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Herausforderung Krise. Was kann Europa?

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Publikation

Herausforderung Krise. Was kann Europa?

15. September 2010

Vorwort von Ralf Fücks

Es gibt Krisen – solche und solche. Manche gehen vorüber, ohne bleibende Spuren zu hinterlassen, andere markieren eine historische Zäsur. Man braucht nicht viel prophetisches Vermögen, um vorauszusagen, dass die gegenwärtige Erschütterung der Weltwirtschaft als Zeitenwende in die Geschichtsbücher eingehen wird. Ein beinahe 25-jähriger Wachstumszyklus geht zu Ende, der die fast eine Milliarde Menschen in den Schwellenländern aus der gröbsten Armut gezogen hat, während zugleich an der Spitze der sozialen Pyramide eine sagenhafte Akkumulation von Reichtum stattfand – nicht nur in der Alten Welt, sondern gerade auch bei den Neureichen in China, Russland, Indien oder Brasilien.

Getrieben wurde dieser Zyklus durch eine globale Liberalisierung der Märkte, eine sprunghafte Zunahme des Welthandels, vor allem aber durch eine fieberhafte Expansion des Finanzsektors. Dort wurde das große Geld verdient und das große Rad gedreht, das jetzt die Weltwirtschaft an den Rand des Abgrunds geführt hat. Gestern waren Wall Street und Londoner City noch das Doppelherz des globalen Kapitalismus, heute sind sie das Epizentrum der Krise.

Ausgelöst wurde der globale Crash durch das Platzen der Immobilienblase in den USA, mit der Scheinwerte geschaffen wurden, auf die weitere Kredite gezogen werden konnten. Mit ihr ist auch ein Wachstumsmodell kollabiert, das von der Ausweitung der öffentlichen und privaten Verschuldung getrieben wurde.

Der Turbokapitalismus hat den Bogen überspannt. Die Zeiten wundersamer Kapitalvermehrung durch immer neue Finanzprodukte sind vorüber. Zukünftig wird es wieder mehr darum gehen, sinnvolle Dinge herzustellen und Dienstleistungen anzubieten, die einen Mehrwert für den Kunden schaffen, als mit spekulativen Geschäften schnell reich zu werden. Die ökonomische Leitfigur der Zukunft wird nicht der Investmentbanker sein, sondern der Unternehmer (oder die Unternehmerin), der einen Beitrag zum gesellschaftlichen Fortschritt leistet. Statt der Fixierung auf kurzfristige Profitmaximierung wird es um nachhaltigen Wertzuwachs gehen.

Der Kapitalismus der Zukunft wird moralischer sein – weil auf Dauer nur verantwortliches Handeln Wohlstand schafft.


Globale Regeln für globale Märkte


Marktwirtschaften sind höchst voraussetzungsvolle Systeme. Sie erfordern Transparenz, Machtbegrenzung durch Wettbewerb, effektive Preisbildung, Eigentümerhaftung und eine Balance von Gewinn und Risiko. Werden diese checks&balances außer Kraft gesetzt, läuft das System aus dem Ruder. Genau das ist passiert.

Wenn von Marktversagen gesprochen wird, muss man im gleichen Atemzug vom Staatsversagen reden. Denn es obliegt den Staaten, die Ordnung der Märkte zu gewährleisten und es waren die Regierungen, die im Zuge der Standortkonkurrenz ganze Bereiche der Finanzindustrie aus ihrer Regelungskompetenz entlassen haben. Es ist abwegig, dass jedes Medikament aufwendige Zulassungsverfahren durchlaufen und jedes Auto vom TÜV zugelassen werden muss, während Finanzprodukte, welche ganze Volkswirtschaften aushebeln können, ohne jede Risikovorsorge in Umlauf gebracht werden konnten.

Die Krise offenbart die Gebrechen der Globalisierung: den Mangel an globaler Regulierung, die extremen Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft, die ungleiche Verteilung von Vorteilen und Risiken. Ganze Gesellschaften, die sich in den letzten Jahren zu bescheidenem Wohlstand emporgearbeitet hatten, drohen in den Überlebensmodus zurückgeworfen zu werden. Ein Rückfall in ökonomischen Nationalismus (vulgo Protektionismus) würde die Probleme nur verschärfen. Deglobalisierung ist keine Utopie, sondern ein Schreckgespenst. Nicht nur wegen der damit verbundenen weltweiten Wohlstandsverluste, sondern weil eine ökonomische Fragmentierung auch den politischen Nationalismus anfachen würde – die 1930er Jahre lassen grüßen.

Gefordert sind jetzt mehr Kooperation und Koordination. Aktuell müssen der Internationale Währungsfonds und die Weltbank gestärkt werden, um ihre Rolle als globale Feuerwehr spielen zu können. Auch das ist nicht ohne politische Reformen zu haben. Es führt kein Weg daran vorbei, den aufsteigenden Wirtschaftsmächten und den Entwicklungsländern eine faire Mitsprache in diesen Institutionen zu geben. Die Zeit der westlichen Hegemonie über die Weltwirtschaft geht zu Ende. Wir müssen lernen, Macht und Wohlstand zu teilen, um einen Kampf aller gegen alle zu vermeiden.

Auch die Defizite der EU werden von der Krise gnadenlos aufgedeckt. Wir haben einen Binnenmarkt und eine weitgehend gemeinsame Währung, aber keine europäische Koordination der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Dabei sind die europäischen Volkswirtschaften längst auf Gedeih und Verderb miteinander verflochten. Solidarität mit den Ländern, denen jetzt das Wasser bis zum Hals steht, ist kein Altruismus, sondern ein Akt der Vernunft.

Dazu gehören aber auch verbindliche Regeln, die fiskalische Disziplin erzwingen und einen Steuerwettlauf zulasten der Gemeinschaft verhindern. Wenn die EU ihre Chance nutzt, wird sie gestärkt aus der Krise hervorgehen. Versagen die europäischen Regierungen, drohen eine Erosion der Gemeinschaft und ein Auseinanderbrechen der Eurozone.

Der Einfluss der Wirtschafts- und Finanzkrise auf die Rolle der Europäischen Union und ihre verschiedenen Politikfelder steht im Mittelpunkt der vorliegenden Publikation. Die ausgewählten Autorinnen und Autoren blicken aus verschiedenen Perspektiven auf die europäische Politik. Sie analysieren und bewerten die Maßnahmen, die Europa als Antwort auf die Krise gegeben hat. Welche sind gelungen, welche sind gescheitert, welche sind noch zu ergreifen?

Wir wünschen Ihnen eine spannende und anregende Lektüre.

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Inhaltsverzeichnis

  • Vorwort von Ralf Fücks 4
  • Einleitung von Fabian Zuleeg: Die Auswirkungen der globalen Krise auf die EU und auf Europas Rolle in der Welt
  • 1. Pascal Canfin: Wie das Fehlen einer Wirtschaftsregierung zur aktuellen Krise geführt hat 14
  • 2. Stany Grudzielski: Die Grenzen der Subsidiarität: Ein neues Modell europäischer Intervention für einen grüneren EU-Binnenmarkt 20
  • 3. José Bové: Die Finanz- und Landwirtschaftskrise 27
  • 4. Rebecca Harms und Silke Malorny: Klimapolitik und Wirtschaftskrise 32
  • 5. Reinhard Bütikofer und Roderick Kefferpütz: Grün sein oder nicht sein − der Kampf gegen die dreifache Krise 38
  • 6. Claire Champeix: Nach der Krise: Welche Zukunft hat der Sozialschutz? 45
  • 7. Helga Trüpel: Der Einfluss der Finanz- und Wirtschaftskrise auf die Bildungspolitik in Europa 53
  • 8. Stefani Weiss: Auswirkungen der Krise auf die Außen- und Sicherheitspolitik der EU 58
  • 9. David Král: Wirtschaftskrise, EU-Erweiterung und Östliche Partnerschaft 66
  • 10. Karin Ulmer: Wie die globale Wirtschaftskrise die europäische Handels- und Entwicklungspolitik beeinflusst 74

 


Endredaktion: Marianne Ebertowski

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Dieses Projekt wurde mit Unterstützung der Europäischen Kommission finanziert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung trägt allein der Verfasser; die Kommission haftet nicht für die weitere Verwendung der darin enthaltenen Angaben.


Herausforderung Krise. Was kann Europa?
   
Herausgeber/in Heinrich-Böll-Stiftung, Europäische Union, Brüssel
Erscheinungsort Brüssel
Erscheinungsdatum 15. 2010
Seiten 86
ISBN --
Bereitstellungs-
pauschale
kostenlos


Herausforderung Krise. Was kann Europa?

 
Produktdetails
Veröffentlichungsdatum
15. September 2010
Herausgegeben von
Heinrich-Böll-Stiftung, Europäische Union, Brüssel
Seitenzahl
86
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Alle Rechte vorbehalten
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