenöl umgerüstet und seit 2007 ist die Stadt gemeinsam mit Schwäbisch Hall aktiv in der Landwirtschaft in der Ukraine und bewirtschaftet dort ca. 5000 Hektar Bodenfläche mit Getreide und Raps mit 70 Mitarbeitern. Das Projekt, welches vom Staat nicht finanziert wird, ist langfristig angelegt (der Pachtvertrag für die Agrarflächen läuft über 15 Jahre) und fungiert als Pilotprojekt für die Nutzung von Bioenergie in der Ukraine. Herr Schulz betonte, dass sie in der Ukraine sehr freundlich aufgenommen worden sind und sehr gute Startmöglichkeiten vorgefunden haben. Trotz der Tatsache, dass die Ukraine kein Pendant zu den Stadtwerken hat und die Strukturen allgemein andere sind.
Im Anschluss an den Beitrag von Herrn Schulz stellte Herr Geletukha mit vielen Zahlen und Fakten dar, welche Potentiale die Ukraine im Bezug auf die Energiegewinnung durch Biomasse hat. So verfügt die Ukraine über 4-5 Millionen Hektar freie Agrarflächen, die momentan nicht bewirtschaftet werden und deren Nutzung zur Energiegewinnung somit auch nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion stehen würde. Er stellt jedoch auch klar heraus, dass nicht das Potential das Problem sei, sondern die Frage, wie die Erzeugung von 18 Millionen Tonnen an Kohleäquivalent wirtschaftlich umgesetzt werden kann.
In der Ukraine werden Kessel zur Verbrennung von Biomasse bis zu einer Leistung von 2 Megawatt hergestellt, leistungsstärkere Maschinen müssen in Deutschland eingekauft werden. Während die Amortisationsrate für inländische Technologie unter Berücksichtigung des Grünen Tarifs bei 3-5 Jahren liegt, amortisieren sich ausländische Technologien erst nach 6-8 Jahren, was für die meisten ukrainischen Unternehmen zu lang ist. Daher plädierte Herr Geletukha dafür, Joint Ventures zu bilden und die Arbeitskräfte in der Ukraine zu nutzen, um die Preise zu senken und auch für ukrainische Unternehmen erschwinglich bzw. attraktiv zu machen.
Herr Luhmann als Politikspezialist stellte die Struktur der europäischen Nachbarschaftspolitik im Bezug auf erneuerbare Energien dar. Dazu gehört erstens die europäische Energiepolitik und -sicherheit. Zweitens ist die EU im Rahmen der Klimapolitik, die nicht multilateral auf UN- sondern auf europäischer Ebene erfolgt, am Ausbau der erneuerbaren Energien interessiert. So sollen klimapolitische Elemente die Reduzierung von Treibhausemission in den jeweiligen Mitgliedstaaten bewirken. Der dritte Bereich ist die Politik zur Förderung der erneuerbaren Energien. Denn die EU will den Anteil der Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen erhöhen, wobei die Quelle nicht unbedingt in der EU selbst liegen muss. Diese drei Bereiche bieten jeweils Finanzierungsoptionen, die allerdings teilweise in Konkurrenz zueinander stehen. Finanzierungsoptionen seien nicht nur im bankrechtlichen Sinne zu verstehen, sondern z.B. auch als Form einer Mehrkostenzuwendung. Die Ukraine müsse sich entscheiden wie sie ihr großes Flächenpotential einsetzen will.
Nachdem Herr Geletukha in seiner Präsentation auch die rechtlichen Rahmenbedingungen für die erneuerbaren Energien, sowie für den Grünen Tarif in der Ukraine angesprochen hatte, kam in der anschließenden Diskussion heraus, dass sich das schriftliche Recht und die Realität noch sehr unterscheiden, da bisher erst ein paar Windkraft- und Wasserkraftwerke den Grünen Tarif erhalten haben. In der Diskussionsrunde gab es zum einen konkrete Nachfragen zum Projekt der Stadtwerke Uelzen. So berichtete Herr Schulz, dass die Nahrungsmittel, die sie herstellen, vor Ort vermarktet werden und die Rohstoffe zur Herstellung von Pflanzenöl zu Weltmarktpreisen verkauft werden. Die Stadt Uelzen unterhält Kooperationen mit den Pflanzenölkonzernen in Deutschland, so dass über einen Ausgleich die Versorgung des Motors, der auf Pflanzenöl läuft, sichergestellt ist.
Zum anderen wurde auch diskutiert, wie ein Mentalitätswechsel im Hinblick auf Energieeinsparung in der Ukraine vollbracht werden kann. Die Referenten waren sich einig, dass sich dies am Effektivsten über „den Geldbeutel“ also über eine Erhöhung der Energiepreise erreichen ließe. Auch die Diskussion über die finanzielle Hilfe, die seitens der Ukraine von der europäischen Union gefordert wurde, kam auf. Aus dem Plenum kam der Einwand, dass die Ukraine meist nur fordere und nicht erwarten kann, dass z.B. deutsche Unternehmen die Investitionen alleine tätigen. Herr Luhmann wies außerdem noch einmal deutlich darauf hin, dass die Unternehmen konkrete Rahmenbedingungen brauchen und Finanzierung nicht immer gleich Geld bedeutet, sondern auch Knappheiten geschaffen werden können, die Geld wert sind.
Dossier
Die Ukraine auf dem Weg zur Demokratie
Seit 1991 ist die Ukraine unabhängig. Trotz Reformen hat die Demokratie in der Ukraine immer noch große Defizite. Die Orangene Revolution 2004 hat den Prozess der Demokratisierung beschleunigt, doch ist die Demokratie im Lande weiter instabil und die Zivilgesellschaft zu schwach, um Politiker und Politikerinnen kontrollieren zu können. Ein Schritt zurück zur Autokratie ist bei der andauernden politischen und wirtschaftlichen Krise nicht ausgeschlossen. Das Dossier begleitet die aktuellen Entwicklungen mit Artikeln und Hintergrundberichten.- Dossier: Die Ukraine auf dem Weg zur Demokratie von Dr. Kyryl Savin - Feedback an: savin@boell.org.ua