Während in Washington und in einem großen Teil der Welt die amerikanischen Vorwahlen von Ohio bis Kalifornien und von Vermont bis Texas mit Ungeduld und geradezu unglaublicher Spannung verfolgt werden, scheinen wir alle zu vergessen, dass es immer noch jemanden im Weißen Haus gibt, der den Telefonhörer abnimmt. George Bush hat zurzeit zwar wenig zu sagen, aber er ist eben doch noch der „Entscheider“ in wichtigen politischen Angelegenheiten.
Vergangenen Samstag hörte ich seine wöchentliche Radioansprache. Dieser unpopuläre Geradenoch-Präsident kündigte an, mit seinem Veto ein kürzlich vom Kongress verabschiedetes Gesetz verhindern zu wollen, das der CIA sogenanntes „water boarding“ als Verhörmethode verbietet. Die Nutzung von Wasser, um bei Gefangenen das Gefühl des Ertrinkens hervorzurufen, ist allen denkbaren Definitionen nach Folter und wurde bereits vom Pentagon verboten. Dennoch billigte Präsident Bush mit seinem Veto diese Praxis implizit und bestätigte damit noch einmal die falschen Positionen dieser Regierung – speziell die Sicht, der Kampf gegen den Terror würde alles rechtfertigen, selbst die Aufgabe von konstitutionellen und universellen Grundprinzipien. Innerhalb nur weniger Minuten dokumentierte George Bush ein weiteres Mal, warum die USA einen Großteil ihrer globalen und moralischen Autorität eingebüßt haben.
Vietnam-Veteran gegen Folter
Es gibt allerdings auch eine gute Nachricht: Egal wer die Wahlen im November gewinnt, diese starrsinnige Haltung in Bezug auf die Genfer Konvention und rechtliche Mindestgarantien wird sich definitiv ändern. Ob nun John McCain, Barack Obama oder Hillary Clinton ins Weißen Haus einziehen, die Politik der vergangenen sieben Jahre, Folter zu dulden, wird ein Ende haben. In dieser Position stimmen alle Kandidaten überein. John McCain kritisierte die Anwendung von Folter am schärfsten und hat mehr als einmal Präsident Bush und besonders Vize-Präsident Dick Cheney in dieser Sache widersprochen. Aufgrund seiner fünf Jahre währenden Kriegsgefangenschaft in Vietnam haben seine Worte großes Gewicht.
Das Weiße Haus bekommt in diesen Tagen möglicherweise nicht mehr so viele Anrufe wie früher. Bei unserem Büro ist das anders – viele deutsche Freunde wollen Bewertungen und Voraussagen von mir hören: Macht Obama das Rennen oder Clinton? – so die immer gleiche Frage. Es ist interessant mitzuerleben, wie sich die Vorwahlen dieses Jahres in ein globales Ereignis verwandelt haben. Das internationale Interesse daran ist hoch, eine korrekte Voraussage zu treffen schwierig.
Bier- und Wein-Demokraten
Das Einzige was ich sicher sagen kann ist, dass auch am Ende der verbleibenden elf Vorwahlen (inklusive Guam und Puerto Rico) keiner der Kandidaten die Schwelle von 2025 erforderlichen Delegierten überschritten haben wird. Aller Wahrscheinlichkeit wird es Barack Obama gelingen, einen leichten Vorsprung vor Hillary Clinton zum Nominierungsparteitag, der in Denver stattfinden wird, zu retten. Sollte es vorher keine Verhandlungslösung geben, besteht die Gefahr, dass die Demokratische Partei unter großen Druck gerät. Die beiden Kandidaten binden Wählergruppen, ohne deren Unterstützung das Weiße Haus im November nicht zurückgewonnen werden kann. Hillary Clinton wird vor allem von Niedrigverdienern, Frauen, vielen Wählern aus ländlichen Regionen und zahlreichen Latinos favorisiert. Die Unterstützer von Barack Obama sind dagegen größtenteils gut gebildet, urban – und schwarz. Diese beiden unterschiedlichen Gruppen werden inzwischen die Bier- und die Wein-Demokraten genannt.
Schere, Stein, Papier
Weil das Nominierungsrennen weiterhin so unglaublich eng bleibt, rückt derzeit eine weitere Frage in den Vordergrund: Werden die Vorwahlen in Michigan und Florida wiederholt? Beide Staaten wurden von der Führungsspitze der Demokraten von den Vorwahlen ausgeschlossen, weil sie, ohne Erlaubnis der Partei, das Wahldatum in eine frühere Phase des Rennens verlegt hatten, um den Stimmen ihrer Wähler mehr Gewicht zu verleihen. Die Kandidaten verständigten sich auf Druck der Parteiführung darauf, hier keinen Wahlkampf zu führen, und die in diesen Staaten gewählten Delegierten von dem Demokratischen Kongress Ende August auszuschließen. Es scheint wahrscheinlich, dass diese annullierten Vorwahlen auf irgendeine Weise wiederholt werden. Denn es ist unmöglich, dass Parteibürokraten den Wählern dieser wichtigen Bundesstaaten die Stimme nehmen – immerhin werden sowohl Florida als auch Michigan für die Präsidentschaftswahlen im November entscheidend sein. Der Kampf um die Delegiertenstimmen wird hinter den Kulissen bereits heftig ausgefochten. Für den Fall, dass Michigan und Florida doch noch abstimmen dürfen und dennoch kein klarer Sieger feststehen sollte, hat ein Wahlkampfberater in Washington vorgeschlagen, die Entscheidung auf traditionelle Weise zu suchen: Schere, Stein, Papier...
Im Moment ist unklar, ob der anhaltende Nominierungsprozess den Demokraten eher nützt oder schadet. Die Aufmerksamkeit der nationalen Presse und der Weltgemeinschaft ist ihnen jedenfalls sicher. Allerdings dürfte die Führung der Demokraten nicht besonders erfreut über die zunehmende Härte im Wahlkampf sein. Viele befürchten, dass am Ende dieses kompromisslosen Kampfes nur die Wein- oder die Bier-Wähler der Partei die Stange halten, obwohl beide Gruppen benötigt werden. John McCain, seinerseits, hat beschlossen, im Wahlkampf eine Pause einzulegen und nach Europa zu reisen. Er bekommt zurzeit ohnehin nicht viel Aufmerksamkeit in der Presse.