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Amerika wählt … nicht nur den Kongress

Von Klaus Linsenmeier
Die amerikanischen Kongresswahlen am 2. November 2010 ziehen die gesamte Aufmerksamkeit des Landes auf sich. Kein Wunder, gilt die Wahl doch als Gradmesser für die Zustimmung zur Arbeit der demokratischen Mehrheit in beiden Häusern und schließlich auch zum Präsidenten. Wenn die Demokraten, wie zu erwarten ist, ihre komfortablen Mehrheiten verlieren, wird auch für Obama das Regieren noch schwieriger.

Zur Wahl stehen 37 der hundert Sitze im Senat, dem amerikanischen Oberhaus. Die Demokraten halten derzeit 57 Sitze, gemeinsam mit zwei unabhängigen Senatoren eine komfortable Mehrheit. 14 der zur Wahl stehenden 37 Sitze gelten als sicher, zehn für die Republikaner, dagegen nur vier für die Demokraten. Das Pendel dürfte somit gegen die Demokraten ausschlagen.

Im Repräsentantenhaus wird um alle 435 Sitze gekämpft. Derzeit halten die Demokraten dort eine Mehrheit von gut 59 Prozent. Amerikanische Analysten wetteifern mit Vorhersagen über den Ausgang dieser Wahlen. Der ist jedoch so unsicher wie lange nicht. Das für die Demokraten schlechteste Szenario ist der Verlust der Mehrheit in beiden Häusern. Dies ist schon 1994 dem beliebten Präsidenten Bill Clinton widerfahren, der nach seinen ersten „Midterm-Wahlen“ in beiden Häusern mit einer republikanischen Mehrheit regieren musste.

Weniger beachtet, aber für das künftige Machtgefüge nicht weniger von Bedeutung, sind die am gleichen Tag stattfindenden Gouverneurswahlen. Insgesamt sind 37 Gouverneure zu wählen. Diese Positionen werden derzeit etwa zu gleichen Teilen von den beiden Parteien gehalten. Als besonders unsicher gelten jene 24 Staaten, in denen die bisherigen Gouverneure nicht mehr antreten. Jeweils 12 Republikaner und 12 Demokraten treten aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr an. Etwa ein halbes Dutzend der Positionen gelten als stark umkämpft. Das gilt für die derzeit von Republikanern gehaltenen Posten in Kalifornien, Texas und Florida. In Florida ist der Amtsinhaber Charly Crist von einem Kandidaten der Teaparty herausgefordert worden und tritt nun als Unabhängiger an. Für die Demokraten ist die Liste der umkämpften Staaten noch länger: Pennsylvania, Ohio, Michigan, Illinois, Iowa, Colorado und New Mexico. Alle diese Staaten waren wichtig für den Sieg Barack Obamas vor zwei Jahren.

„Viele der diesmal verlorenen Sitze im Repräsentantenhaus können wir in zwei Jahren zurückerobern. Verluste bei den Gouverneursposten wirken aufgrund längerer Amtszeiten viel langfristiger“, erläutert Nathan Daschle, Direktor der Vereinigung der demokratischen Gouverneure, das Problem für die Demokraten. Ein weiterer Grund macht diese Wahlen für die beiden Parteien wichtig: Die Gouverneure sind zuständig für den Zuschnitt der Wahlbezirke. Seit langem führt das „Optimieren“ der jeweiligen Bezirke zu Vorteilen der Partei, die den Gouverneur stellt. Gewinnen die Republikaner ausreichend Gouverneurspositionen, können sie strukturell ihre Ausgangssituation für viele der kommenden Wahlen verbessern. Diese als „gerrymandering“ bekannte Methode hat noch einen weiteren für die politische Kultur in den USA nachteiligen Effekt: Zunehmend entstehen so parteipolitisch homogene Wahl- aber auch Wohndistrikte. Inzwischen reagieren die Menschen darauf und wählen ihren Wohnsitz nach der politischen Orientierung ihrer Bewohner. Welcher Republikaner möchte inmitten von Demokraten wohnen und umgekehrt? Damit tragen die Bürger selbst zu einer Segregation und letztendlich zu einer parteipolitischen Polarisierung bei.  “Diese Wahlen sind die wichtigsten seit einer Generation“, erläutert Daschle. “Sie können langfristig die Mehrheitsverhältnisse strukturell beeinflussen.“ Nick Ayers, Direktor der Republikanischen Vereinigung der Gouverneure, sieht das ähnlich: ”Bis zur Wahl sind wir in einem Hundert-Millionen-plus-Schachspiel, in dem die Fundamente der amerikanischen Politik für die nächsten zehn Jahre gelegt werden.“ Die ersten Auswirkungen werden schon 2012 sichtbar werden: Dann muss Präsident Obama zur Wiederwahl antreten.

Klaus Linsenmeier ist Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Nordamerika,Washington.

Kurzbiografie

Klaus Linsenmeier

wurde 1953 geboren. Er studierte Volkswirtschaftslehre und Soziologie in Berlin und Freiburg im Breisgau. Im Anschluss absolvierte er ein MBA-Studium in Hagen/Wales. Seit den 1980ern engagiert er sich in der Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik. Zunächst war er bei medico international tätig, dann ab 1989 als Mitarbeiter bei  Buntstift in Göttingen und als Mitglied des Vorstandes im Stiftungsverband Regenbogen in Dortmund. Von 1997 bis 2009 arbeitete Klaus Linsenmeier für die Heinrich-Böll-Stiftung als Leiter der Auslandsabteilung. Seit 2009 ist er Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Nordamerika, Washington.

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